"Patienten regelmäßig falsch behandelt"
Archivmeldung vom 14.05.2007
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Freigeschaltet durch Jens BrehlInternationale Studien zeigen, dass 30 bis 40 Prozent der Patienten nicht die Versorgung erhalten, die der wissenschaftlichen Evidenz entspricht und rund ein Viertel der Patienten eine Therapie erhalten, die nicht erforderlich oder potenziell sogar schädlich ist.
"Hier sind die Ärzte aufgerufen, neben ihrer wertvollen Berufserfahrung in zunehmendem Maße auch die Ergebnisse der systematischen Evidenz-Forschung zur Richtschnur ihres Handelns zu machen." Mit dieser Forderung benennt Prof. Dr. Edmund Neugebauer einen Schwerpunkt für seine Tätigkeit als neuer Vorsitzender des Deutschen Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin (DNEbM). Neugebauer, der an der Universität Witten/Herdecke lehrt und forscht, wurde auf der jüngsten Jahrestagung des DNEbM, die er als Tagungspräsident geleitet hat, in sein Amt gewählt. Das Netzwerk, dem Mediziner und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen angehören, hat es sich zur Aufgabe gemacht, weiterführende Konzepte und Methoden der evidenzbasierten Medizin, welche bisher vorrangig im angloamerikanischen Raum entwickelt wurden, auch in Deutschland weiterzuentwickeln und zu verbreiten.
Unter evidenzbasierter, also
beweisgestützter Medizin versteht man die Form der Heilkunde, die ihre
Entscheidungen bezüglich der optimalen Patientenbehandlung auf wissenschaftliche
Erkenntnisse stützt. Was oft für selbstverständlich gehalten wird, nämlich die
ärztliche Entscheidung aufgrund neuster medizinischer Forschungsergebnisse,
passiert tatsächlich weit seltener als erhofft. Besonders wichtig wären in
diesem Zusammenhang Kenntnisse aus klinischen Studien, die oft viel zu spät in
die Behandlung von Patienten einfließen. "Evidenzbasierte Medizin bedeutet für
uns aber auch, dass die letztendliche Therapieentscheidung zwischen dem Arzt und
dem Patienten partnerschaftlich getroffen wird", betont der neue
DNEbM-Vorsitzende und Wittener Professor, Edmund Neugebauer. "Ein Patient ist
kein Befehlsempfänger. Wir wollen, dass er zum gleichberechtigten Partner des
Arztes wird." Deshalb seien die Wertevorstellungen und Präferenzen des Patienten
bei der Behandlung unbedingt zu berücksichtigen.
"Wir hören dem Patienten häufig gar nicht richtig zu", räumt Neugebauer selbstkritisch ein und appelliert an ein Umdenken in der Ärzteschaft. Mindestens ebenso wichtig seien jedoch verständliche und transparente Informationen für die Patienten. Zur evidenzbasierten Medizin gehört, Vor- und Nachteile medizinischer Verfahren unvoreingenommen zu recherchieren und die Öffentlichkeit objektiv über diese Ergebnisse zu informieren. Die Betroffenen sollen so in die Lage versetzt werden, die Chancen und Risiken von Behandlungen besser einzuschätzen, um eine individuelle Abwägung treffen zu können.
So publiziert das Evidenz-Netzwerk neben ihrem Informationsangebot für Ärzte auch öffentliche Stellungnahmen zu aktuellen Gesundheitsthemen - etwa zur Krebsfrüherkennung, bei der laut Studien der vermeintliche Nutzen für die Patienten oft gering ist und der mögliche Schaden nicht unterschätzt werden sollte. Beispielsweise erspart die Teilnahme am Früherkennungsprogramm für Brustkrebs innerhalb von 10 Jahren etwa einer von 1.000 Teilnehmerinnen den Tod an Brustkrebs. Mit einem Verdachtsbefund müssen innerhalb von 10 Jahren jedoch 200 Frauen rechnen. Dieser Verdachtsbefund erfordert eine weitergehende Abklärung bis hin zu operativen Eingriffen, die ihrerseits zu Belastungen und Schäden führen können. Besonders schwerwiegend ist, dass durch Früherkennung auch Tumore entdeckt werden, die zwar bösartig erscheinen, im weiteren Leben aber nie auffällig geworden wären.
Zusätzlich zu seinen eigenen Stellungnahmen verweist das DNEbM auf
seinen Internetseiten auf weitere verlässliche und unabhängige
Informationsmöglichkeiten für Patienten - beispielsweise publiziert von der
Bundesärztekammer und von Universitäten wie Hamburg und Witten/Herdecke. "All
diese Angebote müssen ausgebaut und vor allem auch besser sichtbar gemacht
werden", sagt Netzwerk-Chef Neugebauer.
Über seine Tätigkeit als Vorsitzender hinaus leitet Prof. Neugebauer den Fachbereich für operative Fächer des Deutschen Netzwerkwerks Evidenzbasierte Medizin. An der Universität Witten/Herdecke (UWH) ist er Forschungsdekan, Inhaber des Lehrstuhls für Chirurgische Forschung und Direktor des Instituts für Forschung in der Operativen Medizin auf dem UWH-Campus Köln-Merheim. Die nächste Jahrestagung des Deutschen Netzwerkes wird im März 2008 an der UWH in Witten unter Einbeziehung der Pflegeforschung stattfinden. An der Universität Witten/Herdecke ist das Institut für Pflegewissenschaft Teil der medizinischen Fakultät.
Quelle: Pressemitteilung Private Universität Witten/Herdecke gGmbH