Verdi-Chef Bsirske sieht 2011 als "Jahr der Entscheidung" - "Bundesregierung ist ein XXL-Risiko"
Archivmeldung vom 04.10.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, hat mit Blick auf die gegenwärtig gute Konjunktur vor Sorglosigkeit gewarnt. "2011 wird das Jahr der Entscheidung, da werden wir sehen, ob die Krise nachhaltig überstanden ist", sagte er dem Tagesspiegel.
"Denn die Konjunktur steht noch immer nur auf einem Bein, dem Export." Viele Kommunen stünden vor dem finanziellen Kollaps. "Mit ihrer Spar- und Kürzungspolitik erweist sich die Bundesregierung als XXL-Risiko." Scharfe Kritik übte Bsirske an der Subventionierung von Niedriglöhnen. "Der Staat kann dieses perverse Modell nicht auf Dauer finanzieren", sagte der Verdi-Chef. "Seit der Einführung von Hartz IV haben wir 50 Milliarden Euro an Lohnsubventionen gezahlt in Form von aufstockender Sozialhilfe für Geschäftsmodelle, die auf Armutslöhnen basieren." Auch die Ausbeutung und "systematische Lohndrückerei" bei der Leiharbeit müsse aufhören. "Irgendwann werden auch wir, trotz FDP, einen gesetzlichen Mindestlohn haben."
IG-Metall-Chef Berthold Huber sagt der Regierung noch mehr Proteste im nächsten Jahr voraus und reagiert "mit Empörung" auf den von der Kanzlerin angekündigten strikten Reformkurs
IG-Metall-Chef Berthold Huber übt massive Kritik an der Bundesregierung und kündigt weitere Proteste im nächsten Jahr an. "Wir werden nicht aufhören, sondern nach dem Herbst weitermachen", sagte er im Interview der "Stuttgarter Zeitung". Die Bundesregierung zeige wenig Bereitschaft, notwendige Folgerungen aus der schwersten Weltwirtschaftskrise nach 1945 zu ziehen. Wenn sie ihre Politik des ,Weiter so' wie vor der Krise betreibe, ohne deren Ursachen anzugehen, werde die Gewerkschaft zudem "die Wähler bei den nächsten Wahlen auffordern, das nicht zu vergessen". Denn dieser Weg könne schnurstracks in die nächste Krise führen.
Scharf reagierte Huber auf die Ankündigung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), einen strikten, konservativ-liberal geprägten Reformkurs einzuschlagen und dabei Kontroversen in Kauf zu nehmen: "Das verursacht eher Empörung als Sorgen", sagte er. Natürlich werde das nicht unwidersprochen bleiben. "Politik muss die Probleme und Sorgen der Menschen ernst nehmen und darf nicht - wie die Kanzlerin - kalt sagen: Wir wurden dafür gewählt, zu handeln."
Ob damit weitere Härten für die Arbeitnehmer verbunden seien, hänge auch davon ab, ob die Union die Kraft habe, sich gegen die Klientelpolitik der FDP zu behaupten. "Das kann ich derzeit nicht erkennen", sagte Huber. Aber es gebe nicht unwesentliche Teile der Union, denen die Klientelpolitik sehr suspekt sei. "Da beziehe ich ausdrücklich manche auf der Arbeitgeberseite ein, die treue Unionisten sind und die das auch nicht mit ungeteiltem Beifall sehen."
Die Versuche von SPD-Chef Sigmar Gabriel, Korrekturen an der bisherigen Parteilinie vorzunehmen, bewertete der IG-Metall-Chef positiv. "Wir sehen das mit ausdrücklicher Zustimmung, dass die Arbeitnehmer stärker in den Fokus gerückt werden sollen", sagte er. Mit Blick auf eine mögliche Zusammenarbeit von SPD, Grünen und Linkspartei über die Gesundheitsreform hinaus sprach er sich aber gegen das alte Lagerdenken aus. "Für uns macht es die Sache nicht einfacher, wenn die alten Blöcke zurückkehren". Viele Arbeitnehmer hätten bei den vergangenen Wahlen die Union gewählt. Die IG Metall vertrete die Interessen der Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Wahlpräferenz.
In der Diskussion um die Rente mit 67 präferiert Huber weiterhin die Rückkehr zur Rente mit 65. "Das wäre mir am liebsten", sagte er. In der verarbeitenden Industrie seien weniger als zehn Prozent der Beschäftigten zwischen 60 und 64 Jahren noch sozialversicherungspflichtig tätig. Es sei nicht so, dass er nicht anerkenne, in einer älter werdenden Gesellschaft zu leben. "Aber wir brauchen Lösungen für Menschen, die 40 Jahre in Schicht gearbeitet haben." Er stelle sich flexible Möglichkeiten des Übergangs vor. "Es muss auch für Menschen in einer auf den ersten Blick nicht so belastenden Arbeit eine Chance geben, zu erträglichen Bedingungen rauszugehen", forderte Huber. Die Kanzlerin habe ihm erklärt, dass die Regierung im November "einen sehr transparenten, klaren und materialhaltigen Statusbericht" vorlegen werde. "Es ist ja schon ein gewisser Fortschritt, dass die Überprüfungsklausel zur Rente mit 67 ernst genommen wird", sagte Huber der StZ.
Quelle: Der Tagesspiegel / Stuttgarter Zeitung