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Politikwissenschaftler Prof. Dr. Oskar Niedermayer: Anfangseuphorie reicht nicht aus

Archivmeldung vom 03.02.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 03.02.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Bild: Dirk Vorderstraße, on Flickr CC BY-SA 2.0
Bild: Dirk Vorderstraße, on Flickr CC BY-SA 2.0

Die SPD erlebt mit dem "Neuen" Martin Schulz einen Aufschwung in den Umfragen. Ob diese Anfangseuphorie um den Kanzlerkandidaten bis zu Bundestagswahl trägt, ist "überhaupt nicht absehbar", betont Prof. Dr. Oskar Niedermayer im Gespräch mit unserer Zeitung. Die SPD benötige ein Wahlkampfthema mit Alleinstellungsmerkmal, da bisherige Themen keinen Umschwung brachten, sagt der Politikwissenschaftler.

Die SPD legt in Umfragen deutlich zu. Hat Sigmar Gabriel mit seinem Verzicht zu Gunsten von Martin Schulz also alles richtig gemacht?

Prof. Dr. Oskar Niedermayer: Ja, das denke ich schon. Er wusste um seine schlechten Umfragewerte in der Bevölkerung. Und er wusste, dass in seiner Partei bei weitem nicht jeder hinter ihm steht. Deshalb war der Verzicht sinnvoll.

Ist es für Schulz eher ein Vorteil oder ein Nachteil, dass er weder Kabinettsmitglied noch Bundestagsabgeordneter ist?

Niedermayer: Beides. Einerseits ist es so, dass die Nichtverwurzelung in der nationalen Politik eher ein Nachteil ist, weil er sich jetzt in kurzer Zeit in alle Facetten der Innenpolitik einarbeiten muss. Andererseits ist es ein Vorteil, weil er freier im Wahlkampf agieren kann, denn er ist nicht wie Gabriel weiter in die Kabinettsdisziplin eingebunden und kann so zum Beispiel auch Frau Merkel lockerer angreifen.

Spiegeln die Umfragewerte auch die Sehnsucht der Bürger nach Politikern mit mehr Volksnähe wider?

Niedermayer: Ich bin bei der Beurteilung der jüngsten Umfragewerte sehr vorsichtig. Das ist ein Impuls der Bürger auf den riesigen Medienhype, der um Schulz gemacht wurde in den vergangenen Tagen. Und es ist das Gefühl, dass es mit Schulz im Vergleich zu Gabriel nur besser werden kann. Die Frage ist aber, ob diese Anfangseuphorie, die auch in der Partei selbst zu spüren ist, den gesamten Wahlkampf lang trägt. Das kann man jetzt noch überhaupt nicht absehen.

Kern-Klientel der SPD sind die Arbeiter. Seit der Agenda 2010 sind aber viele Arbeiter zur Linkspartei abgewandert. Und bei den vergangenen Wahlen hat auch die AfD viele Arbeiter gewinnen können. Wie kann Schulz diese Wähler zurückgewinnen?

Niedermayer: Das wird davon abhängen, wie er sich in naher Zukunft positioniert. Es wird natürlich extrem schwer werden, gleichzeitig alle Wählergruppen zurückzugewinnen, die die SPD in der Vergangenheit an die verschiedensten Parteien verloren hat. Denn diese Wählergruppen haben natürlich unterschiedliche Interessen.

Steckt die SPD insofern in der Klemme?

Niedermayer: Ja. Das zeigt auch die Tatsache, dass seit der Bundestagswahl 2013 bis hin zum Herbst 2015, als die Flüchtlingskrise begann, die Umfragewerte der SPD wie fest gemauert waren - und die SPD seither auch nicht von der Schwäche der Union in der Flüchtlingskrise profitieren konnte. Dass die Werte jetzt kurzfristig nach oben gegangen sind, sagt noch gar nichts.

Die SPD konnte nicht einmal davon profitieren, dass sie Wahlversprechen, die sie vor der Bundestagswahl 2013 gemacht und später auch eingelöst hat wie den Mindestlohn, die Rente mit 63 oder die Einführung der Frauenquote, denn Meriten der Koalition werden eher der Partei zugewiesen, die den Regierungschef stellt.

Die SPD muss sich nun fragen, mit welchen Themen sie im Wahlkampf tatsächlich noch punkten will. Es müsste ein Thema sein, das einerseits im Bereich ihres Markenkerns der sozialen Gerechtigkeit liegt, andererseits aber auch eine Art Alleinstellungsmerkmal im Parteiensystem darstellt, damit die Leute sagen, ich muss die SPD wählen.

Haben Sie eine Vorstellung, was das für ein Thema das sein könnte?

Niedermayer: Nein. Aber es gibt natürlich ein paar Themen, die man immer wieder bringen kann. Man kann sagen, dass die Löhne steigen sollen - das ist aber Sache der Tarifpartner. Man kann sagen, dass der Mindestlohn steigen soll. Dass man eine sozial gerechte Steuerreform haben will - wobei man beim Thema Steuern sehr vorsichtig sein muss, das haben schon andere Parteien erleben müssen.

Man kann sagen, dass man die internationalen Konzerne stärker in die Pflicht nehmen will. Aber das sind alles keine Themen, die die Bürger mobilisieren. In der vergangenen eineinhalb Jahren geht es fast nur noch um ein Thema: die Flüchtlingskrise.

Und da hat die SPD fast alles mitgetragen, was die Union gemacht hat. Sich jetzt davon abzusetzen, dürfte nicht ganz einfach werden - auch weil es in der SPD-Anhängerschaft sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gibt. Dann käme noch die Sicherheitspolitik infrage. Die ist allerdings traditionell eine Domäne der Union. Anders ausgedrückt: Mir drängt sich kein Thema auf, bei dem ich sagen würde, das wäre das Gewinnerthema für die SPD.

Schulz hat angekündigt, um die Mitte kämpfen zu wollen. Das wollen aber auch CDU, FDP und Grüne. Gibt es diese heiß umworbene überhaupt noch und wie ist sie definiert?

Niedermayer: Die Mitte gibt es natürlich, wenn man schaut, wo sich die Bürger ideologisch selbst einordnen, wenn sie gefragt werden: die Mehrheit ordnet sich um dem Mittelpunkt herum ein, die Minderheit am ganz linken oder rechten Rand. Was das für die einzelnen Politikbereiche bedeutet, ist aber eine ganz andere Frage.

So sind zum Beispiel viele Bürger, die sich der Mitte zuordnen, nicht mit der liberalen Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin einverstanden. Das wird von vielen aber schon als rechte Haltung angesehen. Klar ist: Je weiter man zu den Rändern kommt, desto schwieriger wird es für eine Volkspartei, unterschiedliche Interessen von unterschiedlichen Gruppen einzubinden. Das ist immer eine Gratwanderung.

Die AfD hat in jüngsten Umfragen an Zustimmung eingebüßt. Gibt es eine Art Trump-Effekt, weil man sieht, was passiert, wenn Populisten an der Macht sind?

Niedermayer: Ich glaube, dass das die AfD-Wähler nicht so stark abschreckt. Eher dürfte die Aufregung um die Höcke-Rede etwas bewirkt haben. Einige Bürger, die die AfD nicht aus Überzeugung sondern aus Protest wählen, dürften zurückgeschreckt sein, weil die Partei in ihren Augen zu weit nach rechts abdriftet. Es könnte auch sein, dass einige Bürger wegen des Hypes um Schulz wieder zur SPD tendieren. Aber das ist noch lange kein fester Wählerstamm.

Glauben Sie, dass die AfD sich trotz der vielen Skandal und des Gezerres um Posten noch lange im zweistelligen Bereich halten kann?

Niedermayer: Ich glaube, dass die Chancen dafür relativ hoch sind. Aber es kommt auf den Verlauf des Wahlkampfes an und darauf, was in dieser Zeit in den Bereichen Flüchtlingspolitik und Terror noch geschieht. So würden wieder stark steigende Flüchtlingszahlen natürlich der AfD nutzen. Streit hat der AfD bisher nur geschadet, wenn er richtig brutal wurde wie Mitte 2015, als der Lucke-Flügel die Partei verlassen hat.

Wer ist denn der größere Gegner für Bundeskanzlerin Angela Merkel: Horst Seehofer oder Martin Schulz?

Niedermayer: Eindeutig Martin Schulz. Denn Horst Seehofer hat gerade sehr deutlich gemacht, dass er und die CSU trotz der Differenzen in der Flüchtlingspolitik hinter Merkel stehen. Es war schon immer so und wird auch dieses Mal so sein, dass die Union einen gemeinsamen Wahlkampf führt.

Die Frage der Obergrenze für Flüchtlinge wird man einfach ausklammern, in dem die CSU einen eigenen Bayern-Plan aufstellt - was nicht das erste Mal wäre - und dort zum Beispiel die Obergrenze herein schreibt. Denn Seehofer weiß natürlich, dass es für beide Parteien sehr schlecht wäre, wenn der Streit noch in die heiße Phase des Wahlkampfes hineingetragen werden würde.

Glauben Sie, dass die zunehmende Politisierung der Bürger anhalten wird und es weiterhin hohe Wahlbeteiligungen geben wird?

Niedermayer: Es ist schwierig, von allgemeiner Politisierung zu reden. Tatsächlich hat die AfD von der steigenden Wahlbeteiligung weitaus am stärksten profitiert. Es gibt eine Mobilisierung von Bürgern, denen die Richtung der Flüchtlingspolitik nicht passt. Die sich sagen, ich bleibe aus Frust nicht länger zuhause, sondern wähle aus Protest die AfD.

Könnte denn nicht auch der umgekehrte Fall eintreten: Bisherige Nichtwähler sehen, dass die AfD so hohe Zustimmungswerte hat, und gehen dieses Mal zur Wahl, um die anderen Parteien zu unterstützen?

Niedermayer: Natürlich könnte es eine Art von Gegenmobilisierung geben, wenn sich im Laufe des Wahlkampfes abzeichnet, dass die Werte für die AfD noch stärker steigen. Aber eine solche Mobilisierung zeichnet sich derzeit noch nicht ab.

Das Interview führte Werner Kolbe

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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