Patienten werden gezielt manipuliert - Pharmaindustrie unterwandert Selbsthilfe
Archivmeldung vom 29.11.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlProf. Dr. Gerd Glaeske und Dr. Kirsten Schubert vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen stellen am 29. November 2006 in der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) in Hannover einen Bericht zum Einfluss der Pharmaindustrie auf die Selbsthilfe vor. Die Studie wurde im Auftrag der SelbsthilfeFördergemeinschaft der Ersatzkassen erstellt.
"Die Arzneimittelkonzerne haben erkannt, dass die
Selbsthilfegruppen über einen großen Einfluss verfügen. Dort
empfohlene Medikamente werden auch verordnet und gekauft", erklärt
Schubert. Das nutzen die Konzerne für ihr Marketing aus. "Die
Informationen, die die Patienten über Selbsthilfegruppen bekommen,
sind längst nicht mehr frei von Wirtschaftsinteressen", so Schubert
weiter. Eklatant sei, dass sich viele Selbsthilfegruppen dieser
Einflussnahme nicht bewusst sind. Dies sei verhängnisvoll, da die
Selbsthilfe heute auch Mitspracherechte in professionellen Gremien
des Gesundheitswesens habe.
Prof. Glaeske: "Wichtig ist daher, dass auf allen Seiten Transparenz über die Herkunft der Informationen herrscht. Nur wenn erkennbar ist, wer hinter einer Botschaft steckt, können die Patienten gezielt nach anbieterunabhängigen Informationen Ausschau halten. Einzig dadurch können sie sich wirklich eine eigene Meinung bilden und effektiv an der Verbesserung ihrer Erkrankung mitwirken."
Die Einflussmöglichkeiten der Pharmaindustrie liegen in der
chronischen Finanznot der Selbsthilfe begründet. "Die Arbeit der
Selbsthilfegruppen und -organisationen wird immer professioneller -
das erfordert mehr Personal und kostet dadurch auch zunehmend mehr
Geld", sagt Karin Niederbühl vom Verband der
Angestellten-Krankenkassen (VdAK) und Arbeiter-Ersatzkassen-Verband
e.V. (AEV), die federführend die Erstellung des Berichts betreut hat.
Neben der Förderung durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV)
und die öffentliche Hand haben sich viele Selbsthilfegruppen deshalb
seit Jahren zunehmend Unterstützer aus der Wirtschaft erschlossen.
Bei einem Viertel der Selbsthilfegruppen liegt die Finanzierung über
Sponsoring bei knapp 20 Prozent*. Fünf Prozent der Gruppen und
Organisationen erhalten die Hälfte ihres Budgets aus
Sponsoringmitteln*. Rund 30 Prozent des Umsatzes eines Medikamentes
werden von den Pharmafirmen in das Marketing gesteckt. "Das ist etwa
doppelt so viel, wie in die Forschung fließt", erklärt Ingo
Kailuweit, Vorstandsvorsitzender der KKH.
Der Bericht belegt, dass es innerhalb der Selbsthilfegruppen ein
Hierarchiegefälle im Hinblick auf das Wissen um die Einflussnahme
gibt. "Je höher die Funktion innerhalb der Selbsthilfe, desto eher
ist die Tatsache bekannt, dass die Industrie über die Patienten
direkt Einfluss auf die Verordnungen nimmt", stellt Schubert fest.
Viele Mitglieder von Selbsthilfegruppen sind sich der Beeinflussung
zu wenig bewusst.
Um die derzeitigen Strukturen zu überwinden, müsste zuallererst ein unabhängiges Kontroll- und Beratungsinstrumentarium installiert werden. "Dies könnte beispielsweise in Form einer Monitoringstelle bzw. Task-Force geschehen", schlägt Glaeske vor. Die ausreichende Förderung durch alle Sozialversicherungsträger und die öffentliche Verwaltung wäre laut Glaeske grundsätzliche Voraussetzung, um die finanzielle Unabhängigkeit der Selbsthilfe zu stärken. Neben der Basisfinanzierung durch Staat und Sozialversicherung muss es laut Glaeske verbindliche Regeln für ein "Good Sponsoring Practice (GSP)" geben.
"Wir sind froh, dass wir im Zeitalter des `aufgeklärten Patienten`
leben. Dieser Fortschritt darf nicht durch den Einfluss von
Wirtschaftsinteressen gefährdet werden", betont Karin Niederbühl. Und
Kailuweit ergänzt: "Selbsthilfegruppen sind in unserem
Gesundheitssystem ein wesentlicher Bestandteil. Deshalb ist es gut
und richtig, dass der Gesetzgeber mit der Gesundheitsreform auch die
Förderung der Selbsthilfe deutlich stärkt."
Quelle: Pressemitteilung KKH - Die Kaufmännische