Zeitung: Immer weniger melden sich freiwillig zur Bundeswehr
Archivmeldung vom 21.06.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittZwei Jahre nach Einführung des freiwilligen Wehrdienstes in Deutschland ist die Zahl der Freiwilligen auf ein Rekordtief abgestürzt. Wie aus aktuellen Zahlen des Bundesverteidigungsministeriums, die der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" vorliegen, hervorgeht, traten im laufenden Quartal nur 615 freiwillig Wehrdienstleistende ihren Dienst an. Das sind 60 Prozent weniger als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres: Im April 2012 waren es noch 1.460 Freiwillige. Der bisherige Rekord stammt von Oktober 2011 mit 4.458 Neueinsteigern.
Zur sinkenden Bewerberzahl kommt offenbar ein weiteres Problem hinzu: Zahlen des Verteidigungsministeriums belegen, dass bis zu 30 Prozent der Freiwilligen während der sechsmonatigen Probezeit wieder aussteigen.
Der nordrhein-westfälische SPD-Landtagsabgeordnete und Oberstleutnant Thomas Marquardt sieht darin ein Problem: "Eine Abbrecherquote von 20 bis 30 Prozent ist zu hoch. Eigentlich müsste sie bei unter zehn Prozent liegen. Wenn so viele junge Menschen den freiwilligen Wehrdienst abbrechen, dann scheint etwas nicht zu stimmen", sagte Marquardt der "WAZ". "Vielleicht haben die Bewerber falsche Vorstellungen, vielleicht holt die Bundeswehr die falschen Leute, vielleicht müsste sie besser darüber informieren, welche Herausforderungen Bewerber erwarten." Eine hohe Abbrecherquote sei nicht nur für die jungen Leute, sondern auch für die Armee ein Problem. "Denn Einschleusung und Ausschleusung verursachen einen hohen organisatorischen und bürokratischen Aufwand", sagte Marquardt.
Der nordrhein-westfälische FDP-Landtagsabgeordnete und Streitkräfte-Experte Marc Lürbke hält die Abbrecherquote hingegen für akzeptabel, "weil die Bundeswehr damit eine qualitative Auswahl der Bewerber vornehmen kann und trotzdem ihre Sollzahlen erreicht." Das Verteidigungsministerium versicherte: "Wir haben mehr Bewerber als wir brauchen." Derzeit gibt es rund 10.500 Wehrdienstleistende. Für eine Analyse, warum es aktuell so wenige Freiwillige sind, sei es zu früh. Das zweite Quartal sei in dieser Hinsicht stets "schwach".
Bundeswehrsoldaten müssen länger und häufiger in Einsätze als vorgesehen
Bundeswehrsoldaten müssen länger und häufiger in Einsätze, als vom Verteidigungsministerium vorgesehen_ Während in den Leitlinien zur Bundeswehrreform eine Einsatzzeit von vier Monaten samt 20 Monaten Regenerationszeit vorgegeben ist, wird in einer hohen Zahl von Fällen dagegen verstoßen. Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour hervor, die der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt. Demnach wurde zwischen Januar 2010 und Anfang Dezember 2012 in etwa einem Viertel der Fälle die Einsatzdauer von vier Monaten überschritten. Bei Soldaten, die nach einem ersten Einsatz von mindestens vier Monaten nochmals in den Einsatz gingen, wurde dazwischen nur in der Hälfte der Fälle (50,7 Prozent) die Regenerationszeit von 20 Monaten eingehalten.
Besonders beansprucht ist der Auswertung zufolge das Heer. Hier wurden die vier Monate nur in 61,2 Prozent der Fälle eingehalten. Bei den zum Heer gehörenden Gebirgsjägern wurde sogar in knapp 70 Prozent der Fälle die Einsatzzeit von vier Monaten überschritten, während bei Gebirgsjägern mit mehr als einem Einsatz die sich anschließende Regenerationszeit in mehr als drei Vierteln der Fälle kürzer als die angestrebten 20 Monate war. "Theorie und Praxis der Einsatzsystematik liegen zu Lasten der Soldatinnen und Soldaten weit auseinander", sagte der Grünen-Abgeordnete Nouripour der SZ. "Dabei ist längst bekannt, dass bei längerer Einsatzdauer die Gefahr psychischer Krankheiten massiv steigt." Sein Fazit: "De Maizières Bundeswehrreform ist auch in puncto Entlastung gescheitert."
Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus sagte: "Diese Zahlen bestätigen den Befund meines Jahresberichts." Die Erwartung an die Neuausrichtung, "dass die Streitkräfte einsatzfähiger, leistungsstärker und effizienter werden, bestätigt sich leider nicht". Gerade für Spezialisten seien "vielfach die Grenzen der Belastbarkeit erreicht". Auch vom Bundeswehrverband kam Kritik. "Diese Daten decken sich mit unseren Erkenntnissen", sagte der Vorsitzende Ulrich Kirsch. Die "riesige Belastung" gefährde "gerade jetzt in der Phase des Übergangs das Erreichen der Ziele der Neuausrichtung". Die Bundeswehr sei darüber hinaus "mit den vielen Einsätzen überdehnt".
Thomas Kossendey (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, betonte hingegen, die Zahlen belegten, "dass der planerischen Zielvorgabe einer Einsatzdauer von vier Monaten bereits heute überwiegend Rechnung getragen wird". Es sei vorgesehen, zwischen 2014 und 2016 die "Anzahl verfügbarer Kräfte für den Einsatz" zu erhöhen und die "Durchhaltefähigkeit" zu steigern. So werde sich "die Einhaltung der Einsatzsystematik weiter verbessern". Bis dahin könne es "in einzelnen Bereichen" zu "Abweichungen vom Einsatzrhythmus" kommen.
Quelle: dts Nachrichtenagentur