Bütikofer plädiert im Europa-Wahlkampf für ein "aufgeklärtes deutsches Eigeninteresse"
Archivmeldung vom 05.06.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittReinhard Bütikofer, der sechs Jahre lang Parteichef der Grünen war, wirbt nun bei der Europawahl als Spitzenkandidat für grüne Ideen. Bei Angela Merkel vermisse er das europäische Herz, sagt er im Gespräch mit Alexandra Jacobson.
Herr Bütikofer, soll der Staat der Karstadt-Mutter Arcandor helfen? Die EU-Kommission ist dagegen.
Reinhard Bütikofer: Bei Arcandor sagt einem doch der gesunde Menschenverstand, dass es sehr merkwürdig ist, dass die superreichen Besitzer beim Staat die Hand aufhalten, anstatt zunächst einmal selbst in die Verantwortung zu gehen.
Die SPD will retten und warnt vor dem Wegfall zigtausender Frauenarbeitsplätze.
Bütikofer: Es geht doch gar nicht darum, Arcandor ins Aus zu treiben. Doch hier ist die Verantwortung der Besitzer gefragt. Auch muss das Übernahmeangebot der Metro ernsthaft geprüft werden. Es ist zu einfach, nur den Steuerzahler zu belasten.
Die Europäische Union hat in der Wirtschafts- und Finanzkrise eine zögerliche Rolle gespielt. Warum?
Bütikofer: Die EU-Kommission hat lendenlahm auf die Krise reagiert. Kommissionspräsident Barroso hat sich damit begnügt, die Konjunkturprogramme der einzelnen Staaten zusammenzuzählen. Dann hat er fünf Milliarden Euro als Sahnehäubchen oben drauf gelegt und gesagt: "Das ist ein europäisches Programm." Das reicht aber nicht. Es hat sich gezeigt, dass Barroso der falsche Mann am falschen Platz ist.
Wie beurteilen Sie die Rolle Deutschlands?
Bütikofer: Wenn Helmut Kohl bei der Einführung des Euro so wenig europäisch gedacht hätte wie heutzutage Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Finanzminister Peer Steinbrück, hätten wir den Euro bis heute noch nicht. Kohl hatte ein europäisches Herz, was ich bei Frau Merkel nicht entdecken kann. Jeder stärkeren Zusammenarbeit auf EU-Ebene hat diese Bundesregierung im Weg gestanden. Selbst der Nothilfefonds für schwächere Länder in Europa ist nur gegen den Widerstand Deutschlands durchgesetzt worden.
Wir Deutsche wollen nicht mehr der Zahlmeister Europas sein, heißt es. Das Argument ist in der Bevölkerung populär.
Bütikofer: Deutschland ist einer der größten Profiteure Europas. Durch den gemeinsamen Binnenmarkt und den gemeinsamen Euro ist der deutsche Export massiv gefördert worden. Wenn wir zulassen, dass die schwächeren Länder Osteuropas in der Krise allein gelassen werden, schadet es auch uns. Denn wie will man in die osteuropäischen Staaten exportieren, wenn diese nicht auf die Füße kommen? Es geht hier auch um ein aufgeklärtes Eigeninteresse Deutschlands. Außerdem war die Integration der osteuropäischen Staaten in die EU nach dem Ende des Kalten Krieges auch aus sicherheitspolitischen Aspekten enorm wichtig. Sonst hätte es im Osten eine gefährliche Zone der Unsicherheit gegeben. Die Bundesregierung verhält sich kurzsichtig, wenn sie immer nur zusammenzählt, was Deutschland auf den Tisch legt.
Sie sind von Europa begeistert: Aber warum überträgt sich dieser Funke nicht aufs Wahlvolk? Vielleicht gehen am Sonntag sogar weniger als 40 Prozent der Deutschen zur Wahl.
Bütikofer: Wenn die Linkspartei einen Europawahlkampf gegen Europa führt oder wenn die CSU suggeriert, es gehe beim Europawahlkampf darum, uns die Türken vom Leib zu halten, und die FDP als größtes Problem entdeckt, die energieverschwendende Glühbirne unter Naturschutz zu stellen, muss man sich nicht wundern, wenn sich die Leute kopfschüttelnd abwenden. Wie man in den Wald hineinruft, schallt es auch heraus.
Bei den Umfragen zur Europawahl stehen die Grünen an dritter Stelle. Wenn es so kommen sollte, hat das irgendeine Bedeutung für die Bundestagswahl?
Bütikofer: Wir wollen einen neuen grünen Deal für Europa, der die Finanz- und Klimakrise mit einem ökologischen und sozialen Umbau der Industriegesellschaft beantwortet. Wenn wir am Sonntag gut abschneiden, wird es unsere Motivation auch für den Bundestagswahlkampf erhöhen.
Quelle: Neue Westfälische