Herzinfarkt ist eine Arbeiterkrankheit
Archivmeldung vom 25.11.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittJeder weiß: Der Herzinfarkt ist eine typische Managerkrankheit. "Stimmt nicht", sagt Prof. Dr. Johannes Siegrist, der Leiter des Instituts für Medizinische Soziologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Je niedriger die soziale Stellung, desto höher das Infarktrisiko.
Siegrist leitet seit mehreren Jahren das Forschungsnetzwerk "Soziale
Ungleichheit von Gesundheit und Krankheit in Europa". Seine Forschungsgruppe an
der Heinrich-Heine-Universität ist an diversen Studien beteiligt, die derzeit
wichtigste läuft in Essen seit 2000 und beobachtet den Gesundheitszustand von
rund 4800 Erwachsenen.
Dass die Gesundheit auch vom sozialen Status einer
Person abhängt, ist mittlerweile erwiesen, wie sich die einzelnen Faktoren aber
genau auswirken, das will Siegrist wissen. "Wie viel hängt an der
Arbeitsbelastung?", ist eine seiner Fragestellungen. "Das heißt nicht in erster
Linie Lärm, Schmutz oder zu langes Stehen", erklärt er, "sondern vor allem die
Stressbelastung. Damit ist nicht einfach ein ab und zu hektischer Alltag
gemeint, sondern zum Beispiel eine langfristig starke Arbeitsbelastung unter
unsicheren, als bedrohlich empfundenen Rahmenbedingungen." Auch die fehlende
Anerkennung, begrenzte Aufstiegschancen und eine inadäquate Entlohnung
beeinflussen das Stressempfinden und damit das Infarktrisiko. Das von dem
Düsseldorfer Forscher und seiner Arbeitsgruppe entwickelte, mit standardisierten
Fragebögen gemessene Stressmodell ist mittlerweile in vielen in- und
ausländischen Studien getestet und bestätigt worden.
Stress wird in den
unteren sozialen Schichten häufig auch deshalb besonders stark empfunden, weil
der Ausgleich fehlt. Das Wissen um Entspannungstechniken, die Möglichkeit, sich
durch den Besuch kultureller Veranstaltungen vom Arbeitsalltag zu lösen oder
draußen Sport zu treiben, ist häufig kaum vorhanden. Hinzu kommt ein
gesundheitsschädlicher Lebensstil mit Rauchen, schlechter Ernährung und
mangelnder Gewichtskontrolle. Das erklärt auch, warum die gesundheitliche
Belastung bei jungen, gut ausgebildeten Hochschulabsolventen, die sich derzeit
mit schlechten Berufsaussichten von Praktikum zu Praktikum hangeln, nicht so
hoch ist: Sie kennen die Ausgleichmöglichkeiten, treiben Sport, ernähren sich
gesund.
Dass Stress gesundheitliche Probleme auslöst, ist nicht nur bei
Menschen so. In einer Studie mit Makaken wurden die Alphatiere periodisch
deklassiert, die Affen reagierten gestresst, ihre Herzkranzgefäße verengten sich
deutlich.
Die medizinische Erklärung für dieses Phänomen bei Affen und
Menschen zeigt folgendes: Das Gehirnbelohungssystem, in dem die negativen
Emotionen verarbeitet werden, steht in direkter Verbindung mit zwei Stressachsen
des Körpers. Die Sympathikus-Achse sorgt für die Ausschüttung von Adrenalin und
Noradrenalin, die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse ist zuständig
für die Ausschüttung des Hormons Cortisol. Sind diese Stresshormone ständig in
sehr hoher Konzentration im Blut vorhanden, so wird auch der Fettstoffwechsel
beeinflusst, das Blut wird zähflüssiger und der Blutdruck steigt (siehe
Abbildung).
Menschen mit deutlichem Arbeitsstress haben ein doppelt so hohes
Risiko, an einem Herzinfarkt zu erkranken, wie andere. Das heißt, dass in einem
Zeitraum von zehn Jahren etwa sechs Prozent der 40- bis 65jährigen Männer
unterer sozialer Schichten an einem Herzinfarkt erkranken oder sterben, aber nur
drei Prozent der Männer in Führungspositionen. Daneben konnte Siegrist auch noch
weitere Auswirkungen starker Arbeitsbelastung feststellen: So ist das Risiko, an
Depressionen zu erkranken, erhöht, bei Männern steigt auch die Gefahr für
unkontrollierten Alkohohlgenuss deutlich an.
Die Konsequenzen, die aus
diesen Studien gezogen werden müssten, sind klar: mehr Arbeitsplatzsicherheit,
eine angemessene Anerkennung und Entlohnung und die Förderung eines gesünderen
Lebensstils.
Und was ist mit dem alten Gerücht vom Herzinfarkt als
"Managerkrankheit"? "Das hat vor dreißig, vierzig Jahren sicher gestimmt",
erklärt Siegrist, "damals war die Herzinfarktwahrscheinlichkeit in den
unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zumindest ausgeglichen. Die steigende
Arbeitsplatzunsicherheit verbunden mit einem gesundheitsschädigenden Lebensstil
hat nun aber dafür gesorgt, dass die Infarktwahrscheinlichkeit für Arbeiter
deutlich gestiegen ist."
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.