Klimaökonom Edenhofer fordert City-Maut und Abschaffung von Diesel-Subventionen
Archivmeldung vom 30.10.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDer führende Klimaökonom Ottmar Edenhofer fordert von den Ampel-Verhandlern die Einführung einer City-Maut und die Abschaffung von "kontraproduktiven" Subventionen für Diesel oder Kerosin, um mehr CO2 im Verkehrsbereich einzusparen. "Es braucht Instrumente wie eine City-Maut, um klimaschädliche Staus in Städten zu vermeiden und neue Einnahmen zu generieren", sagte der Präsident des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ).
Edenhofer weiter: "London macht das seit Langem vor, München, Hamburg und Berlin müssen schleunigst nachziehen. Hier sollte die Koalition die Weichen stellen." Das Diesel-Privileg müsse "definitiv fallen", ergänzte der Wissenschaftler, und "es braucht auch keine Förderung für Hybrid-Wagen, deren Klimabilanz fragwürdig ist".
Edenhofer ermutigte SPD, Grüne und FDP zu einem "großen Wurf": "Die Ampel sollte die Kraft für eine Energiesteuerreform aufbringen", um den Verkehrssektor klimafit zu machen. "Zum Finanzminister fließen jährlich 40 Milliarden Euro an Energiesteuern. Je mehr E-Autos auf den Straßen fahren, je weniger Geld kommt rein. Das muss man auffangen, zum Beispiel, indem man kontraproduktive Subventionen streicht und so gleich auch den Umbau beschleunigt." Auch eine City-Maut müsse Teil der Reform werden.
Allerdings werde im Verkehrssektor selbst dann nicht so viel CO2 reduziert werden können, wie im Klimaschutzgesetz der scheidenden Regierung vorgegeben. "Die Einsparungen, die wir im Verkehr bis 2030 noch nicht schaffen, müssen die Sektoren Gebäude und Strom zusätzlich erbringen, damit es unterm Strich reicht. Denn runter müssen die Emissionen natürlich, und zwar rasch", sagte Edenhofer, deswegen müssten die bestehenden Sektorziele flexibler gemacht werden. "Hier sehe ich eine ganz zentrale Herausforderung für die Koalitionsverhandlungen, um das Gesamtziel zu schaffen. Denn es ist möglich, bei Gebäuden und im Energiebereich schneller CO2 einzusparen."
Klimaökonom Edenhofer: Ampel muss CO2-Preis auf mindestens 130 Euro pro Tonne im Jahr 2030 anheben
Klimaökonom Ottmar Edenhofer hat die Ampel-Verhandler zu einer deutlichen Anhebung des CO2-Preises aufgefordert. "Wir brauchen 2030 einen Preis von 130 bis 150 Euro pro Tonne CO2, um wirksam den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken - und damit einen Beitrag zu leisten zur Begrenzung von Klimarisiken wie etwa Extremwetter", sagte der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). "Auf eine solche Größenordnung für einen Preiskorridor sollte sich die Ampelkoalition einigen, um auch mit Blick auf andere Länder die Richtung vorzugeben."
Im Klimaschutzgesetz der scheidenden Bundesregierung ist ein Preisanstieg auf 55 Euro pro Tonne bis zum Jahr 2025 festgeschrieben. Das sei bis dahin zwar ausreichend. "Aber es müssen unbedingt jetzt die Weichen gestellt werden, um auch danach die Minderungsziele für den Verkehr und den Gebäudesektor zu erreichen", sagte Edenhofer der "NOZ".
Der Staat müsse die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bürger zurückgeben, um soziale Härten abzuwenden, forderte der Wissenschaftler. "Bei einem CO2-Preis von 50 Euro pro Tonne und einer pauschalen Pro-Kopf-Rückerstattung bekäme ein Geringverdiener-Haushalt von vier Personen etwa 260 Euro pro Jahr nach Abzug der direkten Belastungen, die er durch den CO2 Preis zu tragen hat." Geringverdiener-Haushalte hätten in der Regel einen kleineren CO2-Fußabdruck als Besserverdiener. "Sie hätten durch die Rückerstattung also unter dem Strich mehr auf dem Konto. Die Kosten der CO2-Bepreisung würden von den mittleren und vor allem den reicheren Haushalten zu stemmen sein." Die Pro-Kopf-Erstattung sei zwar eine administrative Herausforderung. "Aber daran darf es nicht scheitern, eine soziale Balance zu schaffen", sagte Edenhofer.
Auch Einwände, Städter würden von der pauschalen Erstattung mehr profitieren als Menschen in ländlichen Regionen mit längeren Arbeitswegen und größeren Häusern, ließ der PIK-Direktor nicht gelten: "Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist gar nicht so gravierend, das haben wir durchgerechnet. Kommt es zu Schieflagen, kann man dem österreichischen Beispiel folgen und die Pro-Kopf-Erstattung regional differenzieren. Auch dafür finden sich also Lösungen."
Klimaökonom Edenhofer erwartet Kohle-Aus auch ohne Ampel-Beschluss "definitiv" vor 2030
Klimaökonom Ottmar Edenhofer erwartet das Ende der Kohleverstromung in Deutschland noch vor 2030, selbst wenn die Ampel-Koalitionäre keinen entsprechenden Beschluss fassen sollten. Braun- und Steinkohle würden "definitiv schon vor 2030 keinen Platz mehr in unserem Stromnetz haben, ihr Schicksal ist besiegelt", sagte der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). "Insofern geht der politische Streit über ein früheres Kohle-Aus als 2038 an den Realitäten vorbei." Ein Ampel-Beschluss für ein früheres Kohle-Aus "würde nur Entschädigungen für die Betreiber oder eine zusätzliche Unterstützung für die davon besonders betroffenen Bundesländer bedeuten, also teurer werden für den Steuerzahler."
Zur Begründung verwies Edenhofer auf die schon beschlossenen Klimaschutzziele in Brüssel und Berlin. "In der EU wird die Emissions-Obergrenze bald gesenkt, und dadurch wird der CO2-Preis anziehen. In der Folge werden Stein- und Braunkohle unrentabel und aus dem Strommarkt gedrängt", sagte der PIK-Präsident. Er halte es für "ausgeschlossen", dass sich die neue Bundesregierung in Brüssel dagegenstemmen werde. Im deutschen Klimaschutzgesetz sei schon das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 festgesetzt. Und das sei nur mit einem Kohle-Stopp vor 2030 erreichbar.
Ein Atomkraft-Revival hält der Klimaökonom trotz der Ausbau-Ankündigungen mehrerer europäischer Länder für abwegig. "Warten wir mal ab, wie viele neue Meiler wirklich gebaut werden. Als Klimaökonom kann ich nur festhalten: Die Erzeugung von Atomstrom ist deutlich teurer als Windkraft und Fotovoltaik", sagte er. "Wir können ausreichend grünen Strom produzieren, um die Transformation anzustoßen, dafür brauchen wir die Kernenergie nicht."
Klimaökonom Edenhofer hält Klimaschutzministerium für verzichtbar
Für mehr Klimaschutz ist aus Sicht von Klimaökonom Ottmar Edenhofer nicht zwingend ein eigenes Klimaschutzministerium erforderlich. "Vieles spräche dafür, die Koordination im Kanzleramt anzusiedeln", wie es SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im Wahlkampf angekündigt hatte, sagte der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). "Aber man könnte auch die Kompetenzen in einem Klimaschutzministerium bündeln", er sei in der Frage "agnostisch".
"Entscheidend ist, dass die Regierung eine Gesamtstrategie entwickelt und die Ministerien endlich ihr Silodenken überwinden", so der Appell des PIK-Direktors. "Sehr schlecht wäre es, wenn die Ministerien gegeneinander statt miteinander handeln, wie in der scheidenden Regierung." Vom Ausbau der Erneuerbaren über die Wasserstoffstrategie und synthetische Kraftstoffe bis zu Negativemissionen - also Technologien, um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen - müsse alles gemeinsam gestemmt werden. "Mit Ressort-Egoismus kann das nicht gelingen."
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (ots)