Die Truppe sollte schrumpfen: Dan Krause: "Trendwenden sind nicht ausreichend"
Archivmeldung vom 08.06.2019
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Freigeschaltet durch André Ott2014 gelobten deutsche Spitzenpolitiker, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen. Hat sich Deutschland seitdem erwachsener präsentiert?
Dan Krause: Man hat es versucht, punktuell ist das auch gelungen, aber insgesamt wird Deutschland seinen Ansprüchen noch immer nicht gerecht. Da hängt viel am Zustand der Regierungskoalition, deren Mangel an Strategie und Gestaltungswillen sich auch in der Außenpolitik widerspiegelt. Es gibt natürlich auch positive Beispiele: Deutschland entdeckt Afrika und entwickelt langsam eine Politik für unseren Nachbarkontinent und seine Regionen. In Mali engagieren wir uns stark im Rahmen von UN und EU und in der Ukraine-Krise haben Frankreich und Deutschland Führungsstärke gezeigt. Berlin kann vor allem immer dann etwas bewirken, wenn es starke und verlässliche Partner hat und wenn nach Regeln gespielt wird. Dazu muss es aber auch selbst verlässlich sein und strategisch agieren. Fehlen die Partner und gelingt es nicht, die EU zu einen, spielen Putin, Xi Jinping und Trump ihr eigenes Spiel nach ihren eigenen Regeln. Insgesamt boxt die deutsche Außenpolitik noch unterhalb ihrer Gewichtsklasse. Unsere Crux ist auch, dass die USA nicht mehr verlässlich sind und in vielen Fällen andere Interessen verfolgen, wie z.B. in Fragen der internationalen Ordnung, der Handelspolitik, der Klimapolitik, dem Iran-Atomabkommen oder Abrüstungsfragen. Darauf waren wir nicht vorbereitet und es dürfte noch lange dauern, bis wir so etwas wie europäische strategische Autonomie in der Außenpolitik erreichen.
Kann Berlin die Planung von globalen Stabilisierungseinsätzen nach den ernüchternden Ergebnissen in Afghanistan oder Libyen ad acta legen?
Was die großen Stabilisierungseinsätze in weit entfernten Regionen mit überhöhten Erwartungen demokratischer Staatsbildung etc. angeht, definitiv, ja. Dazu sind ja auch unsere Bündnispartner kaum mehr bereit. Krisenmanagementeinsätze im Rahmen von VN, NATO und EU wird es natürlich weiterhin geben, aber in bescheidenerem Umfang und mit realistischeren Zielen. Trotz proklamierter Gleichrangigkeit zielen die aktuellen Reformanstrengungen der Bundeswehr auf die Wiedererlangung der Landes- und Bündnisverteidigung. Das kann im Übrigen auch eine Chance sein, das zivile Krisenmanagement zu stärken.
Ist die Fokussierung auf die NATO im neuen Weißbuch angesichts des Brexits und der pazifischen Umorientierung der USA unter Obama und Trump schon überholt?
Die Fokussierung auf die NATO entspringt einer realistischen Einschätzung unserer Möglichkeiten. Eine strategische Autonomie der EU, einschließlich einer echten Verteidigungsunion, ist noch für eine längere Zeit nicht absehbar. Allerdings stellt Trump die NATO fortgesetzt infrage. Wird er wiedergewählt, dürfte er die Verbündeten weiter unter Druck setzen und vermutlich sogar auffordern, sich verstärkt in Asien und gegen China zu engagieren. Das wäre dann die Zerreißprobe. Trotz aller Schwierigkeiten ist es daher richtig, die europäischen Fähigkeiten zu entwickeln und zu stärken.
Mit dem INF-Vertrag wurde der erfolgreichste Abrüstungsvertrag des Kalten Krieges aufgekündigt. Sollte die OSZE wiederbelebt werden, um ein neues Gerüst zimmern zu können?
Die Rüstungskontrolle und die Verhandlungen darüber müssen wiederbelebt werden, das ist ein zentraler Punkt, in dem alle in den letzten Jahren versagt haben. Daher ist es absolut richtig, dass sich Deutschland hier wieder stärker engagiert. Das kann in der OSZE sein, weil Russland hier gleichberechtig am Tisch sitzt. Das muss aber auch in den VN geschehen, wo wir gegenwärtig im Sicherheitsrat vertreten sind. Wir müssen vor allem Vertrauen wiederaufbauen, daran fehlt es momentan am meisten.
Koalitionen der Willigen werden nun auch in Berlin als Mittel der Wahl angesehen. Werden wir uns noch nach der Verlässlichkeit der Blockkonfrontation im Kalten Krieg zurücksehnen?
Hoffentlich nicht. Ad-hoc-Koalitionen dürften absehbar häufiger werden, sie sind aber keine optimalen Lösungen und bringen erhebliche Probleme mit sich. Sie sind nicht verlässlich, politisch intransparent, oft sind schwierige Partner an Bord, ohne gemeinsame Wertegrundlage und mit abweichenden Ziel- und Ordnungsvorstellungen. Zudem besteht für uns ein verfassungsrechtliches Problem, denn ad-hoc-Koalitionen sind keine Systeme kollektiver Sicherheit, die nach gegenwärtiger Rechtsprechung eine Voraussetzung für einen Bundeswehreinsatz sind.
Seit dem Fall der Krim ist Landesverteidigung wieder erste Pflicht der Truppe. War der Abbau von Kapazitäten, die Schließung von Depots und der Verbrauch von Ressourcen die richtige Vorbereitung für hybride Bedrohungen, die etwa Putin liebt?
Die beste Waffe gegen hybride Bedrohungen sind stabile demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaften. Militärisch ist die NATO ohne Zweifel in der Lage, einen russischen Einmarsch abzuwehren. Die Ukraine unterlag der hybriden Herausforderung vor allem, weil dort korrupte Politiker und mächtige Oligarchen ein System geschaffen hatten, das alle Anzeichen eines scheiternden Staates trug, der seine Menschen, vor allem die im Osten, verloren hatte.
Die Bundeswehrplanung sieht drei große Modernisierungsschritte vor, 2023, 2027 und 2031. 2023 soll eine voll ausgerüstete Brigade stehen. Kann dieser Wunschzettel im Zeichen fallender Steuereinnahmen zerrissen werden?
Es handelt sich in der Tat immer mehr um einen Wunschzettel. Trotz aller rhetorischen Bekenntnisse der GroKo zeigt sich, dass es keinen politischen Konsens und nicht einmal für eine Legislaturperiode Planungssicherheit gibt. Beides wäre aber als Voraussetzung einer gelingenden Reform notwendig. Dabei geht es, so lange wir über 1,3% des BIP, sprechen nicht um Aufrüstung, sondern um die Wiedererlangung einer Einsatzbereitschaft zur Landes- und Bündnisverteidigung, die sehr weit vom Ausgangsniveau der späten 1980er und frühen 1990er Jahre entfernt ist. Die Streitkräfte haben in den letzten knapp 30 Jahren erheblich an Fähigkeiten, Material und Personal eingebüßt. Nur ein sehr geringer Teil des Etats wird für die Anschaffung neuen Geräts verwendet, der Rest sind andere, überwiegend fixe Kosten. Im Ergebnis musste Heeresinspekteur Bruno Kasdorf 2015 nach der Annexion der Krim melden, dass die gesamte Bundeswehr nicht mehr als ein oder zwei einsatzfähige Brigaden stellen könne.
Die Verteidigungsministerin sieht eine Trendwende. Zu Recht?
Angesichts der Bilanz der letzten 30 Jahre ja. Angesichts der selbstgesteckten Ziele, des eingesetzten Aufwandes und der geplanten Modernisierungs- und Fähigkeitsschritte sind die Ergebnisse aber bei weitem nicht ausreichend. Auch der Nachfolger Kasdorfs, Heeresinspekteur Jörg Vollmer musste 2019 konstatieren, dass es erneut die gesamte Truppe gebraucht habe, um Personal und Material für die VJTF, die "Speerspitze" der NATO, abstellen zu können. 2023 soll nun eine hochmoderne Brigade stehen, die ihr Material nicht überall zusammenborgen muss. Trotz aller Anstrengungen und einiger Ergebnisse sind aber weder bei der "Ausrüstung" noch bei "Personal" oder "Finanzen" die Ergebnisse so, dass die Reformschritte erreicht werden dürften. Das kommt natürlich nicht unerwartet. Man kann eine Armee von 500 000 Mann nicht über 25 Jahre schrumpfen lassen und im Verhältnis zu den Aufgaben und der Größe konsequent unterfinanzieren, um dann zu erwarten, dass bei veränderter Sicherheitslage das Umlegen des Schalters reibungslos klappe.
Hat die Bundeswehr einen Schlachtplan gegen den demographischen Wandel und den Fachkräftemangel?
Die Bundeswehr kämpft. Die Social-Media-Auftritte werden stark wahrgenommen, die Reservisten besser eingebunden, in Sachen Ausbildung, Sold und Verwendungsmöglichkeiten will man attraktiver werden. Aber: Aufgrund der negativen Demographie, eines massiven Fachkräftemangels in Wirtschaft und Öffentlichem Dienst dürfte es der Truppe trotz aller Maßnahmen schwerfallen, die Personalziele quantitativ und vor allem qualitativ zu erreichen. Ex-Minister zu Guttenberg hat der Bundeswehr mit der unvorbereiteten und abrupten Streichung der Wehrpflicht einen Bärendienst erwiesen. n weggerissen.
Wie kann das überbürokratisierte Beschaffungswesen aufgebrochen werden?
Intern scheinbar gar nicht. Katrin Suder hat es vier Jahre lang als Staatssekretärin fast vergeblich versucht. Hinzu kommt, dass hier ein Spannungsverhältnis aus Politik, Militär, Industrie, unterbesetztem Beschaffungsamt, jahrelanger Mangelwirtschaft und internationaler Kooperation herrscht, das nicht einfach aufzulösen ist. Der Bundestag sollte sich das Problem zu eigen machen und auf eine umfassende Reform drängen. Es geht ja nicht nur um die Verteidigungsfähigkeit der Republik, sondern auch um die Verwendung von Steuergeldern.
Bleiben nur die Alternativen, entweder eine Bundeswehr bisheriger Größe langsamer zu reformieren, um mehr Geld überhaupt sinnvoll ausgeben zu können, oder die Truppe erneut zu schrumpfen, um sie effektiv modernisieren zu können?
Der entscheidende Punkt bei den Finanzen ist eine langfristig gesicherte und stabile Finanzierung, die zu den Aufgaben und dem Umfang der Streitkräfte passt und mit einer gleichbleibenden Rüstungsinvestitionsquote von ca. 20 Prozent einhergeht. Parallel müssen Bundestag und Bundesrechnungshof den Reformdruck auf die Bundeswehr aufrechterhalten, denn 43,2 Milliarden Euro sind viel Geld, das nicht immer effizient ausgegeben wird. Will man aber die eigenen sicherheitspolitischen Ziele und die Zusagen an die Verbündeten und Partner hinsichtlich Fähigkeiten und Kapazitäten erfüllen, wird die Bundeswehr auch in den kommenden Jahren mehr Geld bekommen müssen. Zu sagen, wir planen nur Jahr für Jahr und immer unter der Prämisse der schwarzen Null und das ist dann die Grundlage unserer Sicherheits- und Bündnispolitik funktioniert nicht. Gibt es keine langfristige Planungssicherheit für die Bundeswehr, muss man auch über eine Reduzierung nachdenken. Lieber auf etwa 150.000 Mann reduzierte, aber dafür ausreichend finanzierte, einsatzbereite und demographiefeste Streitkräfte mit qualifiziertem Personal, modernem Gerät und hochwertigen Fähigkeiten. Letztlich muss die Politik die Grundlagen legen, indem sie eine umfassende, verlässliche außen- und sicherheitspolitische Strategie gemeinsam mit den Partnern entwickelt und dann auch umsetzt.
Zur Person
Dan Krause (44) ist Politikwissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität. Seine Forschungsinteressen sind deutsche und europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik; internationale Sicherheitspolitik sowie Bundeswehr/Streitkräfte. Derzeit schreibt der Lüneburger seine Dissertation zum Thema: Responsibility to Protect (Schutzverantwortung) und die südlichen Demokratien (Indien, Brasilien, Südafrika). Der Oberstleutnant der Reserve ist Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Forums für Internationale Sicherheit (WIFIS) an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.
Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots) Von Joachim Zießler