Zum 175. Geburtstag: Neue Hymne für ein neues Deutschland?
Archivmeldung vom 14.07.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat zum 175. Geburtstag des Deutschlandlieds von Hoffmann von Fallersleben drei Autoren damit beauftragt, den Text neu zu schreiben. Als Ausgangspunkt galt dabei eine kritische Reflexion des letztlich historisch situierten Textes und unserer Gegenwart.
Über die Idee einer Neufassung des Lieds der Deutschen, die Teil eines größeren Projekts sein sollte, berichtete Dr. Kristina Heizmann, Wissenschaftliche Referentin des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in einem Interview mit Sputnik-Korrespondent Valentin Raskatov: "Wir haben uns vorgenommen, ein ganzes Magazin zum Thema Heimat zu machen und als wir da saßen, haben wir uns natürlich gefragt: Was ist eigentlich Heimat? Was macht die Heimat aus? Womit ist Heimat verbunden? Und natürlich kommt da die Frage, ob Heimat an die Nation gebunden ist und dann fragt man sich, wie so eine Nation eigentlich repräsentiert wird. Und da kamen wir darauf, dass jedes Land sein eigenes Lied hat, seine eigene Hymne. Und das fiel dann zusammen mit dem 175. Geburtstag dieses Deutschlandliedes, was wir ja immer noch singen. Und da haben wir gedacht: Eigentlich gibt es ja heute schon Anlass genug, um sich einmal zu fragen, ob dieses Lied noch aktuell ist, ob da andere Werte hinzugekommen sind, die man heute noch besingen müsste."
Deswegen habe sich die Stiftung drei junge Autoren ausgesucht, die politische und gesellschaftliche Themen behandeln und in der Dichtkunst bewandert sind: Jan Koneffke, Marica Bodrožić und Tanja Dückers. Koneffke habe sich in seinem Roman „Ein Sonntagskind“ bereits kritisch mit der Frage nach Deutschland und seinem Wandel in der Zeit beschäftigt. Bodrožić hätte auf Deutschland durch ihre ausländischen Wurzeln eventuell eine andere Perspektive.
Tanja Dückers, die Sputnik zu einem Interview zur Verfügung stand, sagte zu dem alten Deutschlandlied: "Hoffmann von Fallersleben hat das Deutschlandlied in einer Zeit geschrieben, als Deutschland noch nicht die politische Konfiguration hatte, die es jetzt hat – das war ja noch vor Bismarck und vor der Reichsgründung. Insofern war da der Wunsch nach einer Nation, nach einem Zentralstaat sehr groß. Wir befinden uns heute historisch und politisch in einem ganz anderen Punkt, wo wir eigentlich den Nationalstaat eher überwinden wollen hin zu einem transnationalen Europa. Also, insofern ist der Blick heute wirklich ganz anders für uns. Ich bin auch eine Verfechterin der EU und gegenüber Nationalismen sehr kritisch, gerade wenn sie aus Deutschland kommen. Und daher finde ich schon, dass die Fassung von Deutschland von Fallersleben – was sich allerdings mehr auf die erste und die zweite Strophe bezieht – doch heute ein bisschen problematisch ist."
In ihrer Fassung setzt Dückers auf die Gleichheit der Länder untereinander, einen Frieden unter den Nachbarn und Deutschlands landschaftlichen und multikulturellen Reichtum. Darin heißt es: „Deutschland, was bist du Vieles (…), sei in Frieden mit den Nachbarn nah und fern“ sowie „Jenseits von Kronen und Religionen kannst du heute gerecht und tolerant nun Heimat Vieler sein. Was du aufnimmst, verändert dich und sich, macht dich reicher. Und wer alles ist, braucht vor nichts mehr Angst zu haben. Fremde Freunde kommen, kommen wir ihnen entgegen aus unsrer Mitte, aus Europa, aus der Welt“.
Bei der Aktion ging es natürlich nicht darum, die Nationalhymne zu ersetzen, auch wenn dieses Vorhaben zum Beispiel in der Schweiz angegangen und erfolgreich umgesetzt worden ist. Deswegen antwortete Frau Heizmann auf die Frage, ob die Hymne einer Aktualisierung bedarf: "Ich würde gar nicht sagen, dass man die Hymne aktualisieren muss, aber ich würde sagen, dass man offen sein muss, da drüber nachzudenken, was diese Werte und was dieses Lied bedeutet, dass man einfach da drüber spricht."
AfD-Landesvorsitzende Beatrix von Storch hatte dieses Projekt auf ihrer Facebook-Seite mit den Worten kritisiert, hoffentlich handle es sich um Satire. Diese Kritik konnte Frau Heizmann nicht verstehen, denn mit der Aktion würden weder die Gültigkeit der alten Hymne, noch die darin enthaltenen Werte "Einigkeit und Recht und Freiheit" berührt, sondern einzig die Frage gestellt, ob noch andere Werte ergänzt werden müssten oder verschiedene Perspektiven aufgenommen werden sollten mit verschiedenen Werten. Denn, so Heizmann, es handle sich letztlich um eine Frage an die Gesellschaft, welche Werte wir leben und leben wollen. Und das verlange Kreativität und Reflexion.
Quelle: Sputnik (Deutschland)