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Berlin im Schatten von TTIP: Von der Leyen plant Auflösung staatlicher Verwaltung

Archivmeldung vom 17.03.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.03.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Mehr Demokratie, on Flickr CC BY-SA 2.0
Bild: Mehr Demokratie, on Flickr CC BY-SA 2.0

In der deutschen Ausgabe des russischen online Magazins "Sputnik" fragt Willy Wimmer in seinem heutigen Gastbeitrag: "Warum leisten die Deutschen sich noch eine Regierung? Vor allem dann, wenn diese die Gesetze aushebelt und sich um Wählervoten keinen Deubel schert. Die Verteidigungsministerin gibt jetzt die zukunftsfähige Antwort. Man braucht keine Ministerien mehr."

Der CDU Politiker und ehemaliger Vizepräsident der OSZE, Willy Wimmer schreibt weiter: "Aufgaben werden jetzt auf den lukrativen Beratungsmarkt geschmissen. Rüstungsprojekte werden komplett ausgesourct, bis auf den Umstand, dass die steuerzahlenden Bürger jetzt noch unverschämter über den Tisch gezogen werden. Jeder von uns kann sich ausrechnen, wer der transatlantische Profiteur derartig abartiger Vorschläge ist oder sein soll. Niemand hat — bei allen Schwierigkeiten, die es seit Jahrzehnten bei Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr gegeben hat — jemals den Nachweis führen können, dass es Fehler nur in den staatlichen Beschaffungseinrichtungen gegeben haben soll. Da waren die Minister, die keine sachgerechten Strukturen erstellen konnten, das waren die über die Länder verteilten rüstungspolitischen Interessen, die auf dem Rücken von fehlerhaften Strukturen ausgetragen worden sind. Da waren die industriepolitischen Interessen, bei denen der Verteidigungshaushalt zur Quersubventionierung der zivilen Industrie herangezogen worden ist. Da waren die bis zum "Oktoberfest" reichenden Gefälligkeiten, mit denen Teilstreitkräfte gewogen gestimmt wurden.

Alles das ist bekannt, aber eine Bresche in den noch vorhandenen Staat mit der Brachialgewalt zu schlagen, wie das die Verteidigungsministerin jetzt vorhat, kann nicht toleriert werden. Für 200 Millionen Euro Beratungsstrukturen zu schaffen, ist ein Armutszeugnis für eine Regierung, die eine verspätete Demontageeinrichtung der Westmächte für das wiedevereinigte Deutschland zu sein scheint.

Der Staat gibt sich auf

Die Bürgerinnen und Bürger sind unverändert der Ansicht, dass sie in einem Staat etwas zu sagen haben, der selbst in vollem Umfang handlungsfähig ist. Weit gefehlt, denn spätestens seit der Bankenpleite in Folge von Lehmann Brothers konnte das staunende Wahlvolk erfahren, wie wenig Berliner Ministerien noch in der Lage sind, originäre Aufgaben zu erfüllen.

Der deutsche Verfassungsstaat hat sich immer darauf kapriziert, alle notwendigen Gesetzentwürfe, die dem Parlament zugeleitet werden mussten, in den dafür zuständigen Ministerien selbst erstellen zu können. Das ist nicht nur praktisch. Damit wird das für die Beurteilung der Zukunft so wichtige tradierte Wissen thesauriert, und man kann auf Dauer beurteilen, warum Entwicklungen so und nicht anders verlaufen sind. Das ist und war die Grundlage staatlichen Handelns. In diese Grundlage wurde in schädlicher Konsequenz in Berlin erst eingegriffen, als Wirtschaftsvertretern erlaubt wurde, an den sie betreffenden Gesetzentwürfen als "ausgeliehene Ministerial-Mitarbeiter" mitzuwirken. Niemand kann heute mehr beurteilen, in welchem Umfang diese Gesetze nicht komplett den Unternehmensinteressen auf diesem Wege gedient haben.

Dabei sollte es allerdings nicht bleiben, wie das Auftauchen großer angelsächsischer Anwaltskanzleien bei der Erstellung von Gesetzesvorhaben in der Folge der Bankenkrise gezeigt hat. Alleine schon der Vergleich zwischen einem klassischen deutschen Ministerium und dieser Form der vorbereitenden Rechtssetzung macht deutlich, dass notwendiges staatliches Wissen verloren geht und die Fähigkeit sträflich erodiert, gesellschaftliche und allgemein-politische Entwicklungen überhaupt beurteilen zu können. Oft genug wird der Eindruck erweckt, dass die staatliche Kompetenz in diesem Lande "an Gütersloh" abgetreten worden ist.

Wir haben uns zu unserem Schaden daran gewöhnen müssen, für befreundete Staaten und ihren Abhöreinrichtungen gleichsam ein „offenes Buch" darzustellen. In diesen Staaten wird zudem ein ganz anderes Verhältnis zwischen Spionageeinrichtungen und den großen und kleinen "Playern" im nicht-staatlichen Sektor praktiziert. Man kennt sich und man hilft sich, fast in einer "rheinischen Art und Weise". Ganz anders als in Deutschland, wo aus Gründen übler Erfahrungen auf Distanz Wert gelegt wird. Wer sagt uns denn, dass in dem totalen Beratungsgeflecht, dem die staatlichen Einrichtungen unseres Landes ausgesetzt sind, diese nachrichtendienstliche Fremdsteuerung nicht unser ganzes Land erfasst hat und deshalb weiter praktiziert werden kann, weil die handelnden Personen ohnehin sich in den einschlägigen Netzwerken begegnen und ihre Karrieren davon abhängig sind?

TTIP vollendet den Abbau unserer Staatlichkeit

Gerade der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf macht deutlich, in welchem Umfang die Sorgen demokratisch empfindender Staatsbürger transatlantisches Gemeingut geworden sind. Alles das, was sich derzeit in den USA abspielt, gilt dem Ringen zwischen einer noch rudimentär vorhandenen demokratischen Staatsstruktur und den faktischen Notwendigkeiten von "corporate America". Der demokratische Kandidat Sanders ist mehr als jeder andere Ausdruck des verzweifelten Kampfes um demokratische Reststrukturen in diesem Land. Es kommt in den USA längst nicht mehr darauf an, dass die Bürgerinnen und Bürger das Sagen haben. Entscheidend ist, welche Industrie- und Wirtschaftsgruppen über die Präsidentschaftkandidaten, die sie stellen, sich für vier oder acht Jahre das Land gefügig machen dürfen.

Dafür sollen mit TTIP die global-kolonialen Strukturen zur Marktabsicherung und der vorbereitenden Weltherrschaft geschaffen werden. Wer könnte schon etwas dagegen haben, wenn Zölle angeglichen werden, solange das nicht mit Aufgabe der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit verbunden sein muss? Sich auf die USA einzulassen, kann an die eigene Substanz gehen. Das können all die Länder bezeugen, die auf die Welthandelsorganisation gebaut haben und — wie die Russische Föderation — erleben müssen, in welchem Maße bei fortschreitender Integration die USA wirtschaftliche Verflechtung als "Daumenschrauben" nutzen. Damit sollen die eigenen Phantasien auf Weltherrschaft unterfüttert werden.

Es reicht eben nicht, mit rund eintausend militärischen Standorten um den Globus die Welt militärisch in den Schwitzkasten zu nehmen. Über TTIP soll die gesamte Rechtsordnung der zwangsverpflichteten Staaten auf die Notwendigkeiten von "Business-und Gewinnerwartungsplänen" amerikanischer Unternehmen abgestellt werden. Es kommt nicht mehr darauf an, Rohstoffe zu verarbeiten oder technologisch Wettbewerber aus dem Feld schlagen zu können. Entscheidend wird sein, die steuerzahlenden und von staatlichen Leistungen abhängigen Bürger anderer Staaten vor den eigenen Gewinnkarren spannen zu können.

Dabei ist es völlig unerheblich, ob dies durch anwaltsgesteuerte Schiedsgerichte oder Handelsgerichtshöfe nach dem Modell "Gabriel" geschehen soll. Der deutsche Vizekanzler will mit seinen Vorstellungen zu einer angeblich internationalen Gerichtsbarbeit nur die Hülle der Ausplünderung angenehmer erscheinen lassen, ohne an der Substanz etwas zu ändern.

Mit TTIP soll das Werk von "shareholder value" zum krönenden Abschluss gebracht werden. Dann wird eine neue Regel die amerikanisch dominierte Welt bestimmen: Die einen haben Rohstoffe, die anderen haben uns.

Bei den Plänen der deutschen Verteidigungsministerin zur Zerschlagung deutscher Staatsstrukturen reicht es nicht, ihr in den Arm zu fallen. Wenn der Staat zu nichts mehr taugt, braucht niemand mehr den Bürger. Unsere demokratische Existenz hängt zwingend von einem Staat ab, der demokratisch verfasst ist, seine Aufgaben erfüllen kann und dem Staatsbürger Rechenschaft schuldig ist."

Quelle: Sputnik (Deutschland)

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