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Wenn die Basis gegen die Parteiführung meutert

Archivmeldung vom 24.11.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.11.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Friedbert Pflüger, Nils Annen, Cem Özdemir: Alle drei scheiterten bei dem Versuch, von ihrer Partei zum Kandidaten für die Bundestagswahl nominiert zu werden. Immer öfter verweigern sich die Delegierten bei Personalentscheidungen den Vorgaben der Spitze. Warum? Die Basis hat genug von Intrigen.

Ingo Schmitt, Niels Annen und Cem Özdemir dürften Peer Steinbrück beneiden. Nicht etwa weil Steinbrück Bundesfinanzminister ist – oder weil er zu den populärsten deutschen Politikern zählt. Nein, Steinbrück hat am Wochenende wie geplant und gewünscht eine Hürde ohne jede Probleme genommen, an der Schmitt, Annen und Özdemir gescheitert sind: Steinbrück wurde im Wahlkreis Mettmann I mit 98 Prozent der Stimmen und viel Beifall zum Kandidaten seiner Partei für die Bundestagswahl nominiert.

Kreisdelegiertenversammlungen, Wahlkreiskonferenzen, Landesparteitage – gut sechs Monate vor der Europawahl und knapp zehn Monate vor der Bundestagswahl entscheiden die Parteien derzeit über ihre Kandidaten. Bei diesen „Vorwahlen“ haben meist Delegierte das Sagen, selten finden hingegen Urabstimmungen unter den Parteimitgliedern statt. Bei alldem werden Wahlkreisnominierungen und Listen oft in Hinterzimmern ausbaldowert. Doch just in diesen Tagen zeigt sich: Die Delegierten lassen sich nicht vorschreiben, wen sie wählen sollen – sie treffen in geheimer Wahl ihre eigene Entscheidung. Selbst wenn diese Wahl den Voten von Angela Merkel oder Franz Müntefering widerspricht – und die Parteispitze irritiert. Auf dem Weg in das Super-Wahljahr 2009 dürfte dabei noch manche Überraschung folgen.

Das beste Beispiel für einen individuellen Delegiertenwillen gab am Wochenende die krisengeschüttelte und von Intrigen geplagte Berliner CDU. Diese hatte am Samstag über ihre Liste zur Bundestagswahl am 27. September 2009 zu entscheiden. Außerdem war ein Kandidat zu küren für die Wahl zum Europäischen Parlament (7. Juni 2009). Über Jahre hinweg, muss man wissen, fällt die Berliner CDU mit Pannen, Peinlichkeiten und Profilneurosen auf. Zuletzt lieferten sich der einstige Fraktionschef Friedbert Pflüger und der frühere Landesvorsitzende Ingo Schmitt einen Machtkampf. Die Delegierten zogen daraus ihre Konsequenz.


Hoffnungsträger vor dem politischen Aus


Pflüger, der im Jahre 2006 sein Amt als Staatssekretär im Verteidigungsministerium aufgegeben hatte mit der Absicht, die daniederliegende Berliner CDU aufzumöbeln, war erst kürzlich als Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus abgewählt worden. Nunmehr hieß sein Plan: Last Exit Europa. Sowohl die CDU-Vorsitzende Merkel als auch Altbundespräsident Richard von Weizsäcker machten sich intern für ein Mandat Pflügers in Straßburg stark.

Dies ließ sich gut damit begründen, dass Pflüger außen- und europapolitisch kundig ist. Und war sein Einsatz, in der Hauptstadt-CDU aufzuräumen, nicht höchst ehrenwert? Die Delegierten aber ließen all dies nicht gelten. In einer Kampfabstimmung um die Spitzenkandidatur für die Europawahl obsiegte Joachim Zeller, Wirtschaftsstadtrat im Berliner Bezirk Mitte. Für Pflüger votierten nicht einmal 40 Prozent seiner Partei. Nun steht der einstige Hoffnungsträger vor dem politischen Aus.

Die Berliner CDU verpasste sogleich noch Pflügers Widersacher Ingo Schmitt eine Quittung. Der Strippenzieher mit dem charmanten Kosenamen „das lachende Eisbein“ will in den Bundestag und kandidiert dazu im Wahlkreis Charlottenburg/Wilmersdorf. Dieser wiederum wird bislang jedoch von einer Frau Merkel vertreten. Auch wenn diese auf den Vornamen Petra hört und Sozialdemokratin ist, macht es die Sache für Schmitt nicht leichter. Kurzum: Er ist auf einen sicheren Listenplatz angewiesen, will er im Plenum des Bundestages Platz nehmen. Genau dies aber verweigerte ihm jene Partei, die er vor wenigen Tagen noch geführt hat. Auf den dritten Listenplatz wählten die Delegierten stattdessen die Neuköllner CDU-Chefin Stefanie Vogelsang.


Mit einer Stimme Mehrheit

Ein Mangel an Intrigen kann der Hamburger Sozialdemokratie ebenso wenig nachgesagt werden; sie befindet sich, ganz wie die Berliner CDU, seit einigen Jahren in der Opposition, und auch sie leidet unter einem populären Bürgermeister. In Hamburgs einst stolzer SPD, der Partei von Herbert Wehner, Helmut Schmidt und Klaus von Dohnanyi, konzentrierten sich die Intrigen auf den Bundestagswahlkreis Eimsbüttel. Den hatte bei der letzten Wahl der frühere Juso-Vorsitzende Niels Annen geholt, mit sicherem Abstand zum Kandidaten der CDU. Annen ist einer der Köpfe des linken Parteiflügels, wird aber darüber hinaus in weiten Teilen der SPD geschätzt und profilierte sich in den vergangenen Jahren als junger Außenpolitiker.

Eine erneute Kandidatur in Eimsbüttel hatte Annen ebenso eingeplant wie seine zweite Legislaturperiode in Berlin. Dann aber trat der 27-jährige Danial Ilkhanipour auf, meldete in letzter Minute seine Kandidatur an – und dies zu einem Zeitpunkt, als die Delegierten bereits bestimmt worden waren. Pikant wird die Sache dadurch, dass Ilkhanipour einst für Annens Fraktionskollegen Johannes Kahrs gearbeitet hat; beide Abgeordnete sind in gegenseitiger Abneigung verbunden. Kahrs hat zudem ein Faible für parteiinterne Ranküne. Wieder einmal soll er die Strippen gezogen haben. Vielleicht war es das, was den SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering motiviert hat, sich für Annen starkzumachen. Selbst etliche „Seeheimer“ sprachen sich für Annen aus. Mit einer Stimme Mehrheit aber setzte sich Ilkhanipour als Wahlkreiskandidat durch.

Auch die Grünen begehrten erst kürzlich gegen ihre Spitze auf. Noch vor seiner Wahl zu ihrem Vorsitzenden hatte Cem Özdemir eine zweifache Niederlage einstecken müssen. Auf dem Parteitag der baden-württembergischen Grünen unterlag Özdemir zunächst bei seiner Bewerbung um den sechsten Listenplatz – gegen den linken, aber weithin unbekannten Grünen Winfried Hermann. Nun kandidierte Özdemir um Platz acht; hier aber setzte sich der Verkehrsexperte Alexander Bonde gegen den Parteichef in spe durch. Kommentarlos packte Özdemir daraufhin seinen Rucksack und verließ den Parteitag.

In der SPD erwartet man derweil mit Spannung, wer sich aus den eigenen Reihen zweier prominenter Gegner annehmen wird. So will SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel den Linken-Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi in Berlin-Treptow herausfordern. In Berlin-Kreuzberg/Friedrichshain möchte der frühere Juso-Chef Björn Böhning das – vier Jahrzehnte ältere – grüne Urgestein Hans-Christian Ströbele beerben.

Wasserhövel wie Böhning, so einflussreich sie innerhalb der SPD sind, müssen sich aber zunächst gegen interne Konkurrenten durchsetzen, bevor sie dann Gysi und Ströbele Paroli bieten dürfen. Böhning liegt bei einem (nicht verbindlichen) Mitgliedervotum vorn. Die offiziellen Nominierungen aber stehen erst in der Woche nach dem ersten Advent an. Empfehlungen aus der Parteispitze werden Wasserhövel und Böhning wohl ihrer Basis ersparen – wenigstens in diesem Punkt dürften sie aus den Vorgängen in Berlins CDU lernen.

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