Oberberg Fachklinik Konraderhof für Kinder und Jugendliche: Wenn Kinder mit ihren Eltern die Rollen tauschen...
Archivmeldung vom 10.10.2019
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Freigeschaltet durch André OttDie Statistik zeigt: Jeder dritte Erwachsene leidet mindestens einmal im Leben an einer psychischen Erkrankung. Und fast jedes vierte Kind wächst mit einem psychisch erkrankten Elternteil auf, etwa jedes fünfte Kind zeigt selbst Auffälligkeiten.
Dr. med. Andrea Stippel, Fachärztin für Kinderpsychiatrie und Chefärztin der Oberberg Fachklinik Konraderhof, geht es um eben diese Gruppe: Kinder psychisch kranker Eltern. Diese jungen Menschen gelten als Hochrisikogruppe. Sie werden häufiger psychiatrisch, psychologisch und psychotherapeutisch behandelt.
Kinder können das Verhalten der Eltern meist überhaupt nicht als krankhaftes Verhalten einstufen. Oft werten sie es als Erziehungsverhalten und suchen die Schuld bei sich. Sie denken zum Beispiel, sie seien ungehorsam gewesen oder es läge an ihren schlechten Noten.
In der Hilflosigkeit stark
Generell fühlen Kinder sich hilflos, wenn Eltern psychisch krank sind. Sie reagieren darauf mit einem Rollentausch und kümmern sich um ihre Eltern, Experten nennen das Parentifizierung. Zum Beispiel fahren sie nicht auf Klassenreise, da die Mutter nicht allein bleiben kann oder will oder sie versorgen jüngere Geschwister. Oder sie haben ein kindliches magisches Denkschema, sie kochen "Zauberreis, der glücklich macht" (magische Rituale), trennen sich von einem "Lieblingsstück" (Opfer bringen), wenden einen "Zähltrick" an (Zwänge) oder wollen Kontrolle wiedergewinnen (Essstörung).
Immer in Alarmbereitschaft
Diese Kinder leben mit lang erlernten Mustern der ständigen inneren Alarmbereitschaft und des Abscannens: "Was könnte gerade in dem anderen vor sich gehen und ist es womöglich bedrohlich?" Sie wirken viel reifer, haben ganz andere Sorgen als andere Kinder in ihrem Alter, bieten sich an Aufgaben zu übernehmen - sie sind typische "Helferkinder".
Mangelnde Aufklärung
Dr. Andrea Stippel, Expertin für seelische Gesundheit, weiß aus ihrem Klinikalltag, dass Kinder häufig nur unzureichend über die Erkrankung der Eltern aufgeklärt sind. Gibt es keine aktive Auseinandersetzung mit der Krankheit - sie ist Tabuthema oder Mutter oder Vater verschwinden plötzlich - erhöht sich die Symptombelastung bei den Kindern noch. Auch die Art und Weise, in der Eltern mit ihrer psychischen Krankheit umgehen, beeinflusst die Gesundheit der mit ihnen zusammenlebenden Kinder. Der Zusammenhang zwischen der elterlichen psychischen Erkrankung und einer daraus resultierenden möglichen Belastung für die eigenen Kinder wird nicht reflektiert.
Wie Kinder ihre Situation bewältigen
Kinder psychisch kranker Eltern reagieren je nach ihren verfügbaren Ressourcen und ihrer psychischen Robustheit (Resilienz) verschieden und sie weisen unterschiedliche Arten der Bewältigung auf. Diese Strategie nennt sich Coping und kann in drei je nach Belastungsgrad der Kinder unterschiedliche Gruppen aufgeteilt werden. Dabei ist ein Drittel der Kinder sehr nach außen gerichtet auffällig, etwa ein Drittel kompensiert die Belastung eher still und ein Drittel der Kinder nimmt eine fast unauffällige Entwicklung. Die Chefärztin der Oberberg Fachklinik Konraderhof rät: "Es ist wichtig, Kinder psychisch erkrankter Eltern aufmerksam zu beobachten, um die unterschiedlichen Formen psychischer Auffälligkeiten rechtzeitig zu erkennen. So kann es gelingen, unter anderem auch nach innen gerichtete Auffälligkeiten, die Mädchen häufiger betreffen als Jungen, besser aufzufangen."
Ressourcen heben, Resilienz stärken
Die diagnostischen Instrumente sind vielfältig und reichen vom Elternstressfragebogen bis zum sogenannten Elternbelastungsinventar. Dr. Andrea Stippel erklärt: "Ziel ist es, die Ressourcen der Kinder zu heben und ihre Resilienz zu stärken." Die Ressourcen sind protektive Faktoren, d.h. aktuell verfügbare Potenziale in Person und Umwelt eines Kindes, die die Wirkung von Risikofaktoren moderieren und die Herausbildung von Störungen senken können.
Resilienz bedeutet die Fähigkeit, vorhandene Ressourcen zur Bewältigung alterstypischer Entwicklungsaufgaben trotz bedeutender Belastungen zu aktivieren und Bewältigungskompetenzen zu entwickeln, um die psychische Robustheit zu stärken und das emotionale und soziale Gleichgewicht.
Veranstaltungshinweis
Dr. med. Andrea Stippel referiert anlässlich der 5. KölnBonner Woche für seelische Gesundheit bei der Veranstaltung der Eckhard Busch Stiftung in der Fritz Thyssen Stiftung am 12. Oktober 2019 um 14 Uhr gemeinsam mit Irmela Boden zum Thema "Borderline und Kindheit, zwischen erkrankt sein und Angehöriger sein - Perspektiv(e)wechsel(n)".
Link zur Website https://www.oberbergkliniken.de/kinder-und-jugendliche
Quelle: Oberberg Gruppe (ots)