FDP-Vizechef Kubicki: „Rot-Rot-Grün? Dann siedele ich in ein anderes Land um“
Archivmeldung vom 22.02.2017
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt„Ich bin ein Gegner von Sanktionen gegen Russland“, sagt der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki. In einem Sputnik-Exklusivgespräch äußert er sich außerdem über Schulz, über FDP-Chancen, über Rot-Rot-Grün und anderes mehr.
Im Interview, das auf der deutschen Webseite des russischen online Magazins "Sputnik" anzuhören ist, heißt es: "Herr Kubicki, warum feiert die FDP in diesem Jahr ihr großes Comeback? FDP-Chef Lindner zu Steinmeier-Wahl: "Wir brauchen wieder Reform-Spirit“
Ja, weil die Menschen mittlerweile feststellen, dass im deutschen Bundestag immer noch Parteien vertreten sind, die sich ausschließlich mit der Frage beschäftigen, wie man Menschen um die Gelder erleichtern könne, die Steuererhöhungen, wie man anschließend dieses Geld möglichst so verteilen könne, dass die Menschen davon am wenigsten haben. Also, es stellt sich keiner mehr im deutschen Bundestag die Frage: Was muss da passieren, damit man das alles ordentlich erwirtschaften kann, was man verteilen will, wie funktioniert Wirtschaft und welche Rahmendaten müssen da gesetzt werden, damit es bleibt, dass sie funktioniert?
Und angesichts der Situation in den Vereinigten Staaten, mit Abschottung, mit den Aufkündigungen von Handelsabkommen, angesichts der Tatsache, dass Großbritannien die Brexit-Entscheidung jetzt im März umsetzen will und tatsächlich aus der EU austreten will, haben die Menschen wirklich das Gefühl, es kommt drauf an, unser Wohlstandsniveau zu stabilisieren und vielleicht sogar etwas auszubauen durch Handel – wir sind ja eine der stärksten Exportnationen der Welt. Und damit sehnt man sich zurück auf die Kräfte der Marktwirtschaft, der sozialen Marktwirtschaft, auch denjenigen, von denen man vermutet, dass sie von Wirtschaft auch ein bisschen was verstehen –das sind die Freien Demokraten.
Ist es auch ganz günstig für Sie – also rein von der Chronologie her – dass vor der Bundestagswahl zwei Landtagswahlen sind, bei denen Sie in Schleswig-Holstein und Herr Lindner in NRW wichtige Figuren sind und die FDP diese Wahlen sicherlich nicht schlecht abschneiden wird? Ist das ein Vorteil?
Also, es ist von Vorteil, denn wir diskutieren momentan ja auch bundesweit bei Meinungsumfragen die FDP auch immer noch bei sechs Prozent. Und es ist ja für uns schön, dass wir zwei Landtagswahlen haben, weil da sicher davon ausgegangen werden kann, dass wir in dem Bereich von zehn Prozent Plus belangen. Wir erreichen eine Größenordnung, in der man auch mit uns rechnen muss.
Wie schaffen Sie es, bei der FDP und auch bei anderen etablierten Parteien, Wähler zu gewinnen, die mit der AfD liebäugeln?
Entscheidend ist, dass man klare Positionen beziehen muss, und entscheidend ist auch, dass man dokumentiert, gerade als Freie Demokraten, als Partei der Meinungsfreiheit, dass unterschiedliche Meinungen aufeinander prallen können, dass niemand dazu sagen muss, wir dürfen eine Meinung nicht sagen, dann abgestraft wird.
Sie kennen das bei der Frage „Müssen wir Ausländer lieben, die zu uns kommen oder nein?“, Sie kennen es bei der Frage „Wie ist unser Verhältnis zu Russland“ – auch da gibt es in meiner Partei durchaus unterschiedliche Auffassungen, aber immer mit dem Ziel, das Konstruktive ist hinzubekommen.
Ich bin beispielsweise ein Gegner von Sanktionen gegen Russland, ich bin dafür, dass wir im Dialog bleiben müssen, dass wir unsere wechselseitige Befürchtungen erstmal erkennen müssen und dann auch austauschen müssen, und ich bin sicher, dass das Reden miteinander und das Handeln miteinander besser für die Völker ist als mit Säbeln zu rasseln.
Die SPD erlebt unter Martin Schulz einen unverhofften Aufwind, in Umfragen liegt sie jetzt sogar vor Kanzlerin Merkel — ist das nur ein Strohfeuer oder bleibt das so bis zur Bundestagswahl?
Ich gehe davon aus, dass dieser Martin Schulz wieder abschwächen wird. Er ist ja den meisten Deutschen ein völlig unbeschriebenes Blatt. Und es war wie eine Befreiung: Ein neues Gesicht in Deutschland! Nachdem führende Sozialdemokraten wie beispielsweise Thorsten Albig aus Schleswig-Holstein vor eineinhalb Jahren erklärt hatten, die SPD müsse gar keinen Kanzlerkandidaten aufstellen, man habe gegen Merkel ohnehin keine Chance.
Aber ich erinnere daran, wenn man sich in den sozialen Netzwerken mal umschaut: Genau vor vier Jahren fand die Inthronisierung von Peer Steinbrück statt, die die SPD um sechs Prozentpunkte nach oben brachte, auf 31 Prozent damals. Peer Steinbrück galt als kompetenter und beliebter als die Kanzlerin, doch nach zwei Monaten flachte das wieder ab.
Bei Martin Schulz müssen wir erstmal sehen, wie er sich zu wichtigen politischen Fragen inhaltlich aufstellt. Das wissen bislang noch gar nicht. Dann wird der Lack auch sehr schnell wieder abblättern, dann wird er auf sein Normalmaß zurückgestutzt werden.
Was löst bei Ihnen eine rot-rot-grüne Regierung nach der Bundestagswahl 2017 aus?
Wenn wir eine rot-rot-grüne Regierung kriegen, würde ich mir Gedanken machen, in ein anderes europäisches Land umzusiedeln.
Wenn wir eine solche Regierung bekämen, glaube ich, dass die populistischen Kräfte innerhalb dieser Strömung so massiv zunehmen würden, dass alle Menschen, die Erfolg in Deutschland haben, sich dafür rechtfertigen müssten, dass sie gutbezahlt sind. Das ist keine Gesellschaft, in der ich leben wollte.
Wir haben sehr viele Menschen, die das Geld nicht selbst verdienen, sondern das Geld anderer Leute ausgeben wollen. Dann wäre das nicht mehr eine lebensfrohe Gesellschaft hier in Deutschland.
Angenommen, Sie wären Mitglied der Bundesregierung: Wie würden Sie mit Russland umgehen, um welche Ziele zu erreichen?
Zunächst einmal würde ich versuchen, Spannungen abzubauen, durch intensive Kontakte. Und ich will auf jeden Fall keine Vorbedingungen stellen wollen, weil Vorbedingungen Treffen und Gespräche unheimlich erschweren. Ich würde mir über die Zugehörigkeit der Krim deshalb schon keine Gedanken machen, weil mein Ziel wäre, Grenzen insgesamt überflüssiger zu machen. Wenn wir das Versprechen von Anfang der Neunzigerjahre einlösen würden: Eine Handelszone von Vancouver bis Wladiwostok…
Wenn wir verstehen würden, dass Zusammenarbeit für die Beteiligten besser ist als aufzurüsten und sich in Koalitionen zu begeben, aus denen auch militärische Aktionen werden können… Wenn wir das begreifen und darauf hinarbeiten, dann ist uns allen geholfen. Und das macht man nicht mit Sanktionen, nicht mit Drohgebärden, sondern über intensive persönliche Kontakte und das Miteinanderreden."
Quelle: Sputnik (Deutschland)