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Bundesregierung ignoriert wachsende Ernährungsarmut: Trotz Bürgergeld sind Millionen Haushalte weiter von Mangelernährung betroffen

Archivmeldung vom 11.10.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.10.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
(Symbolbild)
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Bild: Unbekannt / Eigenes Werk

foodwatch hat der Bundesregierung vorgeworfen, die Augen vor der wachsenden Ernährungsarmut in Deutschland zu verschließen. Obwohl das eigene wissenschaftliche Beratergremium in seinem Gutachten aus dem Jahr 2020 klar festgestellt habe, dass eine gesunde Ernährung mit dem Hartz-IV-Regelsatz nicht finanzierbar sei, behaupte das Bundesernährungsministerium das Gegenteil.

Das geht aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei im Deutschen Bundestag hervor, die foodwatch heute öffentlich machte. Darin erklärte das Bundesernährungsministerium (BMEL), dass "bei informiertem, preisbewusstem Einkauf eine gesunderhaltende Ernährung aus dem Regelbedarf" möglich sei. Es sei die "individuelle Entscheidung" armutsbetroffener Menschen, "in welcher Art, Form und welchem Umfang" sie ihren Bedarf an Ernährung deckten. foodwatch kritisierte, dass das Ernährungsministerium damit den wissenschaftlichen Kenntnisstand und die Erkenntnisse seines eigenen Wissenschaftlichen Beirates (WBAE) ignoriere.

"Die Bundesregierung verpasst Millionen armutsbetroffener Menschen in Deutschland eine Ohrfeige. Wer gesund essen wolle, müsse eben Ernährungsratgeber lesen und an anderer Stelle den Gürtel noch enger schnallen: Diese Empfehlung aus dem Ernährungsministerium ist nicht nur realitätsfern, sondern ignoriert die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Mangelernährung und deren katastrophalen Folgen insbesondere bei Kindern", erklärte Luise Molling von foodwatch. "Statt in Zeiten steigender Lebensmittelpreise den Menschen eine gesunde Ernährung zu ermöglichen, macht die Bundesregierung mit dem Bürgergeld weiter, wo sie mit Hartz IV aufgehört hat: mit staatlich verordneter Ernährungsarmut."

Ernährungsphysiologisch höherwertige Lebensmittel wie Obst und Gemüse sind oft teurer als energiedichte Lebensmitteln mit viel zugesetztem Zucker und Fett. Die Folgen sind insbesondere für armutsbetroffene Kinder dramatisch: Sie leiden deutlich häufiger an Adipositas als wohlhabendere Kinder, gleichzeitig fehlt es ihnen auch häufiger an wichtigen Mikronährstoffen. Ein Mangel an Vitaminen und Mineralien im Kindesalter kann wiederum zu einem verzögerten Wachstum und zu kognitiven Entwicklungsstörungen führen.

Da die "derzeitige Grundsicherung ohne Unterstützungsleistungen nicht ausreiche, um gesundheitsfördernde Ernährung zu realisieren" hielt der Wissenschaftliche Beirat in seinem Gutachten eine "Überprüfung der Regelbedarfsermittlung" für notwendig. Die Bundesregierung wertete die im Gutachten zusammengefassten Erkenntnisse hingegen als bloße "Auffassung" ab, die sie "ausdrücklich" nicht teile.

Der für das Thema Ernährungsarmut im Gutachten maßgeblich verantwortliche Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Hans-Konrad Biesalski zeigte sich irritiert: "Die Bundesregierung ist offensichtlich nicht in der Lage, den Text des wissenschaftlichen Beirates zu lesen und zu interpretieren - weil sie offenbar nicht willens ist, an dieser für ein reiches Land wie Deutschland beschämenden Situation etwas zu ändern", so der Professor.

foodwatch forderte, die Mindestkosten für gesunde Ernährung zu ermitteln und den Regelsatz des Bürgergeldes entsprechend zu erhöhen. Zwar würden die Regelsätze ab 2023 um zwölf Prozent angehoben, dies sei allerdings bei einer Teuerung von über 16 Prozent allein bei Lebensmitteln nicht ausreichend, kritisierte foodwatch. Dass mit dem Regelsatz schon zuvor keine ausgewogene Ernährung möglich war, sei zudem durch mehrere Studien belegt. Die Bundesregierung müsse außerdem in Abstimmung mit den Bundesländern ein kostenloses Mittagessen in Schulen und Kindergärten auf Basis des DGE-Standards auf den Weg bringen, so foodwatch.

Ende 2021 waren schätzungsweise 12,5 Millionen Menschen in Deutschland zumindest zeitweise von Ernährungsarmut betroffen. Diese Zahl dürfte angesichts der enormen Preissteigerungen gerade bei Lebensmitteln seit Anfang dieses Jahres erheblich gestiegen sein.

Quelle: foodwatch e.V. (ots)

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