Landesvertretungen kooperieren mit Lobbyisten vor Bundesratssitzungen
Archivmeldung vom 01.12.2014
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Landesvertretungen beim Bund der Länder Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hamburg kooperieren im laufenden Gesetzgebungsprozess eng mit ausgewählten Interessenvertretern großer Konzerne. Sie laden regelmäßig Lobbyisten vor Bundesrats-Sitzungen zu vertraulichen Runden mit den zuständigen Ministern und Staatssekretären ein. Das Ziel der institutionalisierten Runden, speziell für ausgewählte Lobbyisten: die Weitergabe von Details und Beantwortung von speziellen Fragen zu den anstehenden Gesetzes-Entscheidungen im Bundesrat.
Erhard Weimann, der zuständige Staatssekretär in der Landesvertretung Sachsen, sagte gegenüber dem SWR, dass es sich um "sehr effiziente Runden" handele, "weil wir dafür da sind [...], auch mit den Interessenvertretern zu hören, zu kooperieren, zusammenzuarbeiten." In der sächsischen Landesvertretung wurden nach Angaben der Veranstalter bei den Treffen der Widerstand der Wirtschafts-Lobby gegen das Mindestlohn-Gesetz koordiniert und Korrekturen auf den Weg gebracht: "Beim Mindestlohn gab es Nachbesserungsbedarf an sieben bis acht Punkten - so kam er dann auch", so der Staatssekretär.
Auch in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen trifft sich die Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien Angelica Schwall-Düren regelmäßig und vertraulich mit Lobbyisten kurz vor den Bundesratssitzungen. Mit dabei - unter anderem die Lobbyisten von Lufthansa, BP, RWE, BAYER, EnBW, BASF, GDV (Versicherungswirtschaft). Dies berichtet der SWR unter Berufung auf einen dem Sender vorliegenden 5-seitigen "Ergebnisvermerk" vom 27.9.2012, in dem Verhandlungsergebnisse protokolliert wurden. Ausdrücklich werden die Lobbyisten zudem aufgefordert, spezielle Fragen zu allen Einzelheiten der zur Abstimmung stehenden Gesetze an die Landesvertretung vorab zu richten. Für die Landesvertretung NRW ein ganz normaler Vorgang, so die Stellungnahme gegenüber dem SWR: "Der Meinungsaustausch zwischen Politik und Wirtschaft gehört zum selbstverständlichen Umgang und ist ausdrücklich Teil der gesellschaftspolitischen Verantwortung beider Akteure. Nur wenn Gestalter und Entscheider aus Politik und Wirtschaft um die jeweiligen Ziele wissen, sind politisches Handeln und Interessenausgleich möglich."
In Baden-Württemberg laufen die regelmäßigen, internen Lobby-Unterrichtungen unter dem Titel "Preview Bundesrat". Lobbyisten führender Unternehmen werden meist morgens um 8.30 Uhr in die Landesvertretung geladen und, so Teilnehmerberichte, detailliert über die anstehenden Gesetze aus erster Hand vom zuständigen Minister informiert. Zuletzt am 24.11.2014 - wie üblich wenige Tage vor der Bundesratssitzung. Die Landesvertretung Hamburg lädt Lobbyisten u. a. in der Bundesratswoche ebenfalls regelmäßig zu einem "politischen Eintopf" ein. Da es sich um ein vertrauliches Treffen handele, wollte der zuständige Staatsrat sich zu Einzelheiten der Besprechungen nicht äußern.
Der Verwaltungsrechtsexperte Prof. Dr. Ulrich Battis von der Berliner Humboldt-Universität kritisiert diese Kooperation: "Ich halte das für eine undemokratische und rechtsstaatswidrige Praxis." "Das Entscheidende ist, dass es hier unmittelbar vor solchen Sitzungen [des Bundesrates, Anm. der Red.] stattfindet, also Teil des parlamentarischen Verfahrens, und das wiederum nicht öffentlich, nicht transparent, sondern eben außerhalb der Öffentlichkeit. Und das ist schwer zu ertragen."
Bundestagsabgeordnete schulen Interessenvertreter in kommerziellen Seminaren
Die SWR-Dokumentation zur Kooperation von Lobbyisten und Politikern berichtet auch über kommerzielle Seminare unter dem Titel "Lobbying für Fortgeschrittene". Mehrere Bundestagsabgeordnete, darunter sogar aktive und frühere Vize-Präsidenten des Deutschen Bundestages, traten in diesen Schulungen als Gastredner auf, um ihr Praxiswissen zu vermitteln. Ziel des Seminares ist es, den Teilnehmern "Tipps und Tricks" in der "Hohen Schule der politischen Intervention" zu vermitteln, so die Eigenwerbung des Veranstalters.
Dass Bundestagsabgeordnete Lobbyisten schulen, hält der Präsident des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Norbert Lammert, gegenüber dem SWR für "mindestens unnötig und im Zweifelsfall auch problematisch". Und fährt fort: "Da würde ich mich mit jedem konkreten Fall, wenn er mir vorgetragen würde, gegebenenfalls auseinandersetzen."
Der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Ulrich Battis bewertete solche Lobbyisten-Trainings von Bundestagsabgeordneten gegenüber dem SWR: "Das überrascht mich sehr, das muss ich nun wirklich sagen. Hier wechselt jemand direkt die Front, er bleibt Abgeordneter oder Abgeordnete und gleichzeitig bildet er Lobbyisten aus, um ihnen klar zu machen, wie sie am besten ihre spezifischen Tätigkeiten gegenüber dem Parlament ausüben können." Und weiter: "Diesen Rollenwechsel vorzunehmen, halte ich für außerordentlich bedenklich, und ich meine auch, dass das Bundestagspräsidium einer solchen Praxis nachgehen sollte."
Lobbyist Dr. Hubert Koch: Ein Drittel der Lobbyisten erhält Gesetzesentwürfe im Frühstadium
Nach Einschätzung des erfahrenen Lobbyisten und führenden Anbieters für Fach-Seminare zur professionellen Interessenvertretung, Dr. Hubert Koch, erhalten Lobbyisten Gesetzesentwürfe aus Berliner Ministerien häufig im Frühstadium, lange bevor Bundestagsabgeordnete informiert werden. "Ein Drittel maximal schafft das" [Anm. der Red.: die frühzeitige Beschaffung der Gesetzesentwürfe], sagte Dr. Koch gegenüber dem SWR. Diese Praxis widerspricht den strengen Bestimmungen der "Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien" und den dafür gültigen Regeln der Bundesregierung. Dr. Koch weiter zu dieser Praxis: "Wenn man ein gewisses Gespür hat, wenn man Vertrauen hat, wenn man die Netzwerke hat, dann geht relativ viel." Dr. Koch berichtet weiter aus der Praxis von Lobbyisten: "Einflussmöglichkeiten sind natürlich dann groß, bevor ein Gesetzesentwurf fertig geschrieben ist, manchmal gibt es auch noch Grauzonen davor. [...] Die Praxis zeigt, dass es in Berlin so ist."
Aktuelles juristisches Gutachten: Personalaustausch-Programm der Bundesregierung für Lobbyisten ist "verfassungswidrig"
In einer aktuellen, dem SWR vorliegenden 73-seitigen Studie mit dem Titel "Der vorübergehende Seitenwechsel aus der Privatwirtschaft in den Staatsdienst" untersucht Prof. Dr. Bernd Hartmann das seit 10 Jahren praktizierte "Personalaustausch-Programm" der Bundesregierung. Dieses - auch vom Bundesrechnungshof kritisierte Programm - ermöglicht Lobbyisten den befristeten Seitenwechsel (vorgesehen sechs Monate, in der Praxis oft länger als zwei Jahre) in Ministerien. Gegenüber dem SWR sagte Hartmann: "Ich halte das Programm, wie es derzeit stattfindet, für verfassungswidrig. Es verstößt gegen das Grundgesetz. Das Grundgesetz normiert einen Staat, der im Interesse der Allgemeinheit tätig wird. Wenn jetzt von Arbeitgebern entsandte private Arbeitnehmer im Ministerium wie Beamte tätig werden, entsteht der Interessenskonflikt, dass die im Interesse ihres Arbeitgebers, im privaten Interesse tätig werden und nicht im Interesse der Allgemeinheit." Weiter sagte er: "Es verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip, weil das Rechtsstaatsprinzip eine neutrale Verwaltung will. Der Staat muss dem allgemeinen Interesse dienen und nicht den privaten Interessen der entsendenden Arbeitgeber."
Der Berliner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Battis kritisierte das sogenannte "Seitenwechsler-Programm" ebenfalls scharf: "Das Problem ist natürlich, dass es hier zu Durchstechereien kommt, dass hier unzulässiger Lobbyismus gemacht wird. Kurz, dass man sogar das Ministerium kapert." Das für das Personalaustausch-Programm zuständige Bundesinnenministerium (BMI), das dieses Programm gemeinsam mit der Deutschen Bank entwickelt hatte, war trotz wiederholter Anfragen nicht zu einer Stellungnahme bereit.
Dies berichtet der SWR in seiner TV-Dokumentation "Leif trifft: Lobbyisten - Die stille Macht im Land", die das SWR Fernsehen am 3. Dezember um 20.15 Uhr ausstrahlt. Vertrauliche Einladungen der Lobbyisten mit zum Teil detaillierten Tagesordnungen sowie Protokolle solcher bislang nicht bekannten Absprachen liegen dem SWR vor.
Quelle: SWR - Südwestrundfunk (ots)