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Video zum „Ampel“-Bürgergeld: „Das Problem liegt bei den Behörden, nicht bei den Menschen“

Archivmeldung vom 23.12.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.12.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Anja Schmitt
Bild: Screenshot Youtube
Bild: Screenshot Youtube

Die „Ampel“ steht – laut Koalitionsvertrag hat sie einen großen Umbruch im Bereich des Arbeitslosengelds vor. Aus Hartz IV wird das neue „Bürgergeld“. Doch die Scholz-Regierung „wird damit keineswegs die ‚Agenda 2010‘ von Gerhard Schröder zurückdrehen“. Darüber spricht Robert Trettin, Berliner Referent für Sozialpolitik, im Interview mit SNA.

Nach dem Interview mit SNA News hielt Sozial-Experte Robert Trettin einen dicken Stapel Papier in die Kamera. Alles Sozialreformvorschläge der letzten Jahrzehnte diverser Wirtschaftsinstitute und selbsternannter Experten, die nie umgesetzt worden sind, sagte er. Damit bezog er sich auf einen aktuellen Vorschlag des Berliner Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), jedem volljährigen Bürger ein Grunderbe von 20.000 Euro zu bewilligen. „Solche Vorschläge gibt es wie Sand am Meer, das muss man nicht weiter kommentieren“, so Trettin. „Lauter Studien, Vorschläge, Konzepte – und immer weniger Geld am Monatsende.“

Viele sozialpolitische Vorschläge finden sich ebenso im Koalitionsvertrag der „Ampel“-Koalition.

„Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen“, heißt es dort. „Das Bürgergeld soll die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein. Wir gewähren in den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezuges die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens und anerkennen die Angemessenheit der Wohnung.“

Bisher sei dies alles „lediglich eine Absichtserklärung“, kritisierte Trettin als Referent für Sozial- und Gesundheitspolitik. Der langjährige Vize-Sprecher der „Nationalen Armutskonferenz“ (NAK) engagiert sich seit Jahrzehnten im Kampf gegen Armut, Obdachlosigkeit und niedrige Hartz-IV-Regelsätze.

Außerdem plädiert er seit Jahren für einen menschenfreundlicheren Arbeitsmarkt und höhere Löhne.

Es komme darauf an, erklärte er, „was die Menschen am Monatsende auf dem Konto haben. Es sind Verbesserungen angedacht, weiterhin wird aber auch das neue Bürgergeld wohl Armut per Gesetz bleiben. Sonst müssten auch signifikante Lohnerhöhungen der unteren Einkommen erfolgen. Die mickrige Erhöhung des Hartz IV-Bürgergeldes um drei Euro ab Januar 2022 zeigt doch, wo vermutlich die Reise hingeht. Sogar ein Inflationsausgleich wurde im Bundestag abgelehnt.“

Er befürchte, für prekär Beschäftigte, etwa in Teilzeit und Leiharbeit, werde das nicht helfen.

Bürgergeld statt Hartz IV und ein Versprechen: Keine Sanktionen bis 2022

Bis Ende 2022 soll es laut Medien keine Sanktionen geben, also keine Kürzungen des Bürgergelds, wenn zum Beispiel jemand ein Arbeitsangebot nicht annimmt, obwohl es zumutbar wäre. Außerdem seien Bonus-Zahlungen geplant, wenn Bürgergeld-Empfänger an Weiterbildungsmaßnahmen oder Suchtberatungen teilnehmen.

„Man schafft Anreize statt zu sanktionieren, immerhin“, kommentierte Trettin. „Das schafft aber auch keine Arbeitsplätze und führt nicht zu mehr Geld auf dem Konto.“

Die aktuellen Reformvorschläge durch renommierte Wirtschaftsinstitute und Ökonomen betrachtet er kritisch. Die agieren laut ihm „meist neoliberal“, also arbeitgeber- und marktfreundlich.

Menschenwürde, Rente und der Einfluss von Lobby-Gruppen

Er zitierte außerdem den alten und neuen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), was fragwürdige Ansichten in der Gesellschaft zu Arbeit, Sozialhilfe und Arbeitslosigkeit betrifft. Die Menschenwürde ist laut Trettin nicht davon abhängig, „ob jemand mitwirkt oder aus irgendwelchen Gründen auch nicht. Die Menschenwürde besitzt jeder Mensch von Geburt an und schon davor. Sie gilt für alle Menschen gleichermaßen und muss nicht erst verdient oder durch Wohlverhalten erworben werden.“ Niemand sei darüber hinaus „zu faul zum arbeiten“, wie häufig behauptet werde.

Ziel der Rentenpolitik der „Ampel“ sei es, so Trettin, „zugunsten der Arbeitgeberbeiträge die Lohnkosten so gering wie möglich zu halten. Die Privatisierung der Rente zugunsten der Versicherungs- und Finanzbranche ist ein alter, aber gefährlicher Hut. Dazu ist jedes Mittel recht. Man ist seit Jahren dabei, die Menschen an den Pranger zu stellen, die nicht privat vorsorgen, weil sie es gar nicht können. Die psychologischen Mechanismen des Prangers auch in unserer vermeintlich so aufgeklärten Gesellschaft funktionieren hervorragend.“

Der Referent für Sozialpolitik glaube schlussendlich nicht, dass von der Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) tiefgreifende Sozialreformen zu erwarten seien: „Wird sich die neue Regierung dem Druck der rund 218 Lobby-Organisationen, die Zugang zum Bundestag haben, wieder einmal beugen?“

Quelle: SNA News (Deutschland)

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