Interview mit dem Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn zu Afghanistan und der ,,grünen Marktwirtschaft"
Archivmeldung vom 08.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Grünen mussten die Rolle des Neulings in der Parteienlandschaft an die Linke abtreten. Ein Fünf-Parteien-System birgt für die nun Arrivierten Zündstoff. Während Ex-Umweltminister Jürgen Trittin sich Koalitionen mit der Linken vorstellen kann, bremst Fraktionschef Fritz Kuhn:
"Es gibt massive Differenzen in der Wirtschafts- und Außenpolitik." Kuhn war es, der die Partei auf den Kurs einer "grünen Marktwirtschaft" verpflichtete. Und Kuhn stellte sich gegen die Parteilinie bei der Abstimmung auf dem Göttinger Sonderparteitag über den Afghanistan-Kurs und votierte für das ISAF-Mandat samt Tornado-Einsätzen. Im Gespräch mit der Landeszeitung Lüneburg warnt Kuhn vor einem Automatismus bei der Ausweitung des Mandates am Hindukusch. Ohnehin könne das Militär nur die zivile Stabilisierung flankieren.
Sie haben Ihre Partei auf eine "grüne Marktwirtschaft"
verpflichtet. Kann der Markt die Herausforderungen des Klimawandels
schultern? Fritz Kuhn: Der Markt alleine sich selbst überlassen kann
das sicher nicht. Im Stern-Report für die britische Regierung wurde
der Klimawandel als "größtes Marktversagen aller Zeiten"
charakterisiert. Deshalb meint "grüne Marktwirtschaft": klare
Rahmenbedingungen, die Ökologie zu Leitplanken für die globale
Wirtschaft machen. Existieren solche Leitplanken, sind Märkte gute
Instrumente, um effektive Lösungen zu suchen. So brauchen wir
beispielsweise bei der Automobilindustrie staatlich festgelegte
Verbrauchsobergrenzen, weil die Konzerne selbst bei dieser Aufgabe
versagten.
Soll der Staat ordnungspolitisch eingreifen, um das 3-Liter-Auto
durchzusetzen? Kuhn: Ja, er muss einen Rahmen vorgeben -- etwa wie
die EU, die eine Obergrenze von 120 Gramm CO2 pro Kilometer bis 2012
definiert hatte. Ich bin sehr enttäuscht, dass die deutsche
Automobilindustrie -- unterstützt von Kanzlerin Merkel und
Umweltminister Gabriel -- die Chance nicht erkannt hat, die in dieser
Obergrenze lag. In zehn Jahren wird nur noch der auf dem Weltmarkt
Autos verkaufen, der bei der Ökologie die Nase vorn hat. Steht
Deutschland weiter auf der Bremse, werden wir auch wirtschaftliche
Nachteile haben. Lange galt bezogen auf die Grünen das Vorurteil, sie
verstünden nichts von Wirtschaft. Jetzt dreht sich die Einstellung.
Immer mehr verstehen, dass nur der Profite erwirtschaften wird, der
rechtzeitig in Ökologie investiert.
Ordnungspolitik ist auch beim Umgang mit der Gentechnik gefragt.
Setzt das neue Gentechnikgesetz den richtigen Rahmen? Kuhn: Es bringt
zwar an einigen Stellen einen Fortschritt, aber es fehlt ihm an
Konsequenz. Seehofer ist vor allem bei der Regelung für Tierfutter zu
kurz gesprungen. Hier kann Fleisch als gentechnikfrei deklariert
werden, selbst wenn in geringem Umfang gentechnisch veränderte
Pflanzen verfüttert worden sind. Als verhinderter Gesundheitsminister
scheint sich Seehofer nicht wirklich für Landwirtschaft und
Verbraucher zu interessieren, die nun in sein Ressort fallen. Ich
will beim Einkaufen definitiv wissen, ob es sich beim Fleisch um ein
gentechnikfreies Produkt handelt. Und das leistet das neue Gesetz
nicht.
Passt der Staat bei neuen Technologien mit unklarem Gefahrenpotential
nicht grundsätzlich lediglich seine Konzepte an den Stand der Technik
an? Kuhn: Wir müssen die Balance aushalten zwischen technischem
Fortschritt und Risikoabschätzung. Nehmen wir die Nanotechnologie,
die ein riesiges Potenzial aber auch ein paar Gefahren birgt. Man
muss nicht erst Kosmetika mit Nano-Partikeln auf den Markt bringen,
um deren Wirkungen dann zu erforschen, sondern man sollte dies schon
in einem viel früheren Stadium der Entwicklung tun. Geschieht das
rechtzeitig, sind bereits neue Verfahren zur Risikominimierung im
Produkt enthalten, was den wirtschaftlichen Erfolg begünstigt.
Soll der Staat so das Versagen der Märkte verhindern? Kuhn: Das kann
er nicht in letzter Konsequenz, aber er kann uns -- im Zusammenspiel
mit den Märkten -- vor dem größten Unsinn bewahren.
Muss die Marktmacht etwa der deutschen Energiegiganten für solche
Zwecke gebrochen werden? Kuhn: Die Macht muss nicht gebrochen werden,
aber der Staat muss erstmal einen Markt herstellen. Noch können die
"Großen Fünf" in Deutschland nach Gutsherrenart die Preise bestimmen.
Hier muss der Staat Wettbewerb auf einem funktionierenden Markt erst
begründen. Dann würde sich auch der künstliche Gegensatz von Staat
und Markt auflösen. Ein funktionierender Markt auf der Suche nach der
besten Energietechnik würde großen Kohlekraftwerken keine Chance
lassen, sondern auf die erneuerbaren Energien setzen. Dazu bedarf es
aber Transparenz: Auf Elektrogeräten sollte zum Beispiel draufstehen,
wie viel CO2 die Geräte während ihrer Lebensdauer emittieren. Dies
würde die Rechte des Verbrauchers stärken.
Ökologisch korrekte Preise fehlen nicht nur bei Elektrogeräten. Wie
hoch müsste der Benzinpreis sein? Kuhn: Ich will mich da nicht in
Rechenkunststücke versteigen, weil wir mit der 5-Mark-Diskussion vor
einigen Jahren schwierige Erfahrungen gemacht haben. Zwar war der
Preis unter den damaligen Umständen ökologisch korrekt berechnet,
aber wir hatten die sozialen Kosten nicht berücksichtigt. In dem
neuen Konzept versuchen wir ökologische und soziale Komponenten
zusammenzufügen. Richtig ist allerdings, dass Preise nicht die
ökologische Wahrheit darstellen. Ich kann von Berlin nach Neapel für
19,90 fliegen, doch für das Taxi von meiner Wohnung zum Flughafen
zahle ich 50 Euro. Das ist grotesk: Wir müssen schrittweise zu einer
Bepreisung der CO2-Verschmutzung kommen. Die Ökosteuer war national
und Emissionszertifikate waren international Schritte in die richtige
Richtung. Die Preise für Öl und seine Folgeprodukte werden von selbst
steigen, alleine, weil die fossilen Ressourcen knapper werden.
Folglich beginnt eine Phase, in der sich Energieeinsparungen lohnen.
Vor zehn Jahren bei einem Barrelpreis von 20 Dollar mag meine
Dachisolierung noch idealistisch gewesen sein, jetzt, da das Öl 100
Dollar kostet, rechnet sie sich.
Wenn so viel Rahmenbedingungen neu gesetzt werden müssen, wo bleibt
dann Ihre Absage an die Staatsgläubigkeit der Linken? Kuhn: Wir
glauben nicht, dass der Staat alles regeln soll, aber er muss die
Ziele festlegen. Aber die wirtschaftlichen Ergebnisse werden nicht
dadurch besser, dass der Staat sich in alles einmischt. Was der
Wettbewerb leisten kann, soll er auch ungestört leisten dürfen.
Soll die Herausstreichung des Begriffes Marktwirtschaft den Boden
ebnen für schwarz-grüne Koalitionen? Kuhn: Nein, das wäre eine
Fehldeutung. Mein Satz: "Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben"
ist keine Koalitionsaussage. Aber wir denken, dass die alte soziale
Marktwirtschaft der Nachkriegszeit, die ihre sozialen Erfolge durch
Umverteilung großer Wachstumsgewinne erzielt hat, heute -- im
Zeitalter der Globalisierung -- keine Antworten mehr gibt. Und die
neue Marktwirtschaft der Neoliberalen, mit ihrer kompletten
Herausdrängung des Staates, führt in den Wahnsinn. Soziale und
ökologische Ergebnisse kann ein sich selbst überlassener Markt nicht
erbringen. In meiner Partei haben anfangs manche gezuckt bei dem
Begriff, doch "grüne Marktwirtschaft" steht für das Setzen ökologisch
und sozial sinnvoller Rahmenbedingungen -- deshalb haben wir auf dem
Parteitag dafür auch eine breite Mehrheit bekommen. Wir wollen unsere
wirtschaftspolitische Kompetenz künftig stärker he"rausstreichen.
Gezuckt haben die Grünen auch bei Ihrem Lob für Airbus als Beispiel
gelungener europäischer Industriepolitik. Es wurde aus Ihrem
ursprünglichen Entwurf gestrichen. Warum? Kuhn: Bei dem Begriff
Airbus haben alle nur an die Flugzeug-Giganten gedacht. Gemeint
hatten wir Airbus aber als Beispiel gelungener Zusammenarbeit
zwischen Nationen bei Forschung und Entwicklung in Dimensionen, die
ein Land allein nicht erreichen könnte. Wir hatten die Methode Airbus
gemeint, nicht das Produkt -- doch das war schwer zu kommunizieren.
In der Wirtschaftspolitik gelang der Schwenk, in der Außenpolitik
misslang er. Der Sonderparteitag forderte einen Bruch. Bereut ihre
Partei die Jahre, in denen sie den Außenminister stellte? Kuhn: Nein,
an der Basis wird die rot-grüne Zeit positiv gesehen. Wir haben uns
nicht in das Irak-Abenteuer hineinziehen lassen und sowohl auf dem
Balkan als auch in Afghanistan mit unseren Konzepten dafür gesorgt,
dass dort stabilere Verhältnisse herrschen. Der Streit in Göttingen
ging nicht um die Frage, ob dort deutsche Truppen sein sollen,
sondern um die richtige Strategie vor Ort. Unter bestimmten
Bedingungen -- etwa einer Beauftragung durch die UNO -- kann auch ein
militärischer Einsatz im Ausland sinnvoll sein. Wir haben viel
gelernt in Afghanistan. Etwa, dass der militärische Einsatz nur die
notwendige Ergänzung zu einem zivilen Stabilisierungsprogramm sein
kann. Auch, dass vorher über die Frage diskutiert werden muss, wie
man wieder rauskommt aus dem Einsatzgebiet. Frage ich in den
Ortsverbänden, ob sie zu unserer Verantwortung für die Afghanen
stehen, sagen die alle Ja. In Frage gestellt werden allerdings die
Mittel, die eingesetzt werden. Wir gucken auch künftig genau hin,
sind gegen Automatismen bei Militäreinsätzen, aber auch gegen ein
pauschales Nein, womit es sich die Linkspartei viel zu einfach macht.
Sie persönlich haben es sich schwer gemacht und sich der reinen
pazifistischen Lehre verweigert, für das ISAF-Mandat gestimmt. Jetzt
ersetzt die Bundeswehr im Norden Afghanistans einen norwegischen
Verband, entsendet erstmals einen Kampfverband. Stehen Sie zu Ihrer
Entscheidung? Kuhn: Wir werden genau hinschauen bei diesem Einsatz,
ob er auch wirklich im Rahmen des bestehenden Mandates liegt. Gibt es
allerdings irgendwelche Pferdefüße, etwa Bestimmungen, die die
bisherige Strategie der Bundeswehr in Afghanistan ändern, würden wir
auch Nein sagen. Das heißt auch, dass wir einen Einsatz der
Bundeswehr im Süden ablehnen. Die Bundeswehr muss ihre Aufgabe im
Norden erfüllen. Meine Entscheidung -- entgegen des Göttinger
Beschlusses -- für das ISAF-Mandat samt Tornado-Einsatz zu stimmen,
hat den einfachen Grund, dass mich der Einsatz von
Aufklärungsflugzeugen nicht am Sinn des ISAF-Mandates zweifeln lässt.
Ich habe mich auch gefragt, was wohl die Afghanen sagen würden, die
ihre Hoffnung auf uns setzen, wenn wir sie jetzt allein lassen
würden. Wenn man sich bei uns gegen die Parteilinie stellt -- was ich
zum ersten Mal gemacht habe -, steht man in einer besonderen
Begründungspflicht. Ich denke, ich habe nachvollziehbar machen
können, dass meine Abstimmungsabweichung fundiert begründet war und
eng mit meiner Glaubwürdigkeit zusammenhing. Kann man die behalten,
ist dies in der Politik manchmal ein Pfund, mit dem man wuchern kann.
Das Interview führte Joachim Zießler
Quelle: Landeszeitung Lüneburg