Islamismus-Experten: Verbote können Radikalisierung verstärken
Archivmeldung vom 02.08.2024
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićNach dem jüngsten Verbot des Islamischen Zentrums Hamburg warnen Islamismus-Experten davor, dass eine repressive Politik im Kampf gegen den Islamismus kontraproduktiv sein kann, und fordern flankierende Maßnahmen.
"Die Gefahr, dass eine verbotsorientierte Politik zu einer stärkeren
Radikalisierung führt, ist durchaus gegeben", sagte die
Co-Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter
Extremismus, Jamuna Oehlmann, der "Rheinischen Post". "Wenn Mitglieder
solcher Gruppierungen das Gefühl haben, ungerecht behandelt oder
verfolgt zu werden, kann dies ihre ideologischen Überzeugungen
verstärken und zur weiteren Entfremdung von der Gesellschaft beitragen",
sagte Oehlmann.
Ein weiterer Aspekt sei, "dass auch andere
islamistische Akteure durch solche Verbote entstehende Ressentiments
gezielt für sich nutzen, um Anhänger zu gewinnen und zu mobilisieren.
Hier muss vor allem mit Bildungs- und Präventionsarbeit angesetzt
werden", forderte die Co-Chefin des gemeinnützigen Vereins zur Stärkung
von der Demokratieförderung und Prävention von religiös begründetem
Extremismus. "Neben Verboten sollte der Staat daher noch stärker
Projekte der Präventionsarbeit und Demokratieförderung, aber auch
Regelstrukturen der Bildung und Sozialen Arbeit unterstützen", forderte
Oehlmann. Besonders im Online-Bereich müssten zivilgesellschaftliche
Ressourcen ausgebaut werden, "um islamistischen Inhalten zum Beispiel
auf Tiktok und Instagram mehr entgegensetzen zu können", so Oehlmann.
Der
Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück sagte
der "Rheinischen Post": "In der Wissenschaft sprechen wir von
Co-Radikalisierung, wenn staatliche Maßnahmen nicht gewollte Effekte
erzeugen. Man will eigentlich ein Phänomen einschränken, trägt aber zu
dessen Verstärkung bei." In den Behörden müsse genau abgewogen werden,
was man mit bestimmten Maßnahmen erreichen könne, was mögliche negative
Effekte seien und wie diese verhindert werden könnten. "Dazu müssen
verschiedene Ressorts gut und reflektiert zusammenarbeiten. Das ist im
politischen Geschäft nicht einfach, in dem oft schnelle Reaktionen
verlangt werden und es zu voreiligem Handeln kommen kann", so Kiefer.
Er
verwies auf eine interministerielle Arbeitsgruppe in
Nordrhein-Westfalen, in der das Schul-, Jugend- und Innenministerium von
NRW mit einem Expertenkreis zusammensäßen. "In dieser Arbeitsgruppe, in
der ich auch Mitglied bin, wird über Präventionsmaßnahmen diskutiert
und Rat eingeholt. Im Bund ist in diese Richtung noch Luft nach oben",
so Kiefer.
Eine wirkungsvolle Strategie gegen Islamismus könne
"nicht nur repressive Methoden" umfassen. Die Frage sei, was man mit den
Adressaten solcher Organisationen mache. "Da brauchen wir eine
langfristig angelegte, effektive Präventionsarbeit gegen
Radikalisierung. Bund, Länder und Kommunen könnten hier noch deutlich
mehr tun", so Kiefer weiter.
Quelle: dts Nachrichtenagentur