Angriffe auf Politiker- und Parteibüros nehmen stark zu
Archivmeldung vom 07.06.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEingeschlagene Scheiben, Schüsse, rechtsextreme Schmierereien und Brandsätze: Die Zahl der Angriffe auf Politiker- und Parteibüros in Deutschland hat nach Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" deutlich zugenommen. Auch Privatwohnungen von Politikern wurden Ziele von Angriffen.
Bis Anfang Juni kam es bundesweit bereits zu 59 Vorfällen, hochgerechnet auf das gesamte Jahr stellt dies im Vergleich zu 2009 (36 Vorfälle) fast eine Vervierfachung dar. Bei den meisten Angriffen wird von einem rechtsextremen Hintergrund ausgegangen. Das ARD-Politikmagazin "Report Mainz" hat Anschläge auf Büros von demokratischen Parteien und Politikern für die Jahre 2009 und 2010 erstmals bundesweit erfasst und ausgewertet.
Schwerpunkt der Angriffe ist vor allem der Osten Deutschlands (50 Vorfälle), und hier insbesondere das Land Mecklenburg-Vorpommern (26 Vorfälle). Schwerpunkt im Westen ist vor allem Nordrhein-Westfalen (7 Vorfälle). Während in der Vergangenheit überwiegend Parteibüros der Linken Ziele von Anschlägen waren, sind nun zunehmend auch die anderen demokratischen Parteien betroffen. Neben der Partei Die Linke, die mit 36 Vorfällen Spitzenreiter bleibt, rücken in diesem Jahr besonders Bürgerbüros und Privatwohnungen von Politikern der SPD ins Visier (bisher 14 Vorfälle), aber auch FDP, Grüne und CDU waren betroffen (zusammen 9 Vorfälle).
Das ARD-Politikmagazin "Report Mainz" geht in seiner Sendung heute Abend den Verbindungen zwischen der NPD und den Angriffen auf Politiker- und Parteibüros am Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern nach. In diesem Bundesland haben die Anschläge deutlich zugenommen, nachdem ein Aufruf mit dem Titel "Demokraten gibt es auch in Deiner Stadt" auf einer NPD-nahen Internetseite erschien. Darin wurden Adressen von Bürgerbüros aller demokratischen Parteien im Land aufgelistet. Seit der Veröffentlichung des Artikels am 18. April 2010 kam es in Mecklenburg-Vorpommern zu 17 Angriffen auf Bürgerbüros, fast alle davon standen auf der Liste. Verantwortlich für die Internetseite ist David Petereit, stellvertretender Landesvorsitzender der NPD und Mitarbeiter eines NPD-Landtagsabgeordneten. Er bestreitet gegenüber "Report Mainz", dass der Artikel einen Aufruf zur Gewalt darstelle. Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Schwerin bewerten das jedoch anders. Nach ihrer Einschätzung fordert der Artikel öffentlich zu Straftaten auf und ist gemäß § 111 StGB strafbar. Deswegen wurde gegen Petereit inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, und es kam zu Hausdurchsuchungen. Der Aufruf wurde auf Betreiben der Staatsanwaltschaft jetzt aus dem Internet entfernt. Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), erklärt hierzu in "Report Mainz": "Die Verbindung zwischen Aufruf und Steigerung der Rate von Gewalt gegen Wahlkreisbüros hat eine ganz deutliche Nähe, und insofern ist ganz deutlich erkennbar, wo die Brandstifter sitzen." Der SPD-Fraktionsvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Norbert Nieszery, sieht hinter der Anschlagsserie eine deutliche "Einschüchterungsstrategie der Neonazis, die versuchen wollen, die Abgeordneten zu verunsichern". Wörtlich sagt Nieszery im Interview mit "Report Mainz": "Das ist aus meiner Sicht eine Frühform von Terror."
Vor dem Hintergrund dieser Recherchen sieht der Rechtsextremismus-Forscher und Politikwissenschaftler Prof. Hajo Funke von der Freien Universität Berlin eine Verantwortung der NPD und ihres Umfelds für die Zunahme der Angriffe. Wörtlich sagt Prof. Funke gegenüber "Report Mainz": "Für mich ist, was die NPD und ihr Umfeld mit diesen Anschlägen tut, in dieser Systematik neu, hat eine neue Qualität und ist eine Gefahr für die Gesellschaft, für den Staat, nicht nur wie bisher für die, die sie als Fremde und Feinde ausgeguckt haben." Die Anschlagsserie stelle einen "neuen Schritt in der Radikalisierung der NPD und ihres Umfelds" dar. Im Interview sagt Prof. Funke weiter: "Meines Erachtens ist das der Beginn einer terroristischen Struktur."
Wie das ARD-Politikmagazin berichtet, werden neben Parteibüros auch vereinzelt Privatwohnungen von Politikern angegriffen. So sprühten unbekannte Täter in der Nacht vom 26. zum 27. Mai 2010 zwei Porträts des Jenaer SPD-Oberbürgermeisters Albrecht Schröter und die Aufschrift "Wanted Dead or Alive" an sein Privathaus. Die Polizei nehme den Vorfall sehr ernst, sagt Schröter gegenüber "Report Mainz". "Es laufen sehr intensive Ermittlungen. Das spricht schon für eine ernste Gefährdung." Bereits im Frühjahr war Schröters Privathaus Ziel von Farbbeutelattacken. Der Jenaer Oberbürgermeister ist bekannt für sein Engagement gegen Rechtsextremismus.
Quelle: SWR - Das Erste