93.316 Asylanträge im Halbjahr - Seehofer bangt um Obergrenze
Archivmeldung vom 10.07.2018
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtIm ersten Halbjahr 2018 wurden 93.316 förmliche Asylanträge gestellt, 18.300 oder 16,4 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Davon waren 81.765 Erst- und 11.551 Folgeanträge, teilte das Innenministerium am Dienstag mit. "Die Anzahl von mehr als 93.000 Asylanträgen im ersten Halbjahr 2018 belegt, dass weiterhin sehr viele Menschen nach Deutschland kommen, die einen Schutzbedarf geltend machen", sagte Innenminister Horst Seehofer (CSU).
Damit werde es zunehmend wahrscheinlich, dass der im Koalitionsvertrag vereinbarte Korridor für die Zuwanderung von 180.000 bis 220.000 Personen jährlich erreicht oder sogar überschritten werden könnte. Die Top-10 der Staatsangehörigkeiten wurde angeführt von Syrien, Irak und Afghanistan.
Im Monat Juni 2018 lag die Zahl der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellten förmlichen Asylanträge bei 13.254, davon waren 11.509 Erst- und 1.745 Folgeanträge - 6,1 Prozent mehr als im Vormonat und 13,2 Prozent weniger als im Vorjahresmonat Juni 2017. In den Monaten Januar bis Juni 2018 hat das Bundesamt über die Anträge von 125.190 Personen entschieden, 282.957 weniger (- 69,3 Prozent) als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
19.433 Personen (15,5 Prozent) wurde die Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt. Darunter waren 1.668 Personen (1,3 Prozent), die als Asylberechtigte nach Art. 16a des Grundgesetzes anerkannt wurden, sowie 17.765 Personen (14,2 Prozent), die Flüchtlingsschutz nach § 3 des Asylgesetzes i. V. m. § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes erhielten. 14.084 Personen (11,3 Prozent) erhielten nach § 4 des Asylgesetzes subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU.
Darüber hinaus hat das Bundesamt bei 6.165 Personen (4,9 Prozent) Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 oder Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes festgestellt. Abgelehnt wurden die Anträge von 45.198 Personen (36,1 Prozent). Anderweitig erledigt (z.B. durch Entscheidungen im Dublin-Verfahren oder Verfahrenseinstellungen wegen Rücknahme des Asylantrages) wurden die Anträge von 40.310 Personen (32,2 Prozent).
Entwicklungsminister will Engagement in Herkunftsländern verstärken
Vor der offiziellen Präsentation des in der Koalition umstrittenen
Masterplans Migration von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
fordert Entwicklungsminister Gerd Müller (ebenfalls CSU) Priorität für
die Bekämpfung von Fluchtursachen.
"Der Masterplan von Horst Seehofer
ist ein hervorragendes Gesamtkonzept, um Migration besser zu steuern, zu
begrenzen und Fluchtursachen wirksam zu verringern", sagte Müller dem
"Redaktionsnetzwerk Deutschland". "Besonders wichtig
ist mir dabei, dass im ersten Kapitel sehr klar steht, dass wir dazu
unser Engagement in den Herkunftsländern deutlich verstärken müssen. Da,
wo Kriege, Hunger und Not die Flucht auslösen."
Dies sei vor allem der Krisenbogen um Syrien und Afrika: "Denn Hilfe vor Ort ist der wirksamste und humanste Weg, Migration zu ordnen und Fluchtursachen zu verringern."
Schäuble: Offene Grenzen innerhalb Europas kein Problem
Bundestagspräsident Wolf Schäuble sieht offene Grenzen innerhalb
Europas positiv. "Es ist unbestritten, dass die offenen Grenzen
innerhalb Europas kein wirkliches Problem sind. Im Gegenteil: Wir
profitieren von ihnen", sagte Schäuble der "Heilbronner Stimme". Aber weil eben diese Offenheit selbstverständlich
geworden sei, so Schäuble, "droht der höhere Sinn eines einigen Europas
verloren zu gehen. Unter den neuen Herausforderungen muss es der Politik
künftig besser gelingen, den Menschen dieses prioritäre Interesse zu
vermitteln".
Der Bundestagspräsident fügte hinzu: "Manchmal kann es
ermüdend sein zu hören, es gehe doch um `deutsche Interessen`. Es gibt
kein besseres deutsches Interesse als die europäische Einigung!" Der
Politiker, der seit 1972 dem Bundestag angehört, betonte, Isolation
helfe niemandem in Europa, und: "Das muss man wieder und wieder
erklären. Das ist die Aufgabe von Politik, aber es ist angesichts der
heutigen Informationsflut schwieriger geworden."
Schäuble warnt auch vor
einer Debatte über Grenzverläufe: "Die Menschen wollen nicht in einem
Europa leben, in dem die Grenzen wieder hermetisch abgeriegelt sind.
Wenn wir Grenzen wieder kontrollieren würden, dann wären wir bald auch
wieder zu einem Zustand zurückgekehrt, in dem über Grenzen an sich
gestritten wird." Weltweit gebe es 60 bis 70 Millionen Flüchtlinge, die
wenigsten befänden sich in Europa. Der Bundestagspräsident betonte:
"Manche befürchten jedoch: sie sind noch nicht in Europa, sie werden
aber noch kommen. Unser Werte-Verständnis verpflichtet uns, Menschen,
die in Not sind, nach besten Kräften zu helfen."
Die Grundfrage sei: "Wie schaffen oder erhalten wir eine Ordnung, in der die Menschen in Freiheit und gleichzeitig so zusammenleben, dass es funktioniert?" Schäuble betonte weiter: "In der Migrationsfrage gibt es jedenfalls keine einfachen Lösungen. Es muss nur klar sein, dass es Grenzen der Belastbarkeit gibt. Auch in meiner Partei gab es Stimmen, dass das Flüchtlingsthem! a kleine r wird, wenn wir nur weniger darüber sprechen würden. Aber ich bin anderer Meinung."
Die Menschen treibe doch die Frage um: "Wie bekommen
wir es einigermaßen hin? Ein Staat, der sich selbst etwas zutraut, kann
das schaffen, sollte es schaffen. Aber man darf die Zweifel nicht
verharmlosen." Notwendig sei ein starkes und einiges Europa auch mit
Blick auf das Thema Migration: "Wir sehen und spüren nun konkret, was
die Globalisierung für uns bedeutet und mit uns macht - ob es uns
gefällt oder nicht. Wir sind mit den Auswirkungen der Entwicklungen in
allen Teilen der Welt, insbesondere in Afrika und auf der anderen Seite
des Mittelmeeres, sehr intensiv und direkt konfrontiert. Diese
Erkenntnis geht mit meiner tiefen Überzeugung einher, dass wir ein
starkes, einiges und handlungsfähiges Europa brauchen."
Er betonte weiter: "Wir haben jedenfalls im Zeitalter der Globalisierung keine gute Zukunft, wenn wir Europäer nicht gemeinsam handeln." Auf die Frage, ob ein einiges Europa mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen sollte, sagte er: "Davon bin ich überzeugt. Ich erinnere an John F. Kennedy, der schon vor über 50 Jahren die Europäer aufgefordert hat, mehr von den gemeinsamen Lasten zu übernehmen. Angela Merkel, Emmanuel Macron und viele andere arbeiten daran, Europa relevanter zu machen. Das ist auch notwendig. China ist wieder zu einer historischen Rolle gekommen, die es weit mehr als 100 Jahre nicht hatte. Auch Indien ist nicht zu unterschätzen, ein wahnsinnig kompliziertes Land, aber immerhin mit einer demokratischen Grundstruktur. Dann sind da ganz Asien, Afrika und Lateinamerika mit vielschichtigen Problemen. Und Putin, unter dem Russland die von ihm so empfundene Demütigung des Zusammenbruchs des sowjetisch dominierten Imperiums ein Stück weit überwunden hat. Wir müssen heute mehr denn je darauf achten, dass in dieser komplizierten Welt Konflikte nicht mit Gewalt ausgetragen werden."
Der frühere
CDU-Bundesvorsitzende betonte die Notwendigkeit, dass die Unionsparteien
trotz des Asylstreits weiterhin zusammenarbeiten. CDU und CSU hätten als Volkspartei stets eine "stabilisierende
Funktion für unser ganzes parlamentarisches System" gehabt. Zur Lage in
Deutschland sagte er: "Bei allen wirtschaftlichen Erfolgen darf man
nicht glauben, dass alleine der Boom allen Menschen hilft. Viele
scheitern zum Beispiel oft schon daran, eine bezahlbare Wohnung zu
finden."
Schäuble sieht in der Weltpolitik die Zeit für neue Bündnisse gekommen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seien neue, vielschichtige Konflikte entstanden, die eine Führungsmacht wie die USA allein nicht lösen könne. "America First reicht nicht. Wir brauchen deshalb heute mehr multilaterale Bündnisse."
Quelle: dts Nachrichtenagentur