Pharma: Werbung vs. Wahrheit
Archivmeldung vom 01.03.2011
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtAnzeigenfinanzierte Fortbildungszeitschriften für Ärzte neigen zu einer unkritischen Berichterstattung über neue, umstrittene Medikamente. Das haben Marburger Allgemeinmediziner und ihre Kollegen aus Göttingen, Hamburg und Toronto herausgefunden, indem sie Zeitschriften mit und ohne Werbung verglichen.
Bei einzelnen Gratismagazinen lässt sich sogar nachweisen, dass eine Empfehlungen im redaktionellen Teil mit dem Vorhandensein von Anzeigen im gleichen Heft korrelieren, schreibt die Forschergruppe um Professorin Dr. Annette Becker und Professor Dr. Norbert Donner-Banzhoff in der aktuellen Online-Ausgabe des kanadischen Fachblattes CMAJ, die am heutigen Montag erscheint.
„Unsere Studie zeigt, dass die Tendenz, die Verschreibung eines Medikaments zu empfehlen, von der Finanzierung der jeweiligen Zeitschrift abhängt“, schreiben die Autoren. Die medizinische Fortbildung niedergelassener Ärzte beruht im Wesentlichen auf zwei Arten von Zeitschriften, erläutern die Wissenschaftler: „glänzend aufgemachte, aber überwiegend durch Anzeigen finanzierte Zeitschriften, die gratis an Arztpraxen geschickt werden; und nüchterne, anzeigenfreie, die sich ausschließlich von ihren Abonnenten getragen werden“. Alle Zeitschriften sollen Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien in die Praxis transportieren. Sie tun dies aber auf sehr unterschiedliche Weise.
Die Wissenschaftler werteten 465 Ausgaben von elf viel gelesenen deutschen Weiterbildungsmagazinen aus. Sie identifizierten 638 Anzeigen für innovative Arzneimittel sowie 497 redaktionelle Beiträge, die eine Empfehlung für oder gegen diese Präparate aussprechen. Die Tendenz der Artikel wurde durch zwei Mitarbeiter systematisch eingeschätzt – das Ergebnis: Während werbefreie Magazine dazu neigen, von einer Verschreibung der genannten Medikamenten abzuraten, gilt für anzeigenabhängige Gratisjournale das Gegenteil. „Wir präsentierten unseren Testpersonen zwar alle Artikel in neutraler Aufmachung“, berichten die Autoren der aktuellen Studie, „aber mit zunehmender Erfahrung vermochten die Probanden den Zeitschriftentyp allein aufgrund des Schreibstils ohne weiteres zuzuordnen.“ Bei zwei der untersuchten Journale lässt sich sogar zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer therapeutischen Empfehlung mehr als verdoppelt, wenn eine Anzeige geschaltet wurde.
Die Befunde verdienen Beachtung vor dem Hintergrund einer früheren Studie zum Leseverhalten kanadischer Ärzte, von denen demnach mehr als die Hälfte ihre Informationen aus kostenlosen Magazinen beziehen. “Ärzte sollten sich über die Alternative im Klaren sein, entweder für Zeitschriften mit objektiver Berichterstattung zu bezahlen, oder auf die tendenziöse Berichterstattung in Gratis-Zeitschriften zu vertrauen“, resümieren die Autoren der aktuellen Untersuchung. In einem Kommentar warnt der Mediziner Dr. Aaron Kesselheim von der Harvard Medical School, Pharma-Werbung könne „zum unnötigen, überflüssigen Gebrauch von Arzneimitteln beitragen oder dazu führen, dass sie ohne ausreichenden Wirksamkeitsnachweis bei neuen Indikationen eingesetzt werden.“
Originalveröffentlichung: Canadian Medical Association Journal, Online-Ausgabe, 28. Februar 2011, doi: 10.1503/cmaj.100951
Quelle: Philipps-Universität Marburg