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Experten rechnen erst für Juni mit Anhebung des Hartz-IV-Satzes

Archivmeldung vom 10.02.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.02.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Thorben Wengert / pixelio.de
Bild: Thorben Wengert / pixelio.de

Nach dem Scheitern der Vermittlungsgespräche erwarten Sozialverbände und Sozialpolitiker, dass der Hartz-IV-Regelsatz erst zur Jahresmitte angehoben wird. Gegenüber der "Bild-Zeitung" warnte die SPD-Bundestagsabgeordnete und Berichterstatterin im Sozialausschuss, Gabriele Hiller-Ohm, vor einer monatelangen Verzögerung.

"Die Regierung hat auf Zeit gespielt. Jetzt ist zu befürchten, dass der Regelsatz vielleicht erst im Juni angehoben wird und das Bildungspaket greifen kann." Der Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Adolf Bauer, teilt die Sorgen. Der "Bild-Zeitung" sagte Bauer: "Wir befürchten, dass die Hartz-IV-Neuregelung schlimmstenfalls erst im Juni oder danach kommt. Dann würden den Betroffenen noch monatelang Leistungen vorenthalten, auf die sie einen verfassungsmäßigen Anspruch haben." Nach Ansicht der Vorsitzenden des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, kann sich die geplante Anhebung des Hartz-IV-Satzes um bis zu zwei weitere Monate verschieben.

Kommunen warnen nach Hartz-IV-Scheitern vor Gebührenerhöhungen

Nach dem Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen haben die Kommunen vor neuen Ausgabenkürzungen und Gebührenerhöhungen gewarnt. "Wenn die vom Bund angebotenen Entlastungen bei den Sozialausgaben jetzt nicht kommen, werden die Spar- und Gebührenerhöhungsorgien der Kommunen weitergehen", sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, der "Rheinischen Post". Der Bund hatte in den Hartz-IV-Verhandlungen angeboten, den Kommunen die Ausgaben für die soziale Grundsicherung im Alter schrittweise abzunehmen. Dadurch würden Städte und Gemeinden ab 2014 um jährlich mehr als vier Milliarden Euro entlastet.

Künast macht Merkel für Scheitern bei Hartz IV verantwortlich

Grünen-Bundestagsfraktionschefin Renate Künast macht Angela Merkel (CDU) für das erneute Scheitern der Verhandlungen über die Hartz-IV-Reform verantwortlich. "Das war die Kanzlerin. Sie wollte uns zwingen, Regelsätzen zuzustimmen, die nicht verfassungskonform sind", sagte Künast der "Bild-Zeitung". "Frau Merkel war der Koalitionsfrieden mit der FDP und das Interesse der Wirtschaft wichtiger als das Wohl der Kinder und Familien. Die Wirtschaft will nicht, dass Hartz IV steigt, sie will keinen gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Also sagt die Kanzlerin nein." Da niemand "von den Dumpinglöhnen in der Leiharbeit" leben könne, würden die Menschen als Aufstocker in Hartz IV landen. "Eine christliche Partei wie die CDU darf nicht akzeptieren, dass Leiharbeiter in Masse mit der Hälfte des Lohnes für die gleiche Arbeit abgespeist werden und sich dann beim Amt Stütze holen müssen", so Künast weiter. Der von der Regierung angebotene Mindestlohn für Zeitarbeiter sei vor dem Hintergrund der ab Mai geltenden vollen Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Osteuropa nicht ausreichend. "Dann werden Leiharbeitsfirmen von dort bei uns Lohndumping betreiben. Also brauchen wir gleiche Löhne wie bei festen Verträgen." Kanzlerin und Arbeitsministerin hätten sich "verzockt", die Regierung sei am Zug, so Künast. "Sie soll gefälligst einen Kompromiss vorlegen, der gerecht und verfassungskonform ist. Ich kann nur davor warnen, eine Lösung bis zum Mai hinauszuzögern. Die Kinder warten zu recht auf das Geld." Wenn Arbeitsministerin von der Leyen (CDU) wollte, "könnten mindestens die fünf Euro Erhöhung auch ohne komplettes Gesetz ausgezahlt werden, ebenso das Bildungspaket für Kinder." Andernfalls rechne Künast "mit einer Klagewelle von Hartz-Beziehern".

Landesrichter: Bundesverfassungsgericht soll bei Hartz IV eingreifen

Das Bundesverfassungsgericht wird sich möglicherweise schon bald erneut mit Hartz IV befassen müssen. Nach dem vorläufigen Scheitern der Verhandlungen über die Pläne von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hält Jürgen Borchert, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Hessen, eine neuerliche Anrufung des Verfassungsgerichts durch die Sozialgerichte für angezeigt. Borchert sagte der "Süddeutschen Zeitung", wegen des Karlsruher Hartz-IV-Urteils vom Februar 2010, das eine Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze bis Ende 2010 gefordert hatte, herrsche nach wie vor kein verfassungsgemäßer Zustand. "Wenn ein Betroffener sein Existenzminimum einklagt, müsste nach meiner Überzeugung jedes Sozialgericht wegen der Regelbedarfe den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorlegen", sagte Borchert. Das Existenzminimum, wie es nach dem vorerst weiter geltenden Gesetz gewährt werde, entspreche nicht den Vorgaben des Grundgesetzes. "Das Bundesverfassungsgericht könnte diesen Schwebezustand mit einer einstweiligen Anordnung beenden." Aus Borcherts Senat stammte einer jener Fälle, die zum Hartz-IV-Urteil führten. In der Nacht zu Mittwoch waren Regierung und Opposition ohne Einigung auseinandergegangen und hatten sich anschließend gegenseitig die Schuld für das Scheitern gegeben. Borchert hält es zudem für möglich, dass die Sozialgerichte bedürftigen Kindern schon jetzt Teile jener Leistungen gewähren, die im Bildungspaket der diskutierten Neuregelung vorgesehen sind. Erstens gehöre diese Art von Bedarf zur Menschenwürde, zweitens sei hier häufig große Eile geboten - etwa, wenn die Versetzung des Kindes davon abhänge, dass schleunigst Nachhilfe gewährt werde. "Bei den Bildungsbedarfen für Kinder halte ich daher auch einstweilige Anordnungen unmittelbar durch die Sozialgerichte für möglich, weil hier sonst der endgültige Rechtsverlust droht. Bei Bildung zählt jeder Tag", sagte der Richter.

SPD-Fraktionsvize Heil: Sozialdemokraten sind bei Hartz-IV-Reform weiter gesprächsbereit

Die SPD hat, trotz der vorerst gescheiterten Vermittlungsverhandlungen zur Neuregelung einiger Hartz-IV-Regelungen, ihre Bereitschaft zur sofortigen Fortsetzung der Kompromisssuche mit der Regierungskoalition erklärt. Der SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Hubertus Heil, sagte in einem Interview mit der "Leipziger Volkszeitung": "Die Union wird verbreiten, wir hätten blockiert. Aber das glaubt denen doch kein Mensch. Wir sind verhandlungsbereit", hob der Sozialdemokrat hervor, der auch Mitglied im Vermittlungsausschuss ist. "Wir sind nach wie vor interessiert an einer guten Lösung und stehen für Gespräche, wenn es Bewegung gibt, auch jederzeit zur Verfügung." Zugleich attackierte Heil die CDU-Vorsitzende und Regierungschefin. "Frau Merkel hat es offensichtlich nicht geschafft, ihre Koalition so aufzustellen, dass eine gute Lösung möglich war." Die FDP habe "nichts tun wollen" gegen den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit. Und die CDU-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen habe sich beim Thema Regelsätze festgebunden. "Damit war diese Koalition nicht in der Lage, auf unsere konstruktiven Vorschläge einzugehen. Frau Merkel hat die Interessen ihrer Koalition über die Interessen unseres Landes gestellt", beklagte Heil. Der Sozialdemokrat zeigte sich überzeugt davon, dass der Regierungsplan im Bundesrat an diesem Freitag keine Mehrheit finden werde. Aus guten Gründen habe die SPD gefordert, dass sie etwas gegen den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit tun müsse, dass es einen verfassungsfesten Regelsatz geben solle und dass auch beim Bildungspaket neben der Finanzierung der Ausbau von Schulsozialarbeit stattfinden müsse. "All das ist nicht passiert. Deshalb bin ich mir sicher: Dieses Koalitionspaket wird im Bundesrat keine Mehrheit finden", so Heil.

Quelle: dts Nachrichtenagentur

 

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