Verfassungsschutz: Rechtsextremisten nutzen Angst vor Flüchtlingen
Archivmeldung vom 13.04.2015
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDer Verfassungsschutz warnt nach den Ereignissen von Tröglitz davor, dass Rechtsextremisten die Sorgen beim Thema Flüchtlinge gezielt ausnutzen. So bildete die sogenannte Anti-Asyl-Agitation bereits 2014 "einen Schwerpunkt der rechtsextremistischen Szene", berichtet die Zeitung "Welt am Sonntag".
Demnach richtete sich jede dritte Demonstration dieser Personengruppe gegen bestehende oder geplante Asylunterkünfte. Die Bundesregierung hatte zuletzt unter anderem die von der rechtsextremen Szene beeinflussten Demonstrationen gegen Flüchtlinge für die wachsende Zahl von Angriffen auf Unterkünfte verantwortlich gemacht. Im Osten gelinge es der rechten Szene vermehrt, Informationsabende und bürgerliche Demonstrationen für sich zu vereinnahmen.
"Wir beobachten vermehrt, dass Rechtsextreme solche Veranstaltungen besuchen, auf denen für Akzeptanz gegenüber Flüchtlingen geworben werden soll. Dort versuchen sie dann zu stören", sagte Gordian Meyer-Plath, Verfassungsschutz-Präsident in Sachsen, der "Welt am Sonntag". Die Zahl der Veranstaltungen sowie der Teilnehmer mit direkt rechtsextremistischen Bezügen steige seit ein paar Monaten "vor dem Hintergrund der breiten öffentlichen Diskussionen über Flüchtlinge", so Meyer-Plath.
Flüchtlingsbeauftragte Özoguz beklagt "tägliche Hassmails"
Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), sieht sich ständigen Drohungen und Beschimpfungen ausgesetzt. "Die Hassmails gehen nahezu täglich in meinem Büro ein. Die Anfeindungen kommen per Mail, Brief oder über soziale Netzwerke wie Facebook", sagte die Staatsministerin im Interview der "Welt am Sonntag".
Auch bekomme sie Briefe, in denen steht: "Du gehörst am nächsten Baum aufgehängt." Özoguz beklagte: "Bedrohungen, wie sie ein Lokalpolitiker oder wie ich eine Bundespolitikerin erleben muss, gehen gar nicht. Jeder, der so etwas erlebt, kann es da mit der Angst zu tun bekommen." Sie habe den Eindruck, so Özoguz, "dass sich solche Drohungen und Beschimpfungen derzeit nicht abstellen lassen". Sie seien Teil des Alltags geworden.
Zuvor hatten die Drohungen gegen den früheren Bürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth (parteilos), und gegen den für den Burgenlandkreis zuständigen Landrat Götz Ulrich (CDU) bundesweit für Empörung gesorgt. Scharfe Kritik übte die Staatsministerin im Kanzleramt an Facebook, wo Özoguz "regelmäßig wüste Beschimpfungen oder Drohungen" erlebt. Sie habe über ihr Büro bei Facebook angefragt, "ob bestimmte Personen nicht besser moderiert werden können oder ob man nicht wenigstens einen genauen Blick auf sie werfen sollte", so Özoguz. "Wir hatten aber keinen Erfolg. Ich habe das Gefühl, da gibt es derzeit keine Grenze."
Auf die Frage, ob Plattformen wie Facebook stärker eingreifen sollten, sagte die SPD-Politikerin: "Ich würde das unterstützen. Ich habe aber den Eindruck, dass Facebook das ganz entspannt sieht: Dort betrachtet man sich eher als neutrale Plattform, auf der die Nutzer die Inhalte bestimmen."
Alarmiert zeigte sich die Flüchtlingsbeauftragte über die Aussage des Landrats des Burgenlandlandkreises, wonach er für die Sicherheit der kommenden Flüchtlinge in Tröglitz nicht garantieren könnte: "So eine Aussage ist in der Tat neu. Ich kann schon verstehen, dass ein Landrat nicht einsam und allein für die Sicherheit von Flüchtlingen in Haftung genommen werden will. Zugleich ist dieses Bekenntnis ein Armutszeugnis für Deutschland. Das muss uns aufrütteln."
Özoguz stellte auch fest: "Niemand kann Flüchtlingen eine hundertprozentige Sicherheit garantieren, so wenig sie für jedermann garantiert werden kann. Im Moment stellen wir fest, dass mancherorts die Gefahr für Flüchtlinge - zumindest gefühlt - größer wird. Das müssen wir sehr ernst nehmen."
Steinmeier: "Die Ereignisse von Tröglitz sind eine Schande"
Außenminister Frank-Walter Steinmeier fürchtet, dass der Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Tröglitz das Ansehen Deutschlands beschädigt. "Die Ereignisse von Tröglitz sind eine Schande", sagte der SPD-Politiker der "Welt am Sonntag". "Wir sollten nicht überrascht sein, dass auch bei unseren Partnern in der Welt mit großer Sorge registriert wird, wenn in Deutschland Flüchtlingsunterkünfte brennen, und dass genau verfolgt wird, wie die deutsche Gesellschaft darauf reagiert." Eine breite Mehrheit in Deutschland lehne Fremdenfeindlichkeit allerdings klar ab, betonte Steinmeier.
Mit Blick auf das Treffen der G7-Außenminister in der kommenden Woche in Lübeck sagte er: "Wir werden Deutschland auch im Jahr unserer G-7-Präsidentschaft als tolerantes, weltoffenes und seiner Verantwortung bewusstes Land präsentieren."
Steinmeier rief eindringlich dazu auf, der Verantwortung für Flüchtlinge gerecht zu werden: "Wir dürfen in Europa, auch in Deutschland, nicht wegschauen. Auch wenn wir das Flüchtlingselend nicht lösen können - wir müssen helfen, die Folgen zu lindern."
Es müsse noch mehr passieren, um zu verhindern, dass "immer wieder Menschen auf dem lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer sterben", forderte der Außenminister. "Es geht auch nicht nur darum, den Millionen Flüchtlingen Nahrung und Wasser, den Kindern und Jugendlichen Bildung zu geben. Vor allem müssen wir an Rückkehrperspektiven arbeiten. Deshalb arbeiten wir mit anderen an Perspektiven zur Überwindung des Bürgerkriegs in Syrien, der jetzt ins fünfte Jahr geht."
26 Prozent der Deutschen würden privat Flüchtlinge aufnehmen
Jeder vierte Deutsche würde privat Flüchtlinge aufnehmen. Dies ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für "Bild am Sonntag". Danach sind 26 Prozent und sogar 33 Prozent der Ostdeutschen bereit, Hilfesuchende in der eigenen Wohnung einzuquartieren. 69 Prozent lehnten dies ab. 76 Prozent (84 Prozent im Osten) geben an, kein Problem damit zu haben, wenn in ihrer unmittelbaren Umgebung ein Flüchtlingsheim entstünde. Für 18 Prozent wäre dies problematisch. Grundsätzlich sind 42 Prozent der Bundesbürger der Ansicht, dass Deutschland künftig so viele Flüchtlinge aufnehmen sollte, wie derzeit. 21 Prozent wollen mehr Hilfesuchende ins Land lassen, 20 Prozent weniger.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt, der früher selbst Flüchtlinge bei sich aufgenommen hat, appellierte an seine Landsleute, es ihm gleichzutun: "Wenn sich nur 0,5 Prozent aller Deutschen freiwillig dazu bereit erklären würden, gäbe es mit der Unterbringung keine Probleme." Emnid befragte am vergangenen Donnerstag 501 Personen.
Quelle: dts Nachrichtenagentur