Blutkörperchen mit Igelfrisur
Archivmeldung vom 24.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit Hilfe aufwändiger Computersimulationen haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und der Universität Heidelberg herausgefunden, wie Form und Verteilung von bestimmten Haftbereichen auf der Zelle ihre Bindung in Blutgefäßen beeinflussen.
Demnach sind nicht deren Zahl oder Größe die wichtigsten Parameter, vielmehr ist es am entscheidendsten, wie weit sie aus der Zelloberfläche herausragen. Eine entsprechende "Igelfrisur" wenden weiße Blutkörperchen und Malaria-infizierte rote Blutkörperchen tatsächlich als Haftstrategie an (Physical Review Letters, 28. September 2006).
Das Blut ist das universelle Transportmittel für
verschiedenartige Zellen in unserem Körper. Ihre Bewegung wird durch
hydrodynamische Kräfte bestimmt. Die Zellen "ankern" dann an der Gefäßwand des
Zielgewebes mit Hilfe spezieller Haftmoleküle, auch Rezeptoren genannt, die sich
in vielen Fällen auf der Zelloberfläche in nanometergroßen Haftflecken sammeln.
Der Vorgang der Anhaftung basiert auf dem Schlüssel-Schloss-Prinzip, das heißt,
ein bestimmtes Haftmolekül bindet in der Regel nur ganz spezielle Partner. So
wird garantiert, dass die Zellen nur dort hängen bleiben, wo sie ihre
biologische Funktion erfüllen sollen.
Diese Prozesse sind von hoher
medizinischer Relevanz; so haften Malaria-infizierte rote Blutkörperchen an
Gefäßwänden, um ihrer Vernichtung in der Milz zu entkommen, und weiße
Blutkörperchen docken bei ihren Patrouillengängen an den Gefäßwänden an, um
anschließend im angrenzenden Gewebe Fremdkörper aufzuspüren (Vgl.
MPG-Presseinformation [1]). Zu den "wandernden Klebezellen" gehören auch
Stammzellen, die aus dem Knochenmark zu ihrem Zielgewebe ziehen, sowie
Krebszellen, die im Körper metastasieren.
Um diese Vorgänge besser zu
verstehen, muss man das Zusammenspiel von Hydrodynamik und molekularer Bindung
der Haftflecken im Detail nachvollziehen. Die Wissenschaftler vom
Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und von
der Universität Heidelberg haben zu diesem Zweck ein Computermodell entwickelt,
das systematisch untersucht, wie Dichte, Größe und Höhe der Rezeptoransammlungen
die Haftung beeinflussen. In Millionen von Computerexperimenten ermittelten die
Forscher, wie lange es in Abhängigkeit von diesen Größen dauert, bis der
Haftfleck einen Partner auf dem Zielgewebe gefunden hat, während ein
Flüssigkeitsstrom die Zelle nach den Gesetzen der Hydrodynamik bewegt. Diese
Rechnungen sind sehr aufwändig, weil sie pro Zelle hunderte Flecken
berücksichtigen müssen.
In den ersten Simulationen, die den Einfluss der
Fließgeschwindigkeit auf die Haftung untersuchten, zeigte sich: Je schneller die
Flüssigkeit fließt, desto rascher finden sich auch die Bindungspartner, da die
Zelle eine größere Fläche abtasten kann. Anschließend variierten die Forscher
die Flecken-Dichte und stellten fest, dass jenseits eines Schwellenwertes von
einigen Hundert Rezeptorbereichen pro Zelle eine weitere Beschleunigung der
Bindungsentstehung nicht mehr eintritt, denn von da ab überschneiden sich die
durch thermische Zufallsbewegung entstehenden effektiven Wirkungsradien der
Flecken. Ähnlich verhält es sich mit der Größe der Haftbereiche, der offenbar
nur eine untergeordnete Rolle für die Bindungseffizienz spielt.
Verändert man aber die Höhe, mit der die Haftflecken über die
Zellmembran hinausstehen, kommt man zu einem überraschenden Ergebnis: Bereits
kleine Erhöhungen bewirken eine erheblich schnellere Bindung. Diesen Effekt
nutzen weiße Blutkörperchen, indem sie sich mit Hunderten von Ausstülpungen
bedecken, den so genannten "Mikrovilli", die etwa 350 Nanometer über die
Zelloberfläche ragen, was immerhin fast vier Prozent des Zelldurchmessers
ausmacht. Auch Malaria-infizierte rote Blutkörperchen verwenden die
"Igelfrisur"-Strategie. Auf ihrer Oberfläche befinden sich 20 Nanometer hohe
"Knospen".
Die Wissenschaftler vermuten, dass sie mit ihren Simulationen ein allgemeines biologisches Designprinzip aufgedeckt haben, das auch in anderen hydrodynamischen Zusammenhängen auftritt - beispielsweise bei Bakterien, die sich in medizinischen Durchflussgeräten wie Kathetern oder Dialysen ansammeln. Die entwickelte Software wird es in Zukunft erlauben, solche Situationen viel genauer als bisher zu untersuchen und ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer "berechneten" Biologie.
[US/AJ]
Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung