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Ablehnung von Menschen mit psychischen Erkrankungen nimmt zu

Archivmeldung vom 12.03.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.03.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
PD Dr. Georg Schomerus
Quelle: Foto: privat (idw)
PD Dr. Georg Schomerus Quelle: Foto: privat (idw)

Rund 3.600 Menschen wurden Ende 2011 bundesweit in persönlichen Face-to-Face-Interviews ausführlich zu ihrer Einstellung zu den Krankheitsbildern Schizophrenie, Depression und Alkoholismus befragt. Das Ergebnis ist beunruhigend. Während die Bereitschaft, mit Betroffenen in Kontakt zu treten in Bezug auf Depression und Alkoholabhängigkeit unverändert geblieben ist, hat sich das Verhältnis zu Menschen mit Schizophrenie im Vergleich zu 1990 deutlich verschlechtert.

Die repräsentative Studie unter Leitung des Privatdozenten Dr. Georg Schomerus (Foto) von der Universitätsmedizin Greifswald wurde von der Fritz-Thyssen-Stiftung gefördert. Die Ergebnisse wurden unter anderem in dem renommierten The British Journal of Psychiatry (doi: 10.1192/bjp.bp.112.122978) veröffentlicht.

„Das Besondere ist, dass wir die Einstellungsentwicklungen zu psychisch Kranken seit 1990 sehr gut nachverfolgen können, weil wir Vergleichsdaten aus den Jahren 1990, 1993 und 2001 haben“, sagte Schomerus. Dazu liegen Studien des Leipziger Wissenschaftlers Prof. Matthias C. Angermeyer vor, der auch an der aktuellen Studie beteiligt war. In ca. 30-minütigen Gesprächen wurden den Befragten erneut drei exemplarische Krankheitsgeschichten vorgestellt, ohne Nennung der Diagnose. Sie sollten dann ihre Meinung sagen zu möglichen Ursachen, Behandlungsempfehlungen sowie persönlichen Einstellungen zu Menschen mit der geschilderten psychischen Erkrankung.

Stress und Burnout als Krankheitsauslöser

In den letzten 20 Jahren haben biologische Ursachenvorstellungen zur Schizophrenie deutlich zugenommen, während psychosoziale Ursachenvorstellungen etwas abgenommen haben. 2011 stimmten 62 % der Aussage zu, es handle sich bei dem geschilderten Problem um eine Gehirnkrankheit, 1990 waren es nur 43 %. Auf der anderen Seite führten 2011 66 % eine Schizophrenie auf ein belastendes Lebensereignis zurück, 1990 waren es noch 71 %. Bei der Depression verlief die Entwicklung anders, hier scheinen psychosoziale Gründe, insbesondere Stress als Auslöser in den Vordergrund zu rücken: Insbesondere „Stress am Arbeitsplatz“ wurde häufiger (2011: 80 %; 1990: 70 %) als mögliche Ursache bezeichnet, während die Zustimmung zu biologischen Ursachen eher gesunken ist. Auf die offene Frage, wie sie das geschilderte Problem bezeichnen würden, antworteten bei der Depression in der aktuellen Umfrage über 10 % mit dem Begriff „Burnout“, 2001 waren es weniger als 1 % gewesen, 1990 praktisch niemand. Bei der Depression zeigt sich damit eine Trendwende: Noch bis 2001 war auch hier eine Zunahme biologischer Krankheitsvorstellungen zu verzeichnen gewesen, mittlerweile treten aber Vorstellungen von Stress und Überlastung zunehmend in den Vordergrund. Bei der Alkoholabhängigkeit gab es keine einheitlichen Veränderungen, hier dominiert klar die Vorstellung von psychosozialen Stressfaktoren: 2011 stimmten 21 % zu, dass es eine Gehirnkrankheit sei (- 7 % seit 1990), 25 % meinten, das wird „vererbt“ (unverändert). Dagegen meinten 73%, Auslöser sei ein belastendes Lebensereignis (-7 %), 76% vermuteten Stress am Arbeitsplatz als Ursache (unverändert).

Psychotherapie wird positiv gesehen

Für alle Krankheiten gilt, dass professionelle therapeutische Behandlung erheblich an Popularität gewonnen hat, und zwar sowohl die Pharmakotherapie als auch die Psychotherapie. Der Anteil von Personen, der psychiatrische Medikamente für die Behandlung einer Schizophrenie empfahl, stieg zwischen 1990 und 2011 von 30 % auf 53 %, bei der Depression von 26 % auf 35 %. Für beide Krankheitsbilder war die Psychotherapie noch populärer, auch hier zeigte sich eine deutliche Zunahme bei den Behandlungsempfehlungen: Von 66 % auf 82 % bei der Schizophrenie und von 57 % auf 71 % bei der Depression. Analog nahm auch die Empfehlung von Psychotherapeuten und Psychiatern als Behandler deutlich zu, während es bei den Hausärzten nur kleine Zuwächse und bei Selbsthilfegruppen keinerlei signifikante Veränderungen gab. Bei der Alkoholabhängigkeit wurde ebenso vor allem der Gang zum Psychiater 51 % (+10 % seit 1990), Psychotherapeut 71 % (+24 %) und Hausarzt 83 % (+10 %) oder die Selbsthilfegruppe 79 % (unverändert) empfohlen. Positiver wurde auch hier die Einnahme von Medikamenten (28%, +15 % seit 1990) oder eine Psychotherapie (67 %, +16 %) eingeschätzt.

Ablehnung von Menschen mit Schizophrenie nimmt zu

Was die Stigmatisierung der Betroffenen angeht, zeigten sich unterschiedliche Entwicklungen. Für Betroffene mit einer Depression konnten tendenziell geringfügige positive Veränderungen beobachtet werden: die Menschen äußerten 2011 etwas mehr Mitleid und Hilfsbereitschaft und etwas weniger Befangenheit als 1990, gleichzeitig aber auch mehr Ärger über den Betroffenen. Das Bedürfnis nach sozialer Distanz, also die Bereitschaft, mit einem Betroffenen in alltäglichen Situationen umzugehen, blieb weitgehend unverändert.

Eine eindeutig negative Entwicklung zeigte sich dagegen für die Schizophrenie: Hier nahm die Furcht vor den Betroffenen zu, während positive Reaktionen wie Mitleid und Hilfsbereitschaft abnahmen. Vor allem aber stieg das Bedürfnis nach sozialer Distanz deutlich: Während es 1990 zum Beispiel 20 % ablehnten, mit einer an Schizophrenie erkrankten Person zusammenzuarbeiten, waren es 2011 schon 31 %. Der Anteil derjenigen, die es ablehnten, jemand mit einer Schizophrenie einem Freund vorzustellen, stieg von 39 % auf 53 %. Insgesamt wurden sieben verschiedene hypothetische Situationen abgefragt, und in allen Situationen stieg die Ablehnungsquote deutlich. Gerade der Kontrast zum Krankheitsbild Depression macht deutlich, dass speziell die Einstellungen zu Menschen mit Schizophrenie in den letzten zwanzig Jahren negativer geworden sind.

Die stärkste Ablehnung unter den drei Krankheitsbildern erfahren nach wie vor Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit. Die persönliche Ablehnung äußert sich darin, dass 31 % einen Alkoholkranken nicht als Nachbarn wünschen (unverändert), 34 % nicht als Arbeitskollegen (unverändert), 60 % nicht im Freundeskreis (+5 %) und 61% nicht als Untermieter (unverändert).

Was sind die Konsequenzen aus der Studie?

„Die Öffentlichkeit weiß mehr über psychische Krankheiten und ist einer psychiatrischen Behandlung gegenüber aufgeschlossener. Das sind die positiven Entwicklungen“, zog Schomerus ein Fazit. „Allerdings: Aufklärung und Wissen ändern offenbar nichts am Problem der Stigmatisierung. Bei der Schizophrenie gibt es sogar Hinweise, dass eine einseitige Betonung biologischer Prozesse bei der Darstellung dieser Krankheit in den Medien oder durch Wissenschaftler den Betroffenen schadet. Wir konnten zeigen, dass durch ein rein biologisches Krankheitsverständnis eine vermeintliche Andersartigkeit der Betroffenen betont wird und dadurch die Ablehnung steigt. Wir brauchen also ein differenzierteres, lebendigeres Bild von Menschen mit psychischen Krankheiten. Psychisch kranke Menschen dürfen nicht auf eine Fehlfunktion im Gehirn reduziert werden.“

Nach Auffassung des Studienleiters müssen in der Gesellschaft und Öffentlichkeit dringend neue Wege in der Aufklärung von psychischen Erkrankungen und im Umgang mit den Betroffenen gesucht werden. „Bis zu einem selbstverständlichen Umgang mit psychischen Krankheiten, die ja sehr häufig sind, ist es noch ein weiter Weg. Wir haben in den letzten 20 Jahren viel getan, aber offenbar zu wenig erreicht. Das ist leider keine gute Botschaft für die Betroffenen, zu denen ja jeder einmal gehören kann.“

Anti-Stigma-Aktivitäten sollten die Betroffenen stärker in den Mittelpunkt stellen, lokal, nachhaltig und zielgruppenorientiert sein. Das schließt auch Begegnungen mit Schülern, Seminare mit Polizisten, Lehrern und Krankenhauspersonal ein. „Hier gibt es schon einzelne vielversprechende Projekte. Wichtig ist auch, strukturelle Benachteiligungen zu bekämpfen. Es ist zum Beispiel für Menschen mit Schizophrenie viel schwieriger, eine ambulante Psychotherapie zu erhalten als für Menschen mit anderen, oft weniger schwerwiegenden psychischen Krankheiten“, so Schomerus.

Hintergrund Schizophrenie und Anti-Stigma-Arbeit

Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, die nach wie vor zu einer starken gesellschaftlichen Ausgrenzung führt. Etwa 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung erkranken im Lauf ihres Lebens an einer Schizophrenie, die die gesamte Persönlichkeit in unterschiedlicher Weise beeinflussen kann. In den Krankheitsphasen ist häufig das Verhältnis zur Realität gestört, die Betroffenen leiden unter Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Verlauf und Ausprägung der Krankheit sind individuell sehr unterschiedlich. Bis heute sind die Ursachen der Krankheit nicht vollständig geklärt.

Seit über zehn Jahren kämpfen Aufklärungs- und Anti-Stigma-Kampagnen für Toleranz und gegen die Stigmatisierung von Menschen mit Schizophrenie. Häufig wurde dabei auf den biologischen Charakter der Erkrankung verwiesen sowie auf den Beitrag der Vererbung bei ihrer Entstehung. Dabei folgte man der Annahme, dass eine biologisch erklärbare Krankheit zu weniger Schuldzuweisungen und damit zu weniger Ablehnung führt. Die Studie belegt jedoch das Scheitern dieses Ansatzes. Eine einseitige biologische Darstellung der Erkrankung geht keineswegs mit einer geringeren Ablehnung der Betroffenen einher, sondern verstärkt die Ablehnung sogar noch. Während biologische Krankheitsvorstellungen in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich an Bekanntheit gewonnen haben, hat die Ablehnung der Betroffenen nicht ab-, sondern nachweislich zugenommen. Aufklärung alleine scheint die tief sitzenden Vorbehalte gegenüber psychisch Kranken nicht zu beeinflussen, möglicherweise werden vererbte Erkrankungen sogar als noch bedrohlicher und tiefgreifender angesehen.

Quelle: Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (idw)

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