"Hasskriminalität" im Netz: Aufklärung und effektive Strafverfolgung statt Einschränkung der Freiheitsrechte
Archivmeldung vom 30.03.2017
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Freigeschaltet durch André OttDie Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) ist die größte und wichtigste Fachgesellschaft für Informatik im deutschsprachigen Raum und sieht sich in der Verantwortung, Diskurse über gesellschaftliche Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnik mit der Öffentlichkeit zu führen. Die Debatte um "Hasskriminalität" im Internet ist eng verbunden mit der zunehmenden Bedeutung sozialer Netzwerke im öffentlichen Meinungsdiskurs.
Mit dem Referentenentwurf für ein "Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken" (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) sollen den Betreibern von Internetplattformen Vorgaben für das Beschwerdemanagement gemacht, eine regelmäßige Berichtspflicht auferlegt und Fristen für die Löschung rechtswidriger strafrechtsrelevanter Inhalte gesetzt werden. Das Gesetz sieht zudem Bußgeldvorschriften vor für den Fall, dass diese nicht eingehalten werden.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Deshalb begrüßt die GI grundsätzlich die Bemühungen von Politik und Wirtschaft, gegen rechtswidrige und strafbare Inhalte im Netz vorzugehen. Der Referentenentwurf für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist aus Sicht der GI allerdings - bis auf die Informationspflicht für Unternehmen - äußerst kritisch zu bewerten, da es Freiheitsrechte massiv einschränkt und große Rechtsdurchsetzungsprobleme mit sich bringt. Die GI fordert deshalb, das Gesetz zu verwerfen. Die Bundesregierung sollte stattdessen folgende Maßnahmen ergreifen:
1. Die Rechtsdurchsetzung bestehender Gesetze soll den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten mit der entsprechenden Expertise vorbehalten bleiben.
2. Gesellschaftliche Akteure, die mit ihrem Engagement eine lebendige, auf demokratischen Werten basierenden Debattenkultur im Netz stärken, müssen besser unterstützt werden.
3. Eine rechtskonforme Debattenkultur im Internet muss mit Bildungs- und Informationsangeboten gefördert werden.
4. Es müssen Empfehlungen für oder gegen die Nutzung bestimmter "social media"-Angebote ausgesprochen werden - analog zur Empfehlung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für Browsernutzung.
5. Die Betreiber von Internetplattformen müssen anderweitig verpflichtet werden, die Transparenz ihrer Netzwerkaktivitäten zu erhöhen z.B. indem diese regelmäßig Transparenzberichte erstellen (beanstandete Inhalte / gelöschte Inhalte / Datum der Anzeige / Datum der Löschung / Grund der Löschung).
Stefan Ullrich, der Sprecher der GI-Fachgruppe "Informatik und Ethik": "Der juristisch wie linguistisch schwammige Begriff der 'Hasskriminalität' im Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes öffnet der Einschränkung von Freiheitsrechten Tür und Tor. Und wir sehen große Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung des Gesetzes. Denn die Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz scheitert nicht an fehlenden Gesetzen, sondern an Fragen der Zuständigkeit sowie an der personellen wie technischen Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden."
Die GI sieht es zudem als äußerst kritisch an, dass die Rechtsdurchsetzung auf Unternehmen verlagert und damit privatisiert wird. Agata Królikowski, Präsidiumsmitglied der GI: "Wenn die Prüfung von rechtswidrigen Inhalten den Unternehmen überlassen wird und entsprechende Bußgelder bei Nicht-Löschung drohen, ist davon auszugehen, dass Meinungsäußerungen eher gelöscht werden, ohne dass eine Prüfung nach Strafbarkeitskriterien erfolgt."
Die Gesellschaft für Informatik hält ihre Mitglieder an, sich nicht nur an geltendes Recht zu halten, sondern darüber hinaus ihr Handeln an moralischen Prinzipien auszurichten, wie sie beispielsweise in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) formuliert sind. Neben der Menschenwürde und den Persönlichkeitsrechten sind es insbesondere die Freiheitsrechte, die eine lebenswerte Gesellschaft prägen. Die GI sieht insbesondere die Teile des Gesetzesentwurfs kritisch, die diese Freiheitsrechte massiv einschränken und kritisiert, dass Plattformbetreibende für moralische Verfehlungen einzelner User in juristische Haftung genommen werden sollen.
Jens-Martin Loebel, Sprecher des GI-Fachbereichs "Informatik und Gesellschaft": "Anstatt gesellschaftliche Diskurse im Internet durch neue Gesetze einzuschränken, sollten Parlament und Regierung mit der Zivilgesellschaft den etwas anstrengenderen Weg der Aufklärung und Bildung beschreiten. Vor allem bedarf es einer guten Medienkompetenz, die als eigene Kompetenz neben den technischen Kompetenzen und einer informatischen Grundbildung steht."
Die Stellungnahme der Gesellschaft für Informatik zum Referentenentwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes finden Sie unter folgendem Link: www.gi.de/Stellungnahme_NetzDG
Über die Gesellschaft für Informatik e.V.
Die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) ist mit rund 20.000 persönlichen und 250 korporativen Mitgliedern die größte und wichtigste Fachgesellschaft für Informatik im deutschsprachigen Raum und vertritt seit 1969 die Interessen der Informatikerinnen und Informatiker in Wissenschaft, Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung, Gesellschaft und Politik. Mit 14 Fachbereichen, über 30 aktiven Regionalgruppen und unzähligen Fachgruppen ist die GI Plattform und Sprachrohr für alle Disziplinen in der Informatik. Weitere Informationen finden Sie unter www.gi.de.
Quelle: Gesellschaft für Informatik e.V. (ots)