Commerzbank-Chefökonom hält Gabriels Euro-Rettungsplan für kaum durchsetzbar
Archivmeldung vom 07.08.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, räumt der Forderung von SPD-Chef Sigmar Gabriel nach einer gemeinschaftlichen Haftung in Europa kaum Chancen auf eine Umsetzung ein. Aus ökonomischer Sicht könne man zwar eine gemeinsame Haftung zusammen mit einer vergemeinschafteten Haushaltspolitik einführen. "Allerdings ist die zeitliche Abfolge entscheidend: Erst müssen die einzelnen Länder nationale Souveränitäten in der Haushaltspolitik auf die europäische Ebene übertragen, erst danach darf man die Haftung vergemeinschaften", sagte Krämer "Handelsblatt-Online".
Denn würde man die gemeinsame Haftung ohne eine vergemeinschaftete Haushaltspolitik einführen, nähme man den Reformdruck von den Peripherieländern. "Diese würde dann wirtschaftlich nicht gesunden und dauerhaft auf Kosten der Geberländer leben, was weder wirtschaftlich noch politisch tragbar wäre", betonte der Ökonom.
Krämer fügte überdies hinzu: "Ich würde allerdings bezweifeln, ob die Mehrheit der Wähler im Euroraum bereit ist, eine faktische Entmachtung ihrer Parlamente zu akzeptieren." So forderten die Peripherieländer gegenwärtig eine Haftungsübernahme, ohne die damit notwendige Aufgabe nationaler Souveränitäten in der Haushaltspolitik anzubieten. Gabriel hatte sich dafür ausgesprochen, dass alle Euro-Staaten gemeinschaftlich für ihre Schulden haften - bei gleichzeitiger strenger gemeinsamer Haushaltskontrolle.
Linksparteichef Riexinger nennt Gabriel-Vorstoß "abenteuerlich"
Linkspartei-Chef Bernd Riexinger hat den Vorstoß von SPD-Chef Sigmar Gabriel zur Vergemeinschaftung von Schulden in der Euro-Zone als "abenteuerlich" bezeichnet. Er forderte, das Primat der Bankenrettung müsse falle. "Wenn eine Bank einem Staat Geld borgt, dann kassiert sie dafür Zinsen. Im Ernstfall muss dann die Bank das Risiko tragen", sagte Riexinger der "Rheinischen Post". Die Bank müsse für Ausfälle haften und nicht der europäische Steuerzahler.
Steuerzahlerbund äußert harsche Kritik an Gabriels Euro-Vorschlägen
Mit harscher Kritik hat der Bund der Steuerzahler auf die Forderung von SPD-Chef Sigmar Gabriel nach einer gemeinschaftlichen Haftung in Europa reagiert: Die Vergemeinschaftung der Alt-Schulden sei nur ein weiterer Schritt in die falsche Richtung. "Zwar würde man kurzfristig den Zinsdruck von den Krisenstaaten nehmen, aber mit der Konsequenz einer weiteren maßlosen Verschuldung", sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel der Online-Ausgabe des "Handelsblatts". Auch Deutschland würde so seine gute Bonität aufs Spiel setzen. "Die Folge einer solchen Politik wäre das Zerbrechen Europas aufgrund einer überdimensionierten Staatsverschuldung", warnte Holznagel. Gabriel spreche zwar von schärferen Haushaltsregeln, fügte der Steuerzahlerbund-Chef hinzu. Aber die Vergangenheit habe gezeigt, dass die Staaten nicht gewillt seien, die Haushaltsvorgaben und Schuldenobergrenzen im Zweifel einzuhalten. "Insofern hören sich Rufe nach strenger Haushaltskontrolle sehr gut an, aber Herr Gabriel selbst stellt beispielsweise immer wieder den Fiskalpakt in Frage", sagte Holznagel. "Allein deshalb sehe ich die Versprechungen nach einer strengeren Haushaltskontrolle sehr skeptisch."
Die europäische Krisenpolitik sei nicht nur gescheitert, wie Gabriel sage, sie habe nie richtig funktioniert, sagte Holznagel weiter. So hätten sich einige europäische Staaten in der Vergangenheit ohne Rücksicht auf die Maastrichter Verträge maßlos verschuldet. Dabei seien die Märkte "willige Gehilfen" gewesen, ohne dass die Risiken eingepreist worden seien. "Die aktuellen Lasten tragen nun die Steuerzahler und eine grundlegende Krisenlösung wurde nicht herbeigeführt."
Recht habe Gabriel damit, die Bürger in die Rettungspolitik einzubeziehen. "Schon jetzt hat Deutschland riesige Haftungssummen übernommen, die unter Umständen noch von zukünftigen Generationen erfüllt werden müssen", sagte Holznagel. "Deshalb wäre es gut, wenn grundlegende Entscheidungen auf eine breite Zustimmungs- oder Ablehnungsbasis gestellt werden."
Holznagel sagte aber auch, dass bei den Vorschlägen von Gabriel nicht vergessen werden dürfe, dass unter seiner Führung die SPD unlängst dem Euro-Dauerrettungsschirm ESM zugestimmt habe. "Hier hätte er Kante zeigen können und neue Vorschläge einbringen müssen. Das hat er aber nicht gemacht, insofern steht wohl seine Öffentlichkeits- und Medienarbeit im Vordergrund."
Koalitionspolitiker kritisieren Gabriels Euro-Vorschläge
Politiker von Union und FDP haben die Forderung von SPD-Chef Sigmar Gabriel nach einer gemeinschaftlichen Haftung in Europa scharf kritisiert. Gabriel werde gemeingefährlich, sagte der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt in der "Rheinischen Post". Der Vorschlag des SPD-Chefs bedeute, "dass Arbeitnehmer, Rentner, Sparer und Unternehmer für die Schulden der anderen Mitgliedstaaten aufkommen sollen", sagte der Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michel Meister, gegenüber "Handelsblatt-Online".
Gabriel hatte sich in der "Berliner Zeitung" für einen grundlegenden Strategiewechsel in der deutschen Europapolitik ausgesprochen und eine gemeinschaftliche Haftung für die Schulden aller Euro-Staaten bei gleichzeitiger strenger gemeinsamer Haushaltskontrolle angeregt. Dazu müsse ein Verfassungskonvent eine Grundgesetzänderung erarbeiten, über die dann in einer Volksabstimmung entschieden werden solle. Er werde diesen Vorschlag in die SPD-Gremien einbringen und auch bei den Vorsitzenden der anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa dafür werben, betonte Gabriel.
Ökonomen loben Gabriels Euro-Vorstoß
Der Vorschlag von SPD-Chef Sigmar Gabriel für eine Volksabstimmung in allen Ländern Europas über eine Schuldenvergemeinschaftung stößt bei führenden Ökonomen in Deutschland auf Zustimmung. Gabriels Vorschlag sei zu begrüßen, "denn in den einer solchen Abstimmung vorausgehenden Kampagnen und öffentlichen Diskussionen könnte es gelingen, die ökonomischen und politischen Argumente für und gegen diesen Weg umfassend zu beleuchten", sagte der Konjunkturchef des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), Kai Carstensen, der Onlineausgabe des "Handelsblatts". "Wenn dann die Mehrheiten in Europa für eine Haftungsunion stimmten, wären die notwendigen zwischenstaatlichen Transfers demokratisch legitimiert. Die Marginalisierung der Parlamente, die wir derzeit erleben, wäre beendet."
Auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, zeigte Sympathie für die Idee des SPD-Vorsitzenden. "Gabriel hat Recht, dass eine weitergehende Fiskalunion mit strengen Regeln für die Haushaltskontrolle nicht auf der Basis des bestehenden Grundgesetzes möglich ist", sagte Hüther dem Blatt. Ein Verfassungskonvent wäre in der Tat notwendig. Allerdings gibt der IW-Chef zu bedenken, dass sich ein solches Verfahren vermutlich nicht nur europarechtlichen Fragen widmen und deshalb ein sehr zeitintensives Verfahren begründen würde. Kurzfristig liege daher in Gabriels Vorschlag "kein Lösungsbeitrag zur gegenwärtigen Krise", unterstrich Hüther. "Auch wäre es fatal, wenn die Begründung einer Fiskalunion oder gar einer wirklichen politischen Union aus der Not der Krise folgte", sagte der IW-Chef weiter. Das schaffe keine Legitimität. "So wichtig die demokratische Verankerung der weiteren europäischen Entwicklung auch ist, sie benötigt schlichtweg viel mehr Zeit." Erst damit werde es gelingen, das "Elitenprojekt Europa" zu einem Thema der Europäer zu machen.
Ifo-Ökonom Carstensen hält es zudem für nötig zu klären, was eine strenge gemeinsame Haushaltskontrolle bedeute. "Wenn wir die bestehenden Regeln ernst nehmen, haben wir sie doch schon", sagte er. Hinzu käme also lediglich die Vergemeinschaftung der Schulden. "Das kann politisch gewollt sein, wird Deutschland aber enorme Summen kosten. Das sollte Herr Gabriel nicht unerwähnt lassen", betonte Carstensen.
Quelle: dts Nachrichtenagentur