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Kanzleramt, Innenministerium und Nachrichtendienste schotteten im Fall Kurnaz Auswärtiges Amt offenbar systematisch von Informationen ab

Archivmeldung vom 29.01.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.01.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Jens Brehl

Im Fall des in Bremen aufgewachsenen Türken und ehemaligen Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz ist offenkundig das vom Grünen-Politiker Joschka Fischer geleitete Bundesaußenministerium mindestens zu Beginn von deutschen Behörden an der Mitwirkung bei der Betreuung systematisch ausgeschaltet worden.

Nach einem Bericht der "Leipziger Volkszeitung" (Montag-Ausgabe) ergibt sich das aus vertraulichen Regierungsunterlagen, die der Zeitung vorliegen. Insbesondere im Umfeld der Vernehmung von Kurnaz auf Guantanamo am 23. und 24. September 2002 durch Vertreter von Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und amerikanische CIA "entstand der Eindruck, als ob die uns bewusst draußen haben wollen", bestätigte ein damals zuständiger deutscher Diplomat gegenüber der Zeitung.

So wurde am 9. Juli 2002 in der so genannten "Präsidentenrunde", der Sicherheitsdienst-Besprechung im Kanzleramt mit Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD), entschieden, dass das Auswärtige Amt in keiner Weise in die bevorstehende Vernehmung des Deutsch-Türken auf Guantanamo einbezogen werden soll. So teilten US-Sicherheitsbehörden am 25. Juli 2002 dem Bundesnachrichtendienst schriftlich mit, dass das Bundesaußenministerium eine diplomatische Note an die US-Botschaft in Berlin senden müsse, um Interesse an einem Besuch deutscher Stellen auf Guantanamo bei Kurnaz zu bekunden. "Eine entsprechende Unterrichtung des Außenministeriums ist nicht erfolgt", bekannte das Kanzleramt in einer späteren internen Aufstellung der Vorgänge um Kurnaz.

Während die Sicherheitsbehörden, das von Otto Schily (SPD) geführte Bundesinnenministerium sowie das von Frank-Walter Steinmeier (SPD) geführte Kanzleramt, um Einzelheiten einer eventuellen Spitzeltätigkeit von Kurnaz in Deutschland, über eine Befragung von deutschen Experten auf Guantanamo und über eine eventuelle Überstellung von Kurnaz in die Bundesrepublik diskutierten, ließ man das eigene Auswärtige Amt teilweise im Nebel stochern. So wurde dem Fischer-Ministerium per Schreiben vom Kanzleramt vom 19. Januar 2004 mitgeteilt, man könne erst jetzt "nach Rücksprache mit dem Bundesnachrichtendienst" mitteilen, dass sich Herr Kurnaz tatsächlich "seit Ende 2002 in Guantanamo" befände. "Zuverlässige", aber nicht näher beschriebene "Hinweise aus dem Jahr 2002" würden belegen, dass es Kurnaz "den Umständen entsprechend gut" ginge. Darüber hinaus gebe es "keine jüngeren Erkenntnisse".

Zuvor hatten die Mutter von Kurnaz in einem Brief vom 1. Februar 2002 sowie mehrfach der Anwalt des Deutsch-Türken den Bundesaußenminister Fischer persönlich und das Amt um Aufklärung über den Verbleib von Kurnaz gebeten. Über ein Dutzend Anfragen des Bundesaußenministeriums bei deutschen Stellen, Behörden in den USA und in der Türkei, blieben danach monatelang ohne belastbare Informationen. Trotz längst stattgefundener Vernehmung von Kurnaz durch deutsche Sicherheitskräfte auf Guantanamo. Die Teilnahme eines Vertreters des Auswärtigen Amtes an der Vernehmung durch deutsche Sicherheitsdienste war bei Gesprächen mit Beauftragten des Kanzleramtes und des Bundesinnenministeriums abgelehnt worden. "Das Auswärtige Amt sollte sich kein eigenes Bild von der Situation der Gefangenen in Guantanamo machen können", zitierte ein Diplomat gegenüber der Zeitung aus einer Protokollnotiz.

Während das Auswärtige Amt im Jahr 2002 monatelang den Angehörigen mitteilte, man wisse nichts Wesentliches über Kurnaz, teilte schon am 9. Januar 2002 der Bundesnachrichtendienst dem "Chef Bundeskanzleramt" und der "Präsidentenlage" der Geheimdienste schriftlich mit, dass "noch in dieser Woche" der im afghanischen Gefangenenlager Kandahar einsitzende Gefangene Murat Kurnaz nach Guantanamo überstellt worden soll. "Bundeskriminalamt ist unterrichtet." Aber offenbar längst nicht alle Kräfte in der Regierung. Die "Präsidentenrunde" vom 29. Januar 2002 bat aber, als ein Ergebnis, darum, dass der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bei seinem unmittelbar bevorstehenden Besuch in den USA den Fall Kurnaz "nicht aktiv ansprechen" soll.

Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung

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