Gabriel zum Endlager-Streit und zur Zukunft der Atomenergie
Archivmeldung vom 02.03.2007
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Freigeschaltet durch Jens BrehlBundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat es abgelehnt, den aus Regierungskreisen der Union, einschließlich des Kanzleramtes, favorisierten beschleunigten Entscheidungsprozess über das atomare Endlager in Gorleben zu vollziehen.
In einem Interview
mit der "Leipziger Volkszeitung" (Freitag-Ausgabe) sagte Gabriel:
Eine Entscheidung über Gorleben im Sommer 2007 sei ebenso
"ausgeschlossen" wie die Verengung der Prüfung nur dieses einen
Standortes. "Das wäre auch nicht im Interesse derjenigen, die auf
Gorleben fixiert sind. Denn das Risiko, dass Gorleben im
Planfeststellungsverfahren oder am Ende vor Gericht scheitert, ist
hoch - und dann stünden wir ohne Hemd und Hose da." Das würden sicher
auch diejenigen nicht wollen, die unbedingt ein Endlager in Gorleben
haben wollten, meinte Gabriel an die Adresse der Union.
Zurückhaltend äußerte sich der SPD-Minister zur Unions-Forderung,
die Kernenergie-Agentur der OECD sollte die Eignung von Gorleben
anhand weltweiter Standards überprüfen. "Gegen eine Beteiligung
internationaler Experten an der Standortsuche ist nichts einzuwenden.
Entscheidend ist, welchen Auftrag ein solches internationales Gremium
bekommt. Wenn es ergebnisoffen prüfen soll, okay. Wenn es nur dazu da
ist, Gorleben zu bestätigen, macht es keinen Sinn", sagte Gabriel.
Im Übrigen zeigte sich Gabriel verwundert über die neue Eile in Sachen Gorleben. "Wir haben unsere Schularbeiten gemacht und bereits vor einigen Monaten unser Endlagerkonzept dem Kanzleramt und den Spitzen der Koalition zugeleitet." Es sei unstrittig, dass Gorleben selbst dann, wenn man sich heute für diesen Standort entscheiden würde, "frühestens im Jahre 2025 in Betrieb gehen könnte". Ob Gorleben überhaupt als Endlagerstandort geeignet sei, "ist noch nicht erwiesen", meinte der Umweltminister. "Der Nachweis der Langzeitsicherheit ist noch nicht erbracht. Für den braucht man rund zehn Jahre. Das könnte auch die Union nicht schneller hinkriegen." Es gehe immerhin um die Unterbringung von radioaktivem Material für eine Million Jahre. Der Streit in der Koalition entzünde sich daran, ob es verantwortbar und klug sei, sich von vorneherein auf einen einzigen Standort zu versteifen. "Denn wenn sich nach zehn Jahren im Planfeststellungsverfahren herausstellt, dass der Langzeitsicherheitsnachweis für Gorleben nicht erbracht werden kann, müssten wir wieder bei Null anfangen und hätten wertvolle Zeit verloren. Dieses Risiko können wir nur ausschließen, wenn wir mehrere Standorte miteinander vergleichen, um dann den am besten geeigneten zu wählen", verlangte der SPD-Politiker. So sei es nach internationalen Standards üblich, aber bei Gorleben bisher nicht gemacht worden. In diesem Zusammenhang erinnerte Gabriel an die Absicht der Schweiz, ein atomares Endlager in unmittelbarer Nähe zu Baden-Württemberg zu errichten. "Politiker aller Parteien fordern mich auf, das zu verhindern, bevor dieser Standort nicht mit anderen denkbaren Alternativen in der Schweiz verglichen wurde. Die mir das sagen, haben alle Recht. Aber ich frage sie: Warum lassen sie diese Forderung nicht auch für Deutschland gelten? Wir müssen endlich auch bei unserer Endlagersuche internationale Standards anwenden."
Gabriel bekräftigte sein Festhalten am von Rot-Grün beschlossenen
Atom-Ausstieg und lehnte es offiziell ab, sich beim verabredeten
Zeitplan flexibler zu zeigen. "Es geht nicht darum, sich gegenseitig
das Leben schwer oder leicht zu machen. Die Frage ist: Ist
Atomenergie verantwortbar?" In Schweden habe man bei der
Beinahe-Reaktor-Katastrophe in Forsmark erneut gesehen, wie schnell
das selbst in einem so hoch technisierten Land gehen könne, wenn die
Reaktoren relativ alt seien. "Das Schadensrisiko bei der Kernenergie
ist riesengroß, zumal wir bis heute keine wirklich Lösung der
Endlager-Frage haben. Es wäre verrückt, wenn wir nur die Wahl hätten
zwischen dem Risiko der Radioaktivität und den Gefahren der
Klimakatastrophe. Das wäre die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Intelligente Politik ist dazu da, gesunde Wege zu suchen."
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung