"Erdrückende Hypothek für Steinmeier"
Archivmeldung vom 23.07.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.07.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Oliver RandakHessens Ministerpräsident Roland Koch spricht mit dem Tagesspiegel über Linksbündnisse, eine Koalition mit den Grünen und die Dauer seiner Minderheitsregierung.
Herr Koch, wie lange kann Hessen noch von einem geschäftsführenden Ministerpräsidenten verwaltet werden?
Solange Hessen einen verabschiedeten Haushalt hat, ist der
gegenwärtige Zustand akzeptabel. Auf dieser Basis kann ich eine Menge
Entscheidungen treffen und treffe sie auch. Von bloßer Verwaltung kann
also keine Rede sein. Ich merke auch im Tagesgeschäft nicht
ununterbrochen, dass wir in Hessen unklare Mehrheitsverhältnisse haben.
Aber ich lehne mich nicht zurück in dem Glauben, das ginge ewig so. Der
Landtag muss Ende Februar, Anfang März über den Haushalt abstimmen.
Dann kommt es zum Schwur.
Und wenn das Parlament keinen neuen Haushalt verabschieden kann,
wollen Sie Neuwahlen durchsetzen und an der Spitze der CDU in den
Wahlkampf ziehen?
Wenn es eine Mehrheit für einen Haushalt gibt, dann soll diese
Mehrheit auch regieren und muss dann auch einen Ministerpräsidenten im
Parlament zur Abstimmung stellen. Wenn ein Landtag aber weder in der
Lage ist, einen Haushalt zu verabschieden, noch einen neuen
Ministerpräsidenten zu wählen, dann müssen sich alle Gedanken machen,
wie es weitergeht.
Wären Neuwahlen dann die sauberste Lösung?
Ich glaube, der Druck auf alle Parteien würde dann sehr groß,
einen solchen Zustand der Lähmung zu beenden. Das kann Neuwahlen
bedeuten. Das kann aber auch zu Koalitionsbildungen führen, die bisher
nicht möglich erscheinen.
Rechnen Sie damit, dass SPD-Landeschefin Ypsilanti nochmals versuchen wird, Sie mit Hilfe der Linken aus dem Amt zu hebeln?
Wenn ich mich recht erinnere, hat der SPD-Vorsitzende Beck
dazu gesagt, man renne nicht zweimal mit demselben Kopf gegen dieselbe
Wand. Ich bin mir da im Fall von Frau Ypsilanti nicht so sicher. Sie
wird sich des hohen persönlichen Risikos bei einer geheimen
Ministerpräsidentenwahl im Landtag bewusst sein. Andererseits wird sie
wissen, dass viele in ihrer Landes-SPD Neuwahlen fürchten. Sicher ist
nur, dass alle neuen Versuche, mit Grünen und Linkspartei einen
Linksblock zu organisieren, die Chancen der SPD im Bundestagswahlkampf
unrettbar schädigen würden. Das wäre auch für einen Kanzlerkandidaten
Steinmeier eine erdrückende Hypothek.
Die Hessen-SPD plant für Mitte September einen Parteitag. Erwarten Sie zwei Wochen vor der Bayern-Wahl eine Vorentscheidung?
Sollte sich Frau Ypsilanti von der Hessen-SPD einen
Freifahrschein für Verhandlungen über einen Linksblock geben lassen,
wäre das für die CSU in Bayern ein unglaubliches Wahlgeschenk, für das
sie sich bei der hessischen SPD und Frau Ypsilanti bedanken müsste.
Die Grünen verlangen von der SPD eine schnelle Entscheidung.
Das finde ich auch sehr interessant. Jeder weiß doch, dass
Frau Ypsilanti bei einer Kandidatur zur Ministerpräsidentin ihre
politische Existenz aufs Spiel setzen muss. Den Grünen ist das offenbar
aber ziemlich egal.
Andererseits hat die Union mit der Debatte um längere Laufzeiten
für Atomkraftwerke bei den Grünen alte Feindbilder belebt. Warum
sollten die Grünen einem bekennenden Atomkraftbefürworter wie Ihnen zur
Rückkehr an die Macht verhelfen?
An dieser Frage würde eine Zusammenarbeit ganz sicher nicht
scheitern, da die Musik bei der Kernenergie im Bund spielt. Unabhängig
davon mehren sich bei diesem Thema Stimmen bei den Grünen, die auf
Pragmatismus statt auf Dogma setzen. Wenn es zu ernsthaften Gesprächen
in Hessen käme, dann sind Punkte wie der Ausbau des Frankfurter
Flughafens schwieriger. Der wäre für mich auch nicht verhandelbar. Der
Streit über Bundesthemen kann da vergleichsweise einfach geregelt
werden: Im Streitfall enthalten wir uns im Bundesrat.
Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, wonach der Neubau von Atomkraftwerken nicht ausgeschlossen werden sollte?
Ich habe immer gesagt, dass die Frage, wie wir mit der
Kernenergie umgehen, erst im nächsten Jahrzehnt beantwortet werden
sollte. Dabei bleibt es. Derzeit sehe ich keinen Bedarf für einen
Neubau. Längere Laufzeiten halte ich dagegen für zwingend notwendig.
Herr Koch, angesichts steigender Benzinpreise verlangen die CSU,
der DGB und eine Mehrheit der SPD-Landesverbände Entlastungen für
Pendler. Halten Sie trotzdem an Ihrem Nein fest?
Eine Rückkehr zur alten Pendlerpauschale oder eine andere Form
der direkten Entlastung der Autofahrer ist der falsche Weg. Das sehe
ich wie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Staat darf nicht die
Illusion erwecken, er könne den Anstieg der Energiepreise für den
Bürger kompensieren – oder jedes Hoch und Runter mitmachen. Wenn es um
Entlastungen geht, müssen wir uns auf Steuerentlastungen für den
Mittelstand und auf Hilfe in Notlagen konzentrieren. Dies muss immer
unter der Prämisse geschehen: Keine neuen Schulden.