Schäuble verteidigt konservatives Tafelsilber
Archivmeldung vom 06.01.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer CDU-Politiker Wolfgang Schäuble hat an die Konservativen in Deutschland appelliert, die allgemeine Verängstigung der Bürger in Deutschland ernst zu nehmen, aber zugleich offen für neue Entwicklungen im gesellschaftlichen wie im kulturellen Leben und Zusammenleben zu sein.
In einem Interview mit der "Leipziger
Volkszeitung" (Sonnabend-Ausgabe) sagte er, die Verängstigung vieler
Bürger sei "eine Tatsache". Das habe aber nichts mit angeblicher
Reformhektik zu tun. "Überall gibt es neue Bedrohungen. Bis hin zu
den Arbeitsplätzen. Aufgabe der Volkspartei ist es da, die Menschen
davon zu überzeugen, dass wir vieles verändern müssen, um uns das
Gute zu bewahren."
Deshalb müssten Konservative zur Veränderung
bereit sein.
Folglich dürfe man auch nicht, "wie SPD-Chef Beck, von Reformen
als Zumutungen sprechen". Es gehe um das Optimum an Lebens-Chancen
für den Menschen. Dabei könne Politik aber nicht alles erledigen. Die
Antwort dürfe aber nicht lauten: "Angesichts dieser Ängste machen wir
lieber gar nichts. Daraus entstünde nur die Grundhaltung: Nach uns
die Sintflut. Konservativ sein kann doch nicht heißen, so lange auf
der Titanic zu feiern, bis sie abgesoffen ist", meinte Schäuble.
In diesem Zusammenhang nahm Schäuble die CDU-Vorsitzende und
Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Vorwurf aus den eigenen Reihen
in Schutz, sie sei dabei, das "konservative Tafelsilber" zu
verscherbeln. "Sie verscherbelt überhaupt nichts. Sie betreibt in
einer sehr klugen Weise in der Verantwortung des Amtes die Politik
als die Kunst des Möglichen. Das ist das Beste, was man aus
christlich-demokratischer Überzeugung für unser Land tun kann."
Die CDU müsse sich zu Veränderungen bekennen. Auch das sei heute
konservativ. Natürlich seien freiheitliche Verfassungen darauf
angewiesen, dass es etwas Gemeinsames gebe, das die Menschen einer
Nation verbinde. "Das findet sich im Patriotismus wieder." Der
übersteigerte Patriotismus, also der Nationalismus, sei aber
"grundfalsch". Die Deutschen sollten sich daran erinnern, wie gut es
gelungen sei, im Nachkriegs-Westdeutschland 15 Millionen Flüchtlinge
zu integrieren. "Deshalb ist Verschiedenheit und Vielfalt keine
Bedrohung, sondern als Bereicherung für unsere offene
Freiheitsordnung zu verstehen. Auch das ist konservativ. Das reicht
dann bis hin zur Islamkonferenz", meinte der Bundesinnenminister.
Das Maß an erträglicher Zuwanderung in die deutsche Leitkultur
"können Politiker Gott sei Dank nicht abstrakt bestimmen", betonte
Schäuble. Aber beispielsweise sollte die Politik "immer dafür werben,
dass wir Kirchen, Synagogen, Moscheen nicht als Bedrohung, sondern
als Bereicherung empfinden", meinte Schäuble vor dem Hintergrund
mancher Streitigkeiten um Moschee-Bauten in Deutschland. "Vielfalt
ist nichts Bedrohendes. Wir müssen nur richtig und verantwortlich
damit umgehen. Bei über drei Millionen Muslimen in Deutschland ist
der Islam ein Teil unseres Landes geworden." Damit müssten beide
Seiten vernünftig umgehen - auch die Muslime. Schäuble erinnerte
daran, dass es mit zu den größten Wünschen der Deutschen gehöre, die
Welt kennen lernen zu wollen. "Andere Länder, andere Menschen, andere
Völker. Also wird Verschiedenheit als Bereicherung erfahren. Das muss
doch auch in unserem Land erfahrbar sein. Politische Führung muss
dafür werben. Das ist ihr Auftrag - und übrigens sehr konservativ",
so das CDU-Präsidiumsmitglied.
In dem Interview ging Schäuble zugleich auf Distanz zu gewissen gesellschaftspolitischen Festlegungen. Es entspräche zwar christlicher Einschätzung und der Universalität der Menschenrechte, dass Menschen auch in ihrer geschlechtlichen Veranlagung unterschiedlich sein könnten. "Ehe und Familie, als Grundzelle unserer menschlichen Gesellschaft, sollten aber nicht für andere Formen von Lebenspartnerschaften zur Verfügung stehen", so Schäuble. Der Gesetzgeber habe aber anders entschieden. Und er habe keine Mehrheit, das zu korrigieren.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung