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Wolfgang Hellmich: Das Tal der Tränen verlassen

Archivmeldung vom 16.08.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.08.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Wolfgang Hellmich (2012)
Wolfgang Hellmich (2012)

Foto: Karl.Marten
Lizenz: CC BY-SA 3.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich (SPD), spricht sich dagegen aus, auf das Drängen von US-Präsident Donald Trump einzugehen, Deutschland solle zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Der Wochenzeitung „Das Parlament“ sagte Hellmich in einem Interview (Ausgabe 20. August): „Den Anspruch, den die USA als führende Weltmacht auf militärischem Gebiet haben, hat Deutschland als regionale Mittelmacht nicht. Wir müssen unser Grundgesetz beachten, wir sind im Nato-Bündnis verankert und realisieren unsere Sicherheitsinteressen vor allem in Europa.“ Selbst wenn Deutschland heute zwei Prozent Verteidigungsausgaben hätte, „könnten wir sie gar nicht administrieren und ausgeben“, sagte Hellmich. „Wir wollen keine Flugzeugträger kaufen und in Wilhelmshaven an die Pier legen. Wir orientieren uns an dem, was die Bundeswehr braucht und die Bündnisverpflichtungen vorschreiben.“

Hellmich bezeichnete die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 unter Verteidigungsminister von Guttenberg (CSU) als „konzeptionslosen Husarenritt“. Dies sei „aus vielen Gründen ein Fehler“ gewesen. „Mit der Abschaffung der Wehrpflicht haben wir auch die dafür zur Verfügung stehende Infrastruktur abgebaut mit der Folge, dass wir die Wehrpflicht heute nicht wieder aktivieren können.“ Ziel der Bundeswehr müsse heute sein, nach jahrelangem Abbau „bei Materialerhaltung und Personal das Tal der Tränen zu verlassen und nach dem Abbau nun wieder zum Aufbau von Strukturen zu kommen“.

Das Interview im Wortlaut:

Herr Hellmich, Verteidigungsministerin von der Leyen will, dass die Bundeswehr Bündnisverteidigung und Auslandseinsätze gleichermaßen bewältigen soll. Ist das nicht vermessen angesichts der Dauerkrise um massenweise Ausfälle bei Flugzeugen, Panzern, Hubschraubern, U-Booten und Fregatten?

Mit dem Weißbuch ist eine strategische Konzeption beschrieben, was die Bundesregierung als künftige Aufgaben in der Wehrpolitik sieht. Sie geht von einer veränderten Bedrohungs- und Krisenlage aus. Infolgedessen bekommt neben den Auslandseinsätzen die Bündnisverteidigung ein stärkeres Gewicht - mit Konsequenzen für Ausrüstung, Personal und Material der Bundeswehr. Wir müssen die Fähigkeit bekommen, die Landesverteidigung wieder aufzubauen. In den vergangenen Jahren ist hier systematisch abgebaut worden, dazu gehört auch die Abschaffung der Wehrpflicht. Das Ganze war ja unter dem Aspekt der Auslandseinsätze wie Afghanistan realisiert worden. Es gibt nun die Entscheidung zur Trendwende. Wir wollen bei Materialerhaltung und Personal das Tal der Tränen zu verlassen und nach dem Abbau nun wieder zum Aufbau von Strukturen zu kommen.

Wie schnell kann das denn erfolgen?

Man braucht Zeit dafür. Was man über viele Jahre abgeschafft und abgebaut hat, kann man nicht in kurzer Zeit wieder aufbauen. Man braucht eine systematische Verankerung im Haushalt und man braucht auch die entsprechenden Produktionsstrukturen. Auch bei der Industrie sind entsprechende Kapazitäten abgebaut worden. Die Koalition hat aber reagiert. Wichtige Vorhaben wie der Aufbau von Verladekapazitäten, die Vollausstattung einer Brigade bis 2023 oder die Modernisierung im Bereich Digitalisierung sind beschlossen worden. All dies muss nun im Haushalt umgesetzt werden.

Verteidigungsministerin von der Leyen streitet sich mit Finanzminister Scholz um mehr Geld. Unterstützen Sie ihre Position?

Es geht um den Haushalt für 2019. Wir haben bei der Nato angemeldet, dass Deutschland bis 2024 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgibt. In der Bundesregierung herrscht Einigkeit, dass man die Fähigkeiten zum Aufwuchs in der Bundeswehr auch haushalterisch umsetzen muss.

Die 1,5 Prozent liegen weit unter dem beschlossenen Nato-Ziel, bis 2024 auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung zu kommen. Derzeit liegen wir nur bei 1,24 Prozent. All das sorgt für ständiges Missfallen von US-Präsident Trump, der sagt, Deutschland mache es sich bequem unter dem Schutzschirm der Amerikaner, die mehr als drei Prozent Wehrausgaben haben. Hat er Recht?

Den Anspruch, den die USA als führende Weltmacht auf militärischem Gebiet haben, hat Deutschland als regionale Mittelmacht nicht. Wir müssen unser Grundgesetz beachten, wir sind im Nato-Bündnis verankert und realisieren unsere Sicherheitsinteressen vor allem in Europa. Dies sieht auch der Nato-Generalsekretär so, der Deutschlands Bemühen, für die Sicherheit mehr zu tun, würdigt. Die amerikanische Sichtweise ist unter Präsident Trump eine sehr andere geworden.

Dennoch bleibt Deutschland vom Zwei-Prozent-Ziel weit entfernt.

Ja. Selbst wenn wir heute zwei Prozent Verteidigungsausgaben hätten, könnten wir sie gar nicht administrieren und ausgeben. Wir wollen keine Flugzeugträger kaufen und in Wilhelmshaven an die Pier legen. Wir orientieren uns an dem, was die Bundeswehr braucht und die Bündnisverpflichtungen vorschreiben. Im Übrigen hinken die Vergleiche mit den Wehrausgaben. Bei manchen sind bei den zwei Prozent Personalausgaben eingerechnet, bei anderen nicht.

Die Bundeswehr klagt über Nachwuchsmangel und mangelnde Qualität ihrer neuen Soldaten. War das Aufgeben der Wehrpflicht 2011 durch Verteidigungsminister von Guttenberg nicht ein großer Fehler?

Es war ein konzeptionsloser Husarenritt. Es gab zum Zeitpunkt der Aussetzung keine Konzeption, was man tun will. Und es gab den Zwang, in einem schwierigen Haushalt acht Milliarden Euro einzusparen. Es war aus vielen Gründen ein Fehler. Länder wie Schweden korrigieren dies wieder und führen die Wehrpflicht wieder ein. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht haben wir auch die dafür zur Verfügung stehende Infrastruktur abgebaut mit der Folge, dass wir die Wehrpflicht heute nicht wieder aktivieren können.

Nicht nur wegen Trump hat eine europäische Verteidigungsunion Konjunktur: Die Idee gibt es schon seit dem Lissabon-Vertrag von 2009. Aber erst Ende 2017 baute die EU mit Pesco eine eigene europäische Verteidigungsstruktur auf. Warum hat es so lange gedauert?

Man sah die Notwendigkeit nicht. Es gab immer Kräfte, die eine europäische Zusammenarbeit nicht wollten, vor allem die Briten. Sie haben immer nur auf die Nato gesetzt. Mit dem Brexit ist insofern auch eine Bremse weggefallen, was es den anderen EU-Ländern ermöglicht, sich verteidigungspolitisch zusammenzutun.

Die USA sehen in Pesco eine Konkurrenz zum Nato-Bündnis, auch wegen Rüstungsprojekten. Zu Recht?

Nein. Es gibt einen ständigen Abgleich zwischen den Nato-Verteidigungsplanungen und dem, was bei Pesco passiert.

Kann beziehungsweise sollte aus der europäischen Zusammenarbeit eines Tages eine europäische Armee entstehen?

Ob Armee der Europäer oder eine europäische Armee: Das entscheidende ist nicht, dass alle die gleiche Uniform anhaben, sondern dass man zusammenwirken kann und ein gemeinsames Führungsverständnis hat, dass die Kooperation stimmt und dass man gemeinsame Kommunikationssysteme hat. Es ist wie bei der internationalen Militärmusik: Alle haben verschiedene Uniformen, aber alle spielen dieselbe Musik.

Bei internationalen und europäischen Militäreinsätzen stellt sich für die Bundeswehr immer die Frage der Legitimation. Sie ist eine Parlamentsarmee, alle Einsätze müssen vom Bundestag beschlossen werden. Ist das nicht ein Handicap bei jeder Art Militär-Zusammenarbeit der Deutschen?

Ich kenne keinen Militäreinsatz, den der Bundestag abgelehnt hat. Eine völkerrechtliche Grundlage brauchen alle europäischen Staaten. Der Verteidigungsausschuss hat die europäischen Kooperationen intensiviert, wir treffen uns regelmäßig mit den Franzosen, wir sind beteiligt an den Runden Tischen der Ausschussvorsitzenden der baltischen Staaten und den Anrainerstaaten der Ostsee. Wir treffen uns regelmäßig mit Niederländern und Österreichern. Überall spielen die Beteiligungsrechte der Parlamente eine Rolle und gibt es Bestrebungen, den Einfluss der Parlamente bei Militäreinsätzen zu stärken.

Frankreich will ein militärisches Kern-Europa und ist für eine Interventionstruppe mit nur wenigen Staaten, um zu mehr Effizienz zu bekommen. Wie stehen Sie zu diesem Projekt von Staatspräsident Macron?

Kurz nach seiner Rede an der Sorbonne haben wir uns in Deutschland gefragt, was Macron eigentlich gemeint hat. Ich habe in Paris nachgefragt. Die Franzosen wollen, dass man in einer gemeinsamen Institution wie der Pesco erstmal ein gemeinsames Lagebild hat, dass man an einer gemeinsamen strategischen Kultur arbeitet, weil sie nicht überall dieselbe ist, und dass wir uns auf den Weg machen, bei diesen „interventions“, wie es im Französischen heißt, voranzukommen. Dahinter verbirgt sich nicht, dass wir eine für Interventionen zur Verfügung stehende Truppe haben. Es geht darum, in der Lage zu sein, sehr kurzfristig nötige Reaktionen besprechen zu können und die nötigen Entscheidungen zu treffen.

Quelle: Deutscher Bundestag

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