Neurobiologischen Auswirkungen von Nikotin ähnlich denen von Alkohol, Kokain, Heroin oder Amphetamin
Archivmeldung vom 08.03.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNikotin-abhängige Raucher weisen in der Funktion des Dopamin-Systems im Gehirn ähnliche Defizite auf wie andere Suchtkranke. Das haben Mainzer, Aachener und Dresdner Wissenschaftler um Dr. Christoph Fehr, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, und Prof. Dr. Mathias Schreckenberger, kommissarischer Direktor der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin des Mainzer Universitätsklinikums, mithilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) herausgefunden.
Die Studie, die gerade in der online Ausgabe des renommierten „American Journal of Psychiatry“ erschienen ist, zeigt klar, dass die neurobiologischen Auswirkungen von Nikotin ähnlich denen von Alkohol, Kokain, Heroin oder Amphetamin sind – und ist damit ein konkreter Befund, der dem Rauchen die gleichen charakteristischen Merkmale zuschreibt, die auch beim Alkohol- und Drogenmissbrauch auftreten.
Die Frage, ob Rauchen eine echte Suchterkrankung oder doch eher eine schlechte Angewohnheit ist, beschäftigt die Forschung schon seit längerem. Insbesondere ging man nicht davon aus, dass Nikotin die gleichen neurobiologischen Folgen hat wie die so genannten harten Drogen. Diese Annahme haben Wissenschaftler nun in einer Studie widerlegt.
Mithilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) haben sie den Dopamin-Stoffwechsel im Gehirn von insgesamt 17 starken Rauchern untersucht und mit demjenigen von insgesamt 21 Nichtrauchern verglichen. Nikotin setzt – ebenso wie Alkohol oder Drogen – in einem Teil des Mittelhirns den Botenstoff Dopamin frei. Rezeptoren auf der Oberfläche von Nervenzellen binden Dopamin und werden in die Zelle geschleust. Bei chronischem Nikotinkonsum kann sich in Folge einer dauerhaften Dopamin-Freisetzung die Dichte der Rezeptoren verändern.
So zeigt die aktuelle Studie, dass in einem Teil des Gehirns – dem so genannten bilateralen Putamen – die Verfügbarkeit bestimmter Dopamin-Rezeptoren bei den Rauchern gegenüber den Nichtrauchern stark erniedrigt ist. Eine ähnlich niedrige Rezeptorverfügbarkeit in diesem Teil des Gehirns tritt auch bei Patienten auf, die Alkohol-, Kokain-, Heroin- oder Amphetamin-abhängig sind. Das Dopamin-System im bilateralen Putamen – ein Teil des Striatums – ist entscheidend daran beteiligt, neues interessant zu finden bzw. eine Belohnung bei bestimmten Auslösern zu antizipieren. Eine niedrige Verfügbarkeit von Dopamin-Rezeptoren in diesem Bereich verschlechtert die natürliche Dopamin-Wirkung. „Dieses Muster ist auch von Patienten mit anderen Suchterkrankungen bekannt“, erläutert der Erstautor der Studie, Dr. Christoph Fehr. „Dies ist ein Beleg dafür, dass Rauchen eine dem Alkohol- oder Drogenmissbrauch vergleichbare Sucht ist.“
In anderen Teilen des Gehirns stellten die Wissenschaftler keine Unterschiede in der Dopamin-Rezeptorverfügbarkeit zwischen Rauchern und Nichtrauchern fest. Die starken Raucher wurden zudem insgesamt zweimal untersucht – einmal unmittelbar nach dem Rauchen, also unter Konsumbedingungen, und einmal 24 Stunden nach der letzten Zigarette, also unter Entzugsbedingungen. „Auch hier konnten wir keine Unterschiede bzgl. der Dopamin-Rezeptorverfügbarkeit im Striatum feststellen – die niedrige Verfügbarkeit war auch unter Entzugsbedingungen noch gegeben“, beschreibt Christoph Fehr ein weiteres Ergebnis der Studie. „Wenn diese niedrige Verfügbarkeit noch länger anhält, wäre dies eine mögliche Erklärung, warum es Rauchern so schwer fällt, mit dem Rauchen aufzuhören. Denn eine anhaltende Unterfunktion des Dopamin-Systems scheint ein charakteristisches Merkmal für Abhängigkeit und Rückfallrisiko bei einer Suchterkrankung zu sein.“
Schließlich haben die Wissenschaftler innerhalb der Gruppe der untersuchten Raucher die Verfügbarkeit der Dopamin-Rezeptoren mit dem subjektiv erlebten „Rauchverlangen“ der Raucher korreliert. „Dieses Ergebnis hat uns zunächst überrascht, denn je größer das Verlangen war, desto höher war die Dopamin-Rezeptorverfügbarkeit in Teilen des bilateralen Putamens, aber desto niedriger in bestimmten Teilen des anterioren und temporalen Cortex“, erläutert Christoph Fehr. „Diese charakteristischen Verschiebungen der Dopamin-Rezeptorverfügbarkeit könnten ein wichtiges neuronales Substrat des ‚Rauchverlangens’ darstellen. Zur genaueren Einordnung sind hierzu allerdings noch weitere Untersuchungen nötig.“
Quelle: Universitätsklinik Mainz