So knackig wie junges Gemüse
Archivmeldung vom 29.07.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.07.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Oliver RandakVor 100 Jahren hielten die bekennenden Vegetarier ihren ersten Weltkongress in Dresden ab. Heute ist es längst gesellschaftsfähig, kein Fleisch zu essen. Aber ist das auch gesund?
„In die Creme auf Sojabasis haben wir unseren ganzen Ehrgeiz gelegt.
Dank der neuen Rezeptur verbindet sie sich harmonisch mit den Früchten
und dem zarten Mürbeteigboden“, schwärmt der Biobäcker auf dem
Schöneberger Winterfeldtmarkt. Ganz offensichtlich ein Obstkuchen für
Feinschmecker. In diesem Fall für solche, die nicht nur kein Fleisch,
sondern auch keine Eier und keine Milchprodukte auf ihrem Speiseplan
dulden.
Längst nicht alle Vegetarier sind so radikal wie diese Veganer. Doch
nach Angaben des Vegetarierbunds Deutschland isst einer von zehn
Deutschen kein Fleisch. Zwar gibt es keine gesicherten Zahlen, und die
Verzehrsstudie des Karlsruher Max-Rubner-Instituts ermittelte nur einen
Bevölkerungsanteil von 1,6 Prozent konsequenten Fleisch- und
Fischverächtern. Doch es ist ein Trend, kein oder wenig Fleisch zu
essen. Die Stars machen es vor, und unter jungen Frauen zwischen 18 und
24 liegt der Anteil der Vegetarierinnen besonders hoch. Längst ist
hierzulande der Braten auf dem Teller als Statussymbol untauglich
geworden. Mediterrane Gerichte wie Tomaten mit Mozzarella und Spaghetti
mit Tomatensauce oder auch indische Gemüsecurrys und arabische Falafel
machen es leicht, auch in Restaurants fleischlos glücklich zu werden.
Vor 100 Jahren, als die bekennenden Vegetarier ihren ersten
Weltkongress in Dresden abhielten, waren sie dagegen noch eine
verschwindend kleine Minderheit von ebenso friedlichen wie
missionarisch angehauchten Überzeugungstätern. In dieser Woche treffen
sich 600 Teilnehmer aus 31 Ländern zu ihrem 38. Weltkongress, wiederum
in Dresden. Es wird auch um ethische Fragen gehen, um
Massentierhaltung, „Personenstatus und Würde für höhere Säugetiere“ und
um die Rolle, die die Nutztierhaltung für die globale Erwärmung spielt.
Ein Rest von missionarischem Eifer ist geblieben: „Unser Ziel ist, dass
ein Viertel der Bevölkerung ganz ohne Fleisch auskommt“, sagt Hildegund
Scholwien, die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes. Der Theologe
Eugen Drewermann wird sprechen, der selbst Vegetarier ist und in seinem
„alternativen Vaterunser“ die Formulierung fand: „Verbiete uns, Herr,
das tägliche Fleisch. Das tägliche Brot gib uns heute.“ Etwas anders
formuliert könnte das durchaus als moderne ernährungswissenschaftliche
Empfehlung herhalten. So rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung
(DGE) dazu, nur zwei- bis dreimal in der Woche Fleisch auf den
Speiseplan zu setzen. „Fleisch ist eine gute Quelle für Eisen und
hochwertige Proteine, doch 300 bis 600 Gramm pro Woche reichen“, sagt
auch die Ernährungswissenschaftlerin Susann Ruprecht vom Deutschen
Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke. Dort
haben in den letzten Jahren Studien ergeben, dass es das Risiko für
Darmkrebs und für Diabetes vom Typ 2 erhöht, wenn man viel rotes
Fleisch isst.
Für den völligen Verzicht auf die Putenstreifen zum Salat und vor allem
auf Fisch ist das jedoch kein Grund. „Auch die ‚Pudding-Vegetarier‘,
die nur auf Fleisch verzichten, ohne auf eine ausgewogene und fettarme
Ernährung zu achten, leben nicht gerade gesund“, sagt Susann Ruprecht.
Besonders für die strengen Veganer unter den Vegetariern ist es
lebenswichtig, sich bewusst zu ernähren. Wer nur auf alle tierischen
Produkte verzichtet, aber zu wenig andere eiweißhaltige Nahrungsmittel
an ihre Stelle setzt, kann leicht in einen Proteinmangel rutschen. Für
Kleinkinder kann eine vegane Diät, die gleich nach dem Abstillen
ansetzt, ganz besonders gefährlich werden. „Wenn ihnen Vitamin B 12
fehlt, das sie für die Nerven- und Hirnentwicklung dringend brauchen,
drohen irreversible Schäden“, warnt Susann Ruprecht.
Allerdings gibt es unter Vegetariern besonders viele Menschen, die sehr
bewusst essen. Das zeigte schon im Jahr 1988 eine große Studie, für die
seit 1983 insgesamt 588 Vegetarier am Institut für
Ernährungswissenschaft der Uni Gießen untersucht worden waren.
Mehrheitlich waren es Frauen – wie überhaupt die Frauen häufiger als
konsequente Fleischverächterinnen durchs Leben gehen. Nur zehn Prozent
der Teilnehmer waren Veganer, 30 Prozent hatten auch Milchprodukte auf
dem Speiseplan, und die Hälfte der Probanden waren sogenannte
Ovo-Lacto- Vegetarier, die auch nichts dagegen haben, ab und zu ein Ei
zu essen. Als Hauptmotiv für ihr fleischloses Leben nannten die
Teilnehmer übrigens mehrheitlich die eigene Gesundheit. Nur bei den
Veganern standen religiöse und ethische Aspekte ganz klar im
Vordergrund. Viele der Gesundheitsbewussten waren erst durch die
Erfahrung einer Krankheit zum neuen Lebensstil gekommen, der auffallend
häufig auch Sport einschloss. Sie tranken wenig Alkohol und rauchten
kaum, viele von ihnen meditierten und fasteten regelmäßig. Vor allem
aber aßen sie – was kaum verwundert – deutlich mehr Vollkornprodukte,
Müsli und Rohkost als der Durchschnitt der Bevölkerung. Bei ihren
Probanden fanden die Gießener Forscher denn auch keine Mangelversorgung
bei Proteinen, Eisen, Kalzium oder Vitamin B 12. Claus Leitzmann und
sein Team kommen deshalb sogar zu dem Schluss, „dass der gemäßigte
Vegetarismus erhebliche Vorteile für die Gesundheit gegenüber derzeit
praktizierter Ernährung bietet“. Die Teilnehmer seiner Studie hatten
zum Beispiel fast alle gute Blutfettwerte und waren schlank. Allenfalls
von Süßigkeiten ließen sich viele von ihnen verlocken: 16 Prozent aßen
etwa mehrmals in der Woche Schokolade. Wer will schon auf das Beste
verzichten.