Kabinett verabschiedet „Kronzeugen“-Regelung
Archivmeldung vom 16.05.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.05.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas Bundeskabinett hat heute eine neue Strafzumessungsregel beschlossen. Bei Straftätern, die zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten beitragen, sollen Richterinnen und Richter die Strafe mildern oder ganz von Strafe absehen können.
Der Gesetzentwurf knüpft an frühere und auch im geltenden Recht verankerte Möglichkeiten an, die Kooperationsbereitschaft von Straftätern zu honorieren. Bis 1999 galt das Kronzeugengesetz, das für die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen und damit zusammenhängende Taten die Möglichkeit eröffnete, das Verfahren einzustellen, von Strafe abzusehen oder die Strafe zu mildern. Das geltende Strafrecht kennt spezifische („kleine“) „Kronzeugenregelungen“ für bestimmte Delikte, nämlich bei der Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung (§§ 129, 129a StGB), der Geldwäsche (§ 261 StGB) und im Betäubungsmittelstrafrecht (§ 31 BtMG). Praktisch bedeutsam ist vor allem § 31 BtMG, dessen Anwendung in den vergangenen Jahrzehnten gute Ermittlungserfolge bei der Aufklärung organisierter Rauschgiftkriminalität ermöglichte.
„Unser Vorschlag für eine neue Strafzumessungsvorschrift gründet auf einem anderen Ansatz als die Kronzeugenregelungen aus den 80er und 90er Jahren. Der wesentliche Nachteil dieser ausgelaufenen Regelungen liegt - genauso wie bei den so genannten „kleinen“ Kronzeugenregelungen - darin, dass sie jeweils nur für bestimmte Deliktsbereiche gelten. Das heißt beispielsweise, dass gegenwärtig nur der Täter eines Betäubungsmitteldelikts oder ein Geldwäscher eine Strafmilderung erhalten kann und dies auch nur dann, wenn er hilft, ein Drogen- oder Geldwäschedelikt aufzuklären. Damit fehlt ein Anreiz für alle anderen potenziellen „Kronzeugen“, also jene, die nicht dem von der jeweiligen „Kronzeugenregelung“ vorgegebenen engen Täterkreis angehören, an der Aufklärung oder Verhinderung einer schweren Straftat mitzuwirken. Für den Passfälscher, Schleuser oder Waffenhändler, durch dessen Angaben z. B. ein Sprengstoffanschlag vereitelt oder aufgeklärt werden kann, gibt es keine klare rechtliche Vorgabe, inwieweit seine Aussage durch eine Strafmilderung oder das Absehen von Strafe honoriert werden kann. Deshalb haben wir nun als Regelungsansatz eine allgemeine Strafzumessungsregelung gewählt, die unabhängig vom Delikt des „Kronzeugen“ auf schwere Straftaten mit einem tendenziellen Ermittlungsdefizit, bei denen auch eine Telefonüberwachung möglich wäre, angewendet werden kann. Damit kommen wir dem Bedürfnis der Praxis nach, größere und vor allem praktikablere Anreize für kooperationsbereite Straftäter zu schaffen. Wirksame Mechanismen werden Missbrauch unterbinden und dafür sorgen, dass falsch aussagende „Kronzeugen“ strenger bestraft werden können“, sagte Bundesjustizministerin Zypries.
Eckpunkte des Regelungsvorschlags:
1. Voraussetzungen:
Der Täter einer mittelschweren oder schweren
Straftat offenbart sein Wissen über Tatsachen,
die wesentlich zur Aufklärung einer Straftat nach § 100a Abs. 2 StPO-E
beitragen (sog. Aufklärungshilfe), oder durch die eine Straftat nach § 100a Abs. 2 StPO-E verhindert werden kann
(sog. Präventionshilfe).
Beispiel: Der wegen seiner Beteiligung an einem (bewaffneten) Bankraub (§§ 249, 250 StGB) verhaftete A gibt der Polizei Hinweise, die zur Ergreifung seiner Mittäter B und C führen.
Die Bedeutung dessen, was der „Kronzeuge“ zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten beiträgt, rechtfertigt eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe im Verhältnis zur Schwere der eigenen Tat.
2. Folge:
Das Gericht kann die Strafe mildern oder von Strafe absehen, hat jedoch folgende Einschränkungen zu beachten: Ist „lebenslänglich“ die ausschließlich angedrohte Strafe (wie dies insbesondere bei Mord der Fall ist) darf die Strafe allenfalls auf eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren gemildert werden; von Strafe absehen darf das Gericht nur, wenn die Tat abstrakt nicht auch mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist und der Täter im konkreten Fall - ohne die Strafmilderung - keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hätte.
Im Beispielsfall kann das Gericht die Strafe gegen A mildern und dabei unter die Mindeststrafdrohung (§ 250 StGB) von drei Jahren Freiheitsentzug gehen. Ein Absehen von Strafe wird in der Praxis nur unter besonderen Umständen in Frage kommen, z. B. wenn der Tatbeitrag des A gering ist und mit seiner Hilfe weitere Bankraube, die B und C bereits geplant hatten, verhindert werden können.
Haben A, B und C demgegenüber bei ihrem gemeinsamen Bankraub leichtfertig den Tod einer Bankangestellten verursacht, weil sich aus einer ihrer Schusswaffen ein Schuss gelöst hat, so darf das Gericht im Verfahren gegen den „Kronzeugen“ A nicht von Strafe absehen, weil die entsprechende Tat (Raub mit Todesfolge, § 251 StGB) auch mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist.
3. Ausschluss
Die neue Regelung findet keine Anwendung, wenn der Kronzeuge sein Wissen erst offenbart, nachdem das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn beschlossen hat. Damit soll insbesondere erreicht werden, dass die Angaben des Täters von den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten noch rechtzeitig überprüft werden können, bevor über die Strafmilderung entschieden wird.
Beispiel: Der wegen eines Menschenhandeldelikts Angeklagte hat während des gesamten Verfahrens geschwiegen. Erst am letzten Verhandlungstag, als ihm eine Verurteilung droht, macht er auf einmal vor dem Gericht Angaben über angebliche Drogenstraftaten von Personen, die dem Gericht und den Strafverfolgungsbehörden bislang unbekannt sind. Eine Strafmilderung nach der „Kronzeugenregelung“ kommt dann nicht in Frage. Möglich bleibt es allein, die Aussage nach den allgemeinen Regeln bei der Strafzumessung noch zu Gunsten des Täters zu berücksichtigen, falls das Gericht sie für überzeugend hält (§ 46 StGB).
4. Besonderer Anreiz zur Kooperation
Neu ist darüber hinaus die Möglichkeit, auch bei Verbrechen (also jedem Delikt, das mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist) von Strafe abzusehen. Generell ist nämlich ein Absehen von Strafe immer dann möglich, wenn der Täter - ohne die Kronzeugenregelung - eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren verwirkt hätte. Die Staatsanwaltschaft kann in diesen Fällen mit Zustimmung des Gerichts das Verfahren gegen den Kronzeugen gemäß § 153b StPO einstellen.
Beispiel: Im Zusammenhang mit einem „Korruptionsskandal“ benennt der Täter eines besonders schweren Falls der Bestechung (§ 334 i. V. m. § 335 Abs. 1 Nr. 1 StGB) seine Mittäter und Hintermänner. Er ermöglicht so die Aufdeckung und Aufklärung des gesamten umfangreichen Tatkomplexes und eine erfolgreiche Strafverfolgung gegen die anderen Tatbeteiligten. Die ihm drohende Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren kann gemildert werden. Hätte der Kronzeuge eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren zu erwarten gehabt, kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit Zustimmung des Gerichts auch einstellen.
5. Kein Automatismus der Strafmilderung
Die Strafmilderung ist kein zwingender Automatismus. Es bleibt dem Gericht unbenommen, dem „Kronzeugen“ wegen der Schwere seiner Schuld eine Strafmilderung zu verwehren, wenn dies die Bewertung im Einzelfall gebietet.
6. Bisherige Kronzeugenregelungen aufgehoben oder angepasst
Die derzeit existierenden spezifischen „Kronzeugenregelungen“ werden, soweit sie entbehrlich werden, aufgehoben oder zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen an die Vorgaben der allgemeinen Strafzumessungsregel angepasst.
Wesentliche Unterschiede und Vorzüge im Vergleich zum früheren Kronzeugengesetz:
Allgemeine Strafzumessungsegel
Die vorgeschlagene Regelung ist eine allgemeine Strafzumessungsregel, d. h. sie ist grundsätzlich nicht auf bestimmte Delikte beschränkt. Die Strafverfolgungspraxis bemängelte an der früheren Kronzeugenregelung vor allem die enge Bindung an die Organisationsdelikte der §§ 129, 129a StGB (kriminelle / terroristische Vereinigung), da diese Delikte teilweise schwierig nachzuweisen sind. In der Praxis waren deshalb oft langwierige Ermittlungen nötig, bevor feststand, ob man einem kooperationsbereiten Beschuldigten die Vergünstigungen aus der früheren Kronzeugenregelung in Aussicht stellen konnte.
Keine Identität der Deliktsgruppe erforderlich
Die Tat des „Kronzeugen“ und die Tat, auf die sich seine Präventions- oder Aufklärungshilfe bezieht, müssen nicht derselben Deliktsgruppe zuzuordnen sein.
Vorbeugung von Missbrauch
Die Neuregelung enthält Sicherungen, um die Gefahr zu minimieren, dass ein vermeintlicher Kronzeuge durch Falschangaben eine Strafmilderung erlangt. Dies geschieht vor allem durch die zeitliche Begrenzung des Anwendungsbereichs (Angaben müssen vor Eröffnung des Hauptverfahrens gemacht werden, um noch rechtzeitig überprüft werden zu können, siehe oben), aber auch durch die Ausweitung und Erhöhung der Strafen der für Falschangaben einschlägigen Straftatbestände (§ 145d StGB - Vortäuschen einer Straftat, § 164 StGB - Falsche Verdächtigung), wenn der Täter die Falschangaben macht, um sich die Strafmilderung der Kronzeugenregelung zu erschleichen. Beide Sicherungen sollen auch in die in der Praxis wichtige Kronzeugenregelung des § 31 BtMG eingebaut werden. Im Übrigen hängt die Gewährung einer Strafmilderung natürlich immer davon ab, dass das entscheidende Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Angaben des „Kronzeugen“ auch tatsächlich zu einem Aufklärungserfolg führen oder die Verhinderung einer schweren Straftat ermöglichen.
Quelle: Pressemitteilung Bundesministerium der Justiz