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Nebeneinkünfte: Bestsellerautoren weisen Interessenskonflikte der Politik nach

Archivmeldung vom 13.07.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.07.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Jens Brehl

Die Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten sorgen nach wie vor für Furore - allen voran jene des MdB Friedrich Merz (CDU). Akribisch recherchierte SPIEGEL ONLINE den aktuellen Einnahmestatus des einstigen Shooting Stars der CDU. Für die Bestsellerautoren Marita Vollborn und Vlad Georgescu ein erfreuliches Ereignis. Aber kein überraschendes Ergebnis. Denn die meisten Einnahmequellen des Politikers waren - ebenso wie jene der anderen Politiker - schon in der Vergangenheit abrufbar, wenn auch auf Umwegen und mit einigem Geschick.

Nachzulesen sind die Details rund um das Thema Interessenskonflikt und Abgeordnetenmandat im Bundestag im jüngsten Werk des Autoren-Duos, "Brennpunkt Deutschland", das bereits im Februar dieses Jahres im Lübbe Verlag erschien. Hier ein exklusiver Buchauszug über gierige Politiker und deren Jobs:

Friedrich Merz (CDU) weiß, was er will. Den „Umbau“ des Sozialstaates fordert er, "Steuergerechtigkeit" in Form einer Entlastung der Spitzenverdiener oder mehr Markt bei der Altersversorgung. Unvergessen bleibt sein Wort zum Bundestagswahlkampf 2005. „Wir haben in Deutschland kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem“, hatte er gesagt. Merz mag dabei nicht weit nach rechts und links, sondern eher in den Spiegel geschaut haben: Denn auch Merz gehört zu den Politikern, die sicher kein Einnahmeproblem haben. Der gelernte Anwalt war während der 15. Legislaturperiode ein viel beschäftigter Mann.

Neben seinem Sitz im Bundestag war er Vorsitzender des Konzernbeirates bei der AXA Konzern AG, Mitglied des Aufsichtsrates bei der AXA Versicherung AG, Mitglied des Verwaltungsrates des Chemieriesen BASF, Mitglied des Beirates bei der Commerzbank AG, Mitglied des Aufsichtsrates der Deutsche Börse AG und bei der Intersoh AG zur Verwertung von Sekundärrohstoffen, Beiratsmitglied bei Möller & Förster KG Baumärkte und Baustoffe sowie bei der Odewald &Compagnie Gesellschaft für Beteiligungen mbH, Mitglied des Aufsichtsrates bei der Rockwool Beteiligungs GmbH sowie Mitglied des Beirates der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. Vollständig ist diese Aufzählung nicht; es fehlen noch Nebentätigkeiten in Vereinen und Stiftungen sowie Honorare für diverse Vorträge.

Vergleichsweise mager nahm sich da die Liste des Unternehmers Heinrich Leonhard Kolb (FDP) aus. Kolbs Nebenjobs beschränkten sich in der Zeit vor der Großen Koalition auf die Mitgliedschaft im Sozialpolitischen Beirat des Gothaer Konzerns und auf die des Beirates für die Region Dieburg, Babenhausen und Schaafheim für die Vereinigte Volksbank Maingau eG. Zurückhaltend ebenfalls die FDP-Genossen Sibylle Laurischk und Hans-Joachim Otto sowie SPD-Mann Peter Danckert, alle Rechtsanwälte: Laurischk war Mitglied des Aufsichtsrates bei der Messe Offenburg GmbH, Otto lediglich ehrenamtlich und damit unentgeltlich bei der Frankfurter Volksbank eG, bei der Main FM Frankfurt Business Radio GmbH & Co sowie bei der RTL-Television GmbH aktiv und Danckert Aufsichtsratsmitglied der Hamburger Marseille-Kliniken sowie Kuratoriumsmitglied im Brandenburgischen Haupt- und Landgestüt. Ähnlich ausgelastet wie Laurischk, Danckert, Otto und Kolb war Max Straubinger, für die CDU/CSU im Bundestag. Er arbeitete nebenberuflich als Generalvertreter der Allianz-Versicherungen.

Was die auf den ersten Blick so verschiedenen sechs Politiker eint, ist nicht nur ihre Nähe zu Kapitalgesellschaften. Sie wehren sich gegen ein Gesetz, das mehr Einkommens-Transparenz bei Politikern vorschreibt und haben Klagen eingereicht. Streitpunkt ist eine Bundestagsentscheidung vom Juni 2005, die eine Verschärfung der Anzeigepflichten vorsieht. Bis dahin schrieb das „Amtliche Handbuch des Deutschen Bundestages“ lediglich die Art der „veröffentlichungspflichtigen Angaben“ vor, nicht aber Angaben über die Höhe der erzielten Bezüge. Ob beispielsweise der außerparlamentarische Posten im Aufsichtsrat einer Bank oder einer privaten Krankenversicherung hundert, tausend oder hunderttausend Euro im Jahr einbringt, blieb der Öffentlichkeit verborgen.

Die neu beschlossene Ehrlichkeit war kein Resultat eines Bewusstseinswandels, sondern die nackte Angst vor dem Verlust von Ansehen im Volk. Vorausgegangen waren eine Affäre nach der anderen. Sozusagen scheibchenweise erhielt das Volk Einblick in das, was hinter den Kulissen vorgetäuschter politischer Geradlinigkeit ablaufen kann. Da musste Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) kurz vor der Bundestagswahl 2002 aufgeben, nachdem er mittels Airbus der Regierung und Bundeswehrmaschinen zwischen Mazedonien und Mallorca hin und her gependelt war – dem Standwort deutscher Soldaten und seinem Liebesnest. Schätzungsweise 400 000 Mark sollen die Trips zwischen Pflicht und Neigung den Steuerzahler gekostet haben. Im gleichen Jahr flog die Gewohnheit mancher Politiker auf, dienstlich angesammelte Bonuspunkte bei Flugreisen für private Flüge zu nutzen. Cem Özdemir von den Grünen und PDS-Politiker Gregor Gysi traten daraufhin zurück, unter Verdacht gerieten auch der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt Ludger Vollmer und Ex-Umweltminister Jürgen Trittin. Neben harmlos anmutenden Vergehen a la Özdemir und Gysi nimmt sich die Affäre um Jürgen Möllemann (FDP) wie ein Mafia-Streifen aus. Möllemann stürzte bei einem Fallschirmsprung in den Tod, nachdem er infolge schwerer Vorwürfe seine Immunität eingebüßt hatte und sich Polizei und Staatsanwaltschaft an seine Fersen geheftet hatten. Steuerhinterziehung und Verstoß gegen das Parteiengesetz hatten die Vorwürfe gelautet, außerdem soll seine Firma WebTec mit Waffengeschäften im arabischen Raum in Verbindung gestanden haben. Ebenfalls 2003 geriet der damalige Leiter der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster (SPD), in die Schlagzeilen. Er hatte mit dem Vorstand des Berliner Kommunikations-Beratungsunternehmens WMP Eurocom, Bernd Schiphorst, einen hoch dotierten Beratervertrag abgeschlossen und in der Folge einen PR-Auftrag in Höhe von 1,3 Millionen Euro vergeben, ohne diesen zuvor ausgeschrieben zu haben. Pikant auch, dass zur gleichen Zeit Rainer Wend (SPD) als Aufsichtsratsvorsitzender bei WMP tätig gewesen war und gleichzeitig dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit im Bundestag vorgesessen hatte. Bevor Gerster dem Bundestagsausschuss Rede und Antwort über das WMP-Geschäft stehen musste, gab Wend sein Amt bei WMP umgehend auf. Er begründete seinen Entschluss damit, nicht den Anschein erwecken zu wollen, keine unabhängigen politischen Entscheidungen mehr treffen zu können. Auch Gerster und WMP reagierten. Nach der Ankündigung des Bundesrechnungshofs, den Vorgang prüfen zu wollen, beendeten die Beteiligten den Vertrag vorzeitig. 2004 wurde bekannt, dass Gerster außerdem seit September 2002 mit dem Münchener Unternehmensberater Roland Berger sechs Verträge mit einem Gesamtvolumen von 12,5 Millionen Euro abgeschlossen hatte. Summa summarum sollen es fünf Beraterfirmen gewesen sein, mit denen Gerster Vereinbarungen in Höhe von 38 Millionen Euro getroffen haben soll. Noch im Januar 2004 entzog der Verwaltungsrat der in Bundesagentur für Arbeit umbenannten Institution Gerster das Vertrauen.

2004 war auch das Jahr, in dem die Tragweite wirtschaftspolitischer Verflechtungen ins Bewusstsein der Bevölkerung drang. Erst traf die Wucht der Wahrheit CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, später noch weitere Bundestagsabgeordnete. Meyer, ehedem engster Mitarbeiter von Parteichefin Angela Merkel, hatte zeitweise nicht nur doppelt, sondern dreifach Gehalt bezogen: als CDU-Generalsekretär, als Vizelandtagspräsident von Nordrhein-Westfalen und von seinem ehemaligen Arbeitgeber, der VEW Energie AG, die 2000 mit dem Energiekonzern Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke (REW) fusionierte. Vergleichsweise marginal, aber schon anrüchig genug war das Vergehen Meyers, trotz seines Ausscheidens aus der Firma Strom zum verbilligten Mitarbeitertarif in Anspruch genommen zu haben; erschreckend dagegen sein Selbstverständnis, insgesamt 250 000 Mark (127 822 Euro) als angebliche Abfindung zu kassieren, obwohl er nach den verlorenen Landtagswahlen in NRW zunächst zu REW zurückkehrte und die Abfindung damit gar keine Abfindung im eigentlichen Sinne war. Später berichtete der Spiegel, dass Meyer zwischen Juni 2000 und April 2001 zusätzlich dazu nicht nur sein volles Gehalt von RWE, das jährlich zwischen 130 000 und 200 000 Mark betrug, sondern auch noch weitere Zahlungen in Höhe von mindestens 130 000 Mark erhalten haben soll. Obwohl Meyer ankündigte, 81 806 Euro an SOS-Kinderdörfer spenden zu wollen, konnte er seinen Kopf nicht retten. Am 22. Dezember 2004 trat Laurenz Meyer als Generalsekretär zurück. 2005 folgte eine Vereinbarung zwischen RWE und Meyer, wonach dessen Arbeitsverhältnis rückwirkend zum 31. Dezember 2004 mit einer Abfindung von 400 000 Euro beendet wurde. Die Staatsanwaltschaft sah keine hinreichenden Gründe für ein Verfahren gegen Meyer, da es sich ihrer Ansicht nach weder um Bestechlichkeit noch Vorteilsnahme handele, wenn ein Abgeordneter Geld entgegen nimmt.

Vor Meyer war sein Parteikollege Hermann-Josef Arentz über eine ähnliche Gehaltsaffäre mit RWE gestolpert. Der ehemalige Bundesvorsitzende der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) hatte von RWE ebenfalls verbilligten Strom sowie jährlich 60 000 Euro kassiert, obwohl er als Landtagsabgeordneter seiner Arbeit bei RWE gar nicht mehr nachgehen konnte. So liegt es nahe, einem Bericht der Financial Times Deutschland Glauben zu schenken, wonach vierzig weitere Landes- und Bundespolitiker auf der Payroll des Essener Energiekonzerns RWE stehen. RWE dementierte diese Angaben und räumte lediglich ein, dass im Konzern rund zweihundert Politiker arbeiteten, die überwiegend ehrenamtlich auf kommunaler Ebene tätig seien. Zumindest fraglich sind auch Vergütungen für die rund hundert Mitglieder in den so genannten Regionalbeiräten, die das Netz- und Vertriebsunternehmen RWE Energy in Nordrhein-Westfalen gebildet hat: Landräte und Bürgermeister. Sie vertreten Gemeinden, die mehr als zehntausend RWE-Aktien halten oder dem Verband der kommunalen RWE-Aktionäre angehören. Ihre Jahresvergütung liegt bei 6650 Euro plus Sitzungsgeld von hundert Euro. Ob und wie viel dieser Gelder ordnungsgemäß an die Gemeindekassen abgeführt werden, ist nicht bekannt. Da der Energiekonzern RWE auch so umstrittene Energiequellen wie Atomkraft und Kohle anbietet, wäre es schon hilfreich zu wissen, wer auf den Gehaltslisten des Konzerns steht, denn nur so können Wähler die energiepolitischen Äußerungen ihrer Volksvertreter besser einordnen.

RWE ist nicht das einzige Unternehmen, das ein Auge auf Politiker geworfen hat. Die Aufzählung sämtlicher bekannt gewordener Fälle aus den vergangenen Jahren würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Nur die folgenden Beispiele aus Politik und Wirtschaft seien noch genannt:

  • Martin Bangemann (FDP), Ex-Wirtschaftsminister und ehemaliger EU-Kommissar für Industriepolitik, Informationstechnologie und Telekommunikation wurde 2000 Mitglied des Vorstands der spanischen Telefon-Konzerns Telefonica und 2001 Mitglied des Aufsichtsrats der Hunzinger Informations AG, was die EU-Kommission zum Anlass für einen Verhaltenskodex und zur Einberufung einer Ethikkommission veranlasste.
  • Die Hunzinger Informations AG, vor dem Börsengang Hunzinger PR GmbH, rühmte sich ihrer guten Kontakte zur Politik. Sie soll im Laufe der Jahre mehr als sechshundert Politiker, Parteien, Richter und Militärs unterschiedlich hohe Beträge überwiesen haben. Zu ihren Kunden gehörten ebenfalls namhafte Wirtschaftsunternehmen und Banken. Im Jahr 2002 spendete Hunzinger den Grünen 7500 Euro. Zuvor hatte Verbraucherministerin Renate Künast einen Vortrag in Hunzingers „Politischem Salon“ gehalten, dafür aber kein Honorar verlangt. Für Hin- und Rückflug hatte die Ministerin ein Flugzeug der (öffentlich finanzierten) Bundesluftwaffe benutzt. Über Hunzinger-Kontakte stolperten mehrere Politiker. Rudolf Scharping soll für Vorträge und eine nicht realisierte Buchveröffentlichung rund 72 000 Euro und Cem Özdemir soll einen „privaten Kredit“ von 41 000 Euro erhalten haben. Auch Guido Westerwelle stolperte über seine Kontakte zu Hunzinger. Hunzinger soll dem FDP-Fraktionsvorsitzenden bis 1998 drei Mal Schecks über insgesamt 29 999,999 Mark ausgestellt haben. Ein Scheck habe mit 9999,99 Mark einen Pfennig unter der Grenze gelegen, ab der damals Abgeordnete Spenden beim Bundestagspräsidenten melden mussten. Hunzinger, der bis 2003 Bundesschatzmeister der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) war, wurde 2006 wegen Insiderhandels rechtskräftig verurteilt.
  • Walter Döring (FDP), bis 2004 Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg, geriet im Skandal um die Scheinfirma Flow-Tex ins Zwielicht. Er hatte bei der Hunzinger-Tochter infas, Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH, eine Umfrage zu seiner Wirtschaftspolitik in Auftrag gegeben. Bezahlt werden sollte die zehntausend Mark teure Umfrage von Bettina Morlok, Geschäftsführerin der Flow-Tex-Tochter Flow Waste, einer Abfallfirma. Bettina Morlok ist die Nichte des FDP-Ehrenvorsitzenden in Baden-Württemberg, Jürgen Morlok. Jürgen Morlok wiederum „hatte sich mit seinen Kontakten zur Politik für Manfred Schmider nützlich gemacht“ , seines Zeichens Flow-Tex-Boss und später wegen Betrugs zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Ex-Wirtschaftsminister Döring hatte sich schon 1997 für Bettina Morloks Firma stark gemacht, als sie sich in Kärnten um den Bau eines Müllofens beworben hatte: Döring schickte ein Empfehlungsschreiben an den FPÖ-Rechtsaußen Jörg Haider. Außerdem hatten er und Bettina Morlok den damaligen CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gedrängt, sich in Österreich für Flow Waste zu engagieren. Teufel war die Sache nicht geheuer, und er lehnte ab. Nachdem Flow-Tex immer weiter ins Schussfeld von Justiz und Öffentlichkeit geriet, deklarierte Döring die zehntausend Mark der Morlok-Nichte als Parteispende – allerdings wurde diese als solche nie auf dem Konto der FDP verbucht, und Moritz Hunzinger behauptete, die Umfrage habe überhaupt nichts gekostet, weil er sie spendiert habe.
  • Ulrike Flach (FDP), ehemals stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes NRW und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, bezog ab 1999 von Siemens ein jährliches Gehalt von 60 000 Euro – ohne entsprechende Gegenleistung, so der Vorwurf. - Im Jahr 2005 ließ VW die Katze aus dem Sack. Der Konzern hat seit 1990 Mitarbeitern, die in die Politik gewechselt sind, ihr Gehalt weiterbezahlt. Dass die Zahlungen gegen das Abgeordnetengesetz verstießen, weil es Vergütungen nur für eine Arbeitsleistung erlaubt, scheint die beiden Bundestagsmitglieder Jann-Peter Janssen und Hans-Jürgen Uhl, die niedersächsischen Landtagsabgeordneten Günter Lenz, Ingolf Viereck und Hans-Hermann Wendhausen sowie den bayerischen Landtagsabgeordneten Hans Joachim Werner, alle SPD-Mitglieder, nicht weiter gestört zu haben. Die Genossen hatten von den VW-Grundsätzen aus 1990 profitiert, wonach „Mandatsträgern weitgehende Autonomie in der Arbeitszeitgestaltung bei Fortzahlung ihrer Bezüge“ zustand. VW kündigte an, diesen Grundsatz rückwirkend zum ersten Januar 2005 ersatzlos zu streichen. Während der niedersächsische CDU-Fraktionschef David McAllister mehr Transparenz bei Nebeneinkünften forderte, lobte Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) die Bereitschaft des Konzerns zur Aufklärung. Wulff sitzt im Aufsichtsrat von VW, an dem Niedersachsen 18,2 Prozent Anteile hält. Kaum einen Monat, nachdem die Bundesregierung der Verschärfung des Abgeordnetengesetzes und der „Verhaltensregeln für die Mitglieder des Bundestages“ zugestimmt hatte, kam der VW-Korruptionsskandal ans Licht. Um die einflussreichen Betriebsräte milde zu stimmen, soll die Firmenleitung Mitglieder des Betriebsrates mit finanziellen Zuwendungen, Einladungen zu Partys, mit Luxusreisen und Dienstleistungen von Prostituierten bestochen haben. Zahlreiche SPD-Mitglieder sind in die Affäre verwickelt, unter anderem auch Günter Lenz (SPD). Er ist nicht nur Mitglied des Aufsichtsrates der Volkswagen AG, der VW pension trust e.V. und der VW-Tochter Auto 5000 GmbH, sondern darüber hinaus seit 1998 Betriebsratsvorsitzender bei VW Nutzfahrzeuge in Hannover, Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) und seit 1989 Vorsitzender des AfA-Bezirksvorstandes Hannover. Jetzt drohen dem umtriebigen Volks- und Arbeitnehmervertreter unliebsame Nachforschungen: Die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Braunschweig erhärten den Anfangsverdacht, Lenz habe auf Firmenkosten an mehreren Sexpartys teilgenommen. Hätte Lenz die professionellen Gespielinnen aus eigener Tasche bezahlt, wäre es seine Privatangelegenheit gewesen. Falls sich aber bestätigt, dass VW die Rechnungen bezahlt hat, würden seinem Verhalten juristische Schritte folgen. Das strafbare Delikt ist Untreue, bis zu fünf Jahre Gefängnis stehen darauf. Zeugen belasten auch Hans-Jürgen Uhl (SPD), der bis 2003 Generalsekretär des Weltkonzernbetriebsrats von VW war, und den ehemaligen Vorstand Peter Hartz, Namenspatron der umstrittenen Arbeitsmarktreformen. Weil Uhl sogar eidesstattlich abstritt, ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts einer falschen eidesstattlichen Versicherung. Auch gegen Hartz ist die Staatsanwaltschaft aktiv; sie vermutet ebenfalls Untreue. Über Hartz’ Vorstandskonto mit der Nummer 1860 sind Millionenbeträge abgerechnet worden, „darunter in erheblichem Umfang Vergnügungsspesen“.

Nunmehr ist Gesetz, dass „die Ausübung des Mandats“ im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Abgeordneten zu stehen hat und dass die Mandatsträger nur dann Geld oder andere Zuwendungen annehmen dürfen, wenn sie eine „angemessene Gegenleistung“ gewähren. Was genau für dieses Geld getan wird, darüber wird sich das Bundestagshandbuch auch in Zukunft ausschweigen. Auch besteht keine Pflicht, die Einkünfte aus einem parallel ausgeübten Beruf zu veröffentlichen. Verstoßen die Abgeordneten gegen die neuen Regeln, droht ihnen ein Ordnungsgeld, das bis zur Hälfte der jährlichen Diät betragen kann. Das Gesetz sieht außerdem vor, Nebeneinkünfte gestaffelt in Einkommensstufen bis 3500, 7000 Euro und über 7000 Euro pro Monat publik zu machen. Nur der Bundestagspräsident, dem die zusätzlichen Einnahmen gemeldet werden müssen, kennt die genaue Höhe. Als jedoch bekannt wurde, dass sechs Abgeordnete gegen die neuen Regeln klagten, setzte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) im März 2006 die Veröffentlichung aus – er wolle erst das Urteil das Bundesverfassungsgerichts abwarten, hieß es. Wie lange die Entscheidung des Gerichts auf sich warten lassen wird, ist allerdings ungewiss. Bereits in seiner Antrittsrede im Bundestag hatte Lammert von notwendigen „Nachjustierungen“ und „Übertreibungen“ gesprochen, als er Bezug auf den vom 15. Bundestag beschlossenen Verhaltenskodex nahm. Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle Beifall von der CDU/CSU, der FDP und von Abgeordneten der SPD. Was haben die Volksvertreter zu verbergen? Dass Unmut und Widerstand gegen das Gesetz so groß sind, lässt vermuten, dass Geld eben doch stinkt. Auch Lammert war während der 15. Legislaturperiode als bezahltes Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft tätig: der RAG in Essen, früher Ruhrkohle AG, ein Unternehmen mit den Schwerpunkten Energie, Chemie, Bergbau und Immobilien, mit mehr als 100 000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 22 Milliarden Euro. Kamen Lammert damit die Klagen der sechs Politiker gelegen? Sein Verhalten spricht dafür: Vorerst bleiben sämtliche Angaben unter Verschluss. Das betrifft auch die bisher gängige Veröffentlichung von Posten, die von der Klage gar nicht betroffen sind. Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim kritisiert das Vorgehen Lammerts in einem Interview mit dem Netzwerk campact, Demokratie in Aktion, das sich dem Kampf gegen Lobbyismus und Korruption verschrieben hat, heftig:

„Die Entscheidung von Bundestagspräsident Lammert, vorerst keine Angaben zu Nebeneinkünften der Bundestagsabgeordneten zu veröffentlichen, stellt die Ankündigung eines offenen Gesetzesbruches dar. § 44 des Abgeordnetengesetzes sowie die Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete verlangen zwingend die Veröffentlichung der Angaben. Der Bundestagspräsident ist nicht befugt, die Anwendung des Gesetzes auszusetzen. Das könnte allenfalls das Bundesverfassungsgericht.“

Lammert sieht den ganzen Fall freilich aus seiner eigenen Perspektive. Unsere Anfrage ließ der Bundestagspräsident von einer Mitarbeiterin des Pressereferats des Deutschen Bundestags beantworten. Darin heißt es:

„Der Bundestagspräsident hat nach der Geschäftsordnung den Bundestag zu vertreten und seine Rechte zu wahren. Dazu zählen selbstverständlich auch die Rechte seiner Mitglieder.“

Überhaupt nicht mehr nachvollziehbar werden Lammerts Position und die der sechs klagenden Abgeordneten im Hinblick darauf, wie viel Strenge Politiker bei anderen walten lassen:

  • Jeder Hartz-IV- Empfänger muss seine Einkünfte offen legen. Laut §§ 60 bis 64 Sozialgesetzbuch I (SGB I) muss ein Hilfeempfänger alle Fakten angeben, die für die Leistung „erheblich“ sind. Er ist verpflichtet, „auf Verlangen Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen“. Kontoauszüge sind grundsätzlich Beweisurkunden. AdTech Ad
  • Selbst Vorstände von Aktienunternehmen müssen neuerdings ihre Bezüge detailliert kundtun. Das Bundeskabinett beschloss im Mai 2005 das „Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz (VorstOG)“, weil „wirksame Kontrolle und Transparenz erforderlich sind, um Vorwürfe wie „Selbstbedienungsmentalität“ zu vermeiden.“
  • Dem „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ ist ab 1. April 2005 das Bankgeheimnis zum Opfer gefallen. Seitdem können Finanzbehörden die Kontodaten jedes Steuerzahlers abfragen: Name, Adresse, Geburtsdatum, Kontonummern sämtlicher Konten, Art der Konten und wer verfügungsberechtigt ist. Kein Giro-, Spar- und Anlagekonto bleibt verborgen. Außerdem melden Rentenversicherer die Rentendaten, die Nachlassgerichte den Inhalt von Testamenten, Notare Immobiliengeschäfte und die Versicherungsunternehmen die Auszahlung von Lebensversicherungen an das Finanzamt. Diese Daten kann das Finanzamt auf Anfrage an die Agentur für Arbeit, an das Sozialamt, das Bafög-Amt und die Wohngeldstelle weitergeben.

Die Politik misst mit zweierlei Maß, und die Bürger fragen sich, für wen die gewählten Volksvertreter eigentlich wirklich tätig sind. So ist auch nicht weiter verwunderlich, dass das Ansehen von Politikern seit Jahren sinkt, den Wahlaufrufen immer weniger Menschen folgen, und viele den Glauben an eine rosige Zukunft Deutschlands verloren haben. Bereits im Jahr 2002 hatte die Arbeitsgruppe Perspektive Deutschland eine Umfrage gestartet, die den verheerenden Schwund an Zuversicht belegte. Demnach vertrauten schon damals nur drei Prozent der Bundesbürger den politischen Parteien. 57 Prozent bewerteten deren Aufgabenerfüllung als schlecht und 80 Prozent forderten dringend eine Leistungskontrolle und eine Verbesserung der Transparenz. Doch der Appell verschallte ungehört. Beauftragt von Reader’s Digest, wollte das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Juni 2005 wissen, wie es um die Stimmung der Deutschen bestellt war. Emnid kam zu einem erschreckenden Ergebnis: Das Vertrauen der Bürger in die politischen Parteien hatte im Vergleich zu 1995 einen neuen Tiefstand erreicht.

Quelle: Pressemitteilung Gustav Lübbe Verlag


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