Epiretinale Gliose: Wenn Membranen an der Netzhaut ziehen
Archivmeldung vom 17.03.2021
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.03.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićDie Sehschärfe nimmt ab, gerade Linien erscheinen verzerrt: Diese Symptome sind typisch für verschiedene Erkrankungen der Netzhaut, die die Makula, die Stelle des schärfsten Sehens betreffen. Zu ihnen gehört die epiretinale Gliose, eine Krankheit, die mit zunehmendem Alter häufiger auftritt und die Patienten je nach Ausprägung sehr belasten kann.
Die moderne bildgebende Diagnostik der Netzhaut hat in den vergangenen Jahren das Wissen über diese Krankheit enorm erweitert und individuell abgestimmte Therapieentscheidungen ermöglicht.
Der Name "epiretinale Gliose" verbindet griechische und lateinische Begriffe: "Epi" ist die griechische Vorsilbe "auf", das lateinische "rete" bedeutet "Netz", das griechische "glia" "Leim". Bei der epiretinalen Gliose bildet sich eine Membran, die an einigen Stellen an der Netzhaut klebt und auf sie Zug ausüben kann. Sie entsteht häufig durch altersbedingte Veränderungen des Glaskörpers im Auge, sie kann aber auch die Folge anderer Krankheiten der Netzhaut oder des Glaskörpers sein. Dazu gehören etwa die diabetische Retinopathie, der retinale Venenverschluss oder entzündliche Netzhauterkrankungen.
Alterung des Glaskörpers
Der Glaskörper (Corpus vitreum) ist eine klare, gelartige Masse, die den größten Teil der Augenhöhle ausfüllt. Er besteht zum größten Teil aus Wasser, darin befinden sich Salze, Kollagenfasern und weitere Stoffe, beispielsweise Hyaluronsäure. Im Alter von etwa 40 Jahren setzt bei den meisten Menschen die normale Alterung des Glaskörpers ein: Der Glaskörper verflüssigt sich durch eine Zunahme von Hyaluronsäure und einer Abnahme von Kollagen. Gleichzeitig wird die innere Grenzmembran (internal limiting membrane, ILM), die den Glaskörper zur Netzhaut hin abschließt, dicker. Schließlich nimmt der Gehalt des Bindungsproteins Laminin ab. Die Folge ist, dass sich der Glaskörper im hinteren Bereich des Auges nach und nach von der Netzhautoberfläche ablöst, so dass er schließlich keinen Kontakt mehr zur Netzhautmitte hat.
Krankhafte Membran
Nicht immer gelingt die völlige Ablösung des Glaskörpers. Wenn Stellen erhalten bleiben, an denen er an der Netzhaut haftet, können Zugwirkungen entstehen, sogenannte Traktionen. Sie fördern das Wachstum mehrschichtiger Membranen. Bei der epiretinalen Gliose kommt es häufig zusätzlich zu einer Spaltung der hinteren Glaskörperrinde parallel zur Netzhautoberfläche. So verbleiben Kollagen- und andere Zellen an der ILM. Sie begünstigen die Bildung der epiretinalen Membranen zusätzlich. Diese Membran kann erheblichen Zug auf die Netzhaut ausüben. Diese kann dann Falten bilden oder sich sogar von den darunterliegenden Schichten abheben.
Die wichtigsten Symptome
Zunächst ruft die epiretinale Gliose keine Symptome hervor. Wenn sie fortschreitet, erleben die Betroffenen eine allmähliche Abnahme der Sehschärfe. Zusätzlich können Metamorphopsien auftreten: Gerade Linien erscheinen krumm. Das beidäugige Sehen kann dadurch stark beeinträchtigt werden. Die Patienten empfinden subjektiv sehr unterschiedliche Beschwerden - manche nehmen fast gar keine Sehminderung war, andere fühlen sich in ihrem täglichen Leben erheblich beeinträchtigt.
Untersuchungen beim Augenarzt
In der Augenarztpraxis werden beide Augen des Patienten gründlich untersucht. Zunächst wird der bestkorrigierte Visus festgestellt und es erfolgt eine Prüfung auf Metamorphopsien, zum Beispiel anhand des Amsler-Tests. Zudem werden die Pupillen mit Hilfe von Augentropfen erweitert und es erfolgt eine stereoskopische Ophthalmoskopie. Bei dieser Methode der Augenspiegelung gewinnt der Augenarzt/die Augenärztin ein dreidimensionales Bild der Netzhaut.
Multimodale Bildgebung
Eine große Bedeutung haben bildgebende Verfahren, um eine epiretinale Gliose zu diagnostizieren und Entscheidungen über eine eventuelle Behandlung zu treffen. Die Makula wird mittels SD-OCT (spectral Domain Optical Coherence Tomography) untersucht. Zusätzliche Erkenntnisse können weitere Untersuchungsmethoden bieten: konfokale Scanning Laser Ophthalmoskopie (SLO) mit Infrarot-Darstellung oder Multicolordarstellung und schließlich die Fundusautofluoreszenz. Fotografien des Augenhintergrundes sind zur Verlaufskontrolle vor und nach einer Therapie sinnvoll.
Die SD-OCT ist ein nicht-invasives, die Patienten wenig belastendes Verfahren, bei dem Schnittbilder der Netzhautschichten in einer hohen Auflösung (5 bis 7 µm) entstehen. Die SLO bietet bei der Multicolordarstellung, die mehrere Laserfarben zu einer einzelnen Darstellung kombiniert, zusätzliche Möglichkeiten. Epiretinale Membranen sind damit schon frühzeitig zu erkennen, auch wenn sie noch nicht stark ausgeprägt sind. Kombiniert man die SD-OCT mit der SLO, entsteht eine EnFace OCT, also zusätzlich zum Schnittbild eine Aufnahme von vorne, auf der sich Netzhautfalten besonders gut erkennen lassen. Die Fundusautofluoreszenz kann darüber hinaus Veränderungen in oder unter der Netzhaut deutlich machen, die durch die epiretinale Gliose verursacht werden. Schließlich kann, um andere Augenkrankheiten auszuschließen, eine Angiographie sinnvoll sein. Dabei wird ein Farbstoff in eine Vene injiziert, um anschließend Fotos der Netzhaut zu machen. Durch die Anreicherung des Farbstoffs in den Blutgefäßen lässt sich erkennen, ob es Leckagen oder andere krankhafte Veränderungen an den Gefäßen gibt.
Große Bandbreite - individuelle Therapieentscheidungen
Diese detaillierten Möglichkeitern, die Veränderungen im Auge darzustellen, haben in den vergangenen Jahren das Wissen über die epiretinale Gliose stark erweitert und sind heute eine gute Grundlage für individuelle Therapieentscheidungen. Die epiretinale Gliose weist eine sehr große Bandbreite auf sowohl hinsichtlich der Ursache als auch hinsichtlich des Schweregrades und des Fortschreitens der Krankheit. All diese Aspekte fließen in die Entscheidung über die Behandlung ein, außerdem die subjektiv wahrgenommenen Symptome und der Leidensdruck des Patienten, sein Allgemeinzustand und eventuell vorhandene (Augen)erkrankungen, die zu berücksichtigen sind.
Spontane Besserung möglich
Die Membranen können über Jahre hinweg stabil sein und Symptome wenig ausgeprägt - dann ist es sinnvoll abzuwarten und den Verlauf bei regelmäßigen Untersuchungen zu kontrollieren. Auch spontane Besserungen sind möglich, das sollten die Patienten wissen und berücksichtigen. Andererseits ist eine rasche Zunahme der Beschwerden ist möglich. Unter Umständen ist es notwendig zunächst die der Gliose zugrundeliegende Erkrankung zu behandeln.
Chirurgische Therapie
Die Therapie der Wahl bei einer symptomatischen epiretinalen Gliose ist die pars-plana-Vitrektomie und die Entfernung der Membranen. Um das Risiko von Rezidiven - dem Wachstum neuer epiretinaler Membranen - zu verringern, wird oft auch die innere Grenzmebran der Netzhaut vorsichtig abgeschält.
Für diesen Eingriff werden im Bereich der "pars Plana" - einem Bereich der Augenhülle, der weder große Blutgefäße noch für die Funktion des Auges unersetzliches Gewebe enthält - feinste Schnitte gesetzt. Durch diese Öffnungen hindurch werden filigrane Geräte ins Augeninnere geführt. Über eine Infusionsleitung wird das Volumen des Auges aufrechterhalten. Eine Lichtquelle kommt hinzu und schließlich ein chirurgisches Werkzeug. Das Vitrektom beispielsweise dient der Zerkleinerung des Glaskörpers, mit einer Pinzette können die Membranen gefasst, mit Schabern können sie vorsichtig von der Netzhaut abgelöst werden. Die Membranen werden oft angefärbt, so dass sie besser zu sehen sind. Damit lässt sich eine möglichst vollständige Entfernung sicherstellen, so dass keine Reste im Auge bleiben, die zum Ausgangspunkt einer neuen Membranbildung werden könnten.
Dieses mikrochirurgische Vorgehen hat sich seit vielen Jahrzehnten bewährt und wird stetig weiterentwickelt. Ziel ist es, das Risiko von Nebenwirkungen und Komplikationen zu reduzieren. Kamen in den 80er und 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts noch 20-gauge Instrumente zum Einsatz, so arbeiten moderne Systeme mit 23-, 25- oder 27 gauge. Die Einheit Gauge wird in der Medizin für Hohlnadeln etc verwendet. Je höher der Wert, desto geringer ist der Außendurchmesser der Instrumente. 23 gauge entspricht einem Außendurchmesser von 0,6 mm, bei 27 gauge sind es 0,4 mm. Die Öffnungen in der Augenhülle sind dementsprechend klein und müssen nach dem Eingriff nicht genäht werden.
Komplikationen lassen sich auch bei größter Sorgfalt nicht in jedem Fall vermeiden. In ein bis sechs Prozent der Fälle treten Netzhautdefekte auf und in der Folge kann es zu einer Netzhautablösung kommen. Auch die Möglichkeit einer Linsentrübung ist gegeben, falls die Patienten nicht bereits eine Kataraktoperation hatten. Eine Endophthalmitis - eine Entzündung im Augeninneren - und ein zystoides Makulaödem (CMÖ) sind weitere mögliche Komplikationen, über die die Patienten vor dem Eingriff aufzuklären sind.
Ausführliche Aufklärung
Die Beratung und Aufklärung der Patienten spielt vor der pars-plana-Vitrektomie eine große Rolle. Angesichts der Möglichkeit einer spontanen Besserung ist die Strategie des beobachtenden Zuwartens zu erwägen. Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass der Zustand auch rasch schlechter werden kann, wenn man zu lange wartet. Falls die Patienten noch "phak" sind, im Auge also noch die natürliche Linse ist, gilt es zu überlegen, ob der Eingriff mit einer Kataraktopertation kombiniert wird, da es nach einer Vitrektomie häufig zu einer Linsentrübung kommt.
Wichtig ist auch, dass sich die Patienten der langen Erholungsphase bewusst sind. In einzelnen Fällen waren auch nach mehr als drei Jahren noch Verbesserungen des Sehvermögens festzustellen. Mindestens sechs bis zwölf Monate muss man aber auf jeden Fall abwarten, um die Sehfunktion zu beurteilen. Direkt nach dem Eindruck kann es vorübergehend sogar zu einer Sehminderung kommen. Insgesamt ist die Prognose für die Patienten aber gut: In 70 bis 90 Prozent der Fälle kann eine Stabilisierung oder Verbesserung der zentralen Sehschärfe erreicht werden.
Fazit
Die epiretinale Gliose ist Augenkrankheit, die mit zunehmendem Alter häufig auftritt. Sowohl das Krankheitsbild als auch die subjektiven Beschwerden weisen eine große Bandbreite auf. Moderne Bildgebungsverfahren haben zu einem besseren Verständnis der krankhaften Prozesse geführt. Sie sind heute eine gute Grundlage für individuelle Therapieempfehlungen. Mit minimalinvasiven chirurgischen Methoden werden der Glaskörper des Auges und die Membran entfernt. Die Aussichten auf eine Stabilisierung oder sogar Verbesserung des Sehvermögens nach dem Eingriff sind gut.
Quelle: Berufsverband der Augenärzte Deutschlands. e.V. (ots)