Wenn die Angst nicht abklingen will
Archivmeldung vom 07.07.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWissenschaftler der Universitäten Bonn und Berlin haben einen Mechanismus entdeckt, der nach einem Stressereignis das Vergessen der Furcht unterbindet. Sie zeigten in Experimenten, dass das Abklingen der Angst unterbleibt, wenn zu wenig Dynorphine im Gehirn ausgeschüttet werden. Die Ergebnisse können helfen, neue Wege in der Behandlung von Traumapatienten aufzuzeigen. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe des Journal of Neuroscience veröffentlicht.
Angstgefühle verhindern sehr wirksam, sich in zu große Gefahr zu begeben. Wer etwas Schlimmes erlebt hat, meidet meist aus Furcht zunächst einmal den Ort des Schreckens. Wenn es nicht erneut zu beklemmenden Situationen kommt, klingen normalerweise die Angstsymptome allmählich wieder ab. „Die Erinnerung an die schlimmen Ereignisse wird dann nicht einfach gelöscht“, sagt Erstautor Privatdozent Dr. Andras Bilkei Gorzo vom Institut für Molekulare Psychiatrie der Universität Bonn. „Die Betroffenen erkennen vielmehr durch einen aktiven Lernprozess, dass sie keine Angst mehr haben müssen, weil die Gefahr vorüber ist.“ Nach extremem psychischen Stress durch Krieg, Geiselnahme, Unfälle oder Katastrophen können sich jedoch chronische Angststörungen ausprägen, die sich selbst nach Monaten nicht abschwächen.
Körpereigene Dynorphine schwächen Ängste ab
Was führt dazu, dass sich bei manchen Menschen schlimme Ereignisse so tief ins Gedächtnis einprägen, während andere nach einiger Zeit ihre damit verbundenen Ängste komplett ablegen? Wissenschaftler der Psychiatrie, der Molekularen Psychiatrie und der Radiologie der Universität Bonn gingen dieser Frage nun gemeinsam auf den Grund. „Wir konnten mit einer Reihe von Experimenten zeigen, dass Dynorphine eine wichtige Funktion bei der Abschwächung von Ängsten erfüllen“, sagt Prof. Dr. Andreas Zimmer, Direktor des Instituts für Molekulare Psychiatrie der Universität Bonn. Bei der Substanzgruppe handelt es sich um Opioide, zu denen etwa auch die Endorphine gehören. Letztere werden etwa bei Sportlern vom Körper ausgeschüttet und haben eine schmerzstillende und euphorisierende Wirkung. Umgekehrt verhalten sich dagegen die Dynorphine: Von ihnen ist bekannt, dass sie emotionale Stimmungen eher dämpfen.
Mäuse mit ausgeschaltetem Gen zeigen anhaltende Angst
Den exakten Einfluss der Dynorphine auf das Gehirn testete das Team um Prof. Zimmer an Mäusen, bei denen das Gen für die Bildung dieser Substanzen ausgeschaltet war. Die Tiere zeigten nach einem unangenehmen, kurzen Elektroschock anhaltende Angstsymptome, selbst wenn sie längere Zeit nicht mit dem negativen Reiz konfrontiert waren. Mäuse mit normaler Dynorphin-Ausschüttung waren zwar auch zunächst ängstlich, bei ihnen klangen die Symptome jedoch rasch ab. „Dieses Verhalten entspricht dem des Menschen: Wenn man sich die Hand an der Herdplatte einmal verbrannt hat, vergisst man es nicht mehr so schnell“, erläutert Prof. Zimmer. „Vokabellernen ist dagegen meist viel langwieriger, weil es nicht mit Emotionen verknüpft ist.“
Ergebnisse sind auf den Menschen übertragbar
Anschließend zeigten die Forscher, dass sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen. „Wir nutzten, dass es natürliche Varianten des Dynorphin-Gens gibt, die zu einer unterschiedlich starken Ausschüttung dieser Substanzen im Gehirn führen“, berichtet Prof. Dr. Dr. Henrik Walter, Direktor des Forschungsbereichs Mind and Brain an der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité in Berlin, der hierzu zuvor auch am Uniklinikum Bonn forschte. Die insgesamt 33 gesunden Testpersonen wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine mit der genetisch bedingten stärkeren Dynorphin-Ausschüttung und eine weitere mit geringerer Gen-Aktivität.
Unangenehmer Reiz führt bei den Probanden zu Stressreaktionen
Die Probanden beobachteten in einem Magnetresonanztomographen (MRT) mit einer Bildschirmbrille blaue und grüne Quadrate, die auftauchten und wieder verschwanden. Wenn das grüne Quadrat sichtbar war, versetzten die Wissenschaftler den Testpersonen mit einem Laser regelmäßig einen unangenehmen Reiz an der Hand. Dass diese negative Stimulanz tatsächlich zu einer Stressreaktion führte, wiesen sie anhand vermehrten Schweißflusses auf der Haut nach. Gleichzeitig zeichneten die Forscher mit dem Tomographen die Aktivität verschiedener Hirnareale auf. Nach dieser Konditionierungsphase folgte der zweite Teil des Experiments: Die Forscher präsentierten die farbigen Quadrate ohne unangenehmen Stimulus und zeichneten auf, wie lange die zuvor erlernte Stressreaktion anhielt. Am nächsten Tag wurde das Experiment ohne Laser-Reiz fortgeführt, um die längerfristige Entwicklung zu verfolgen.
Neue Wege in der Behandlung von Traumapatienten
Es zeigte sich, dass analog zu den Mäusen bei den Testpersonen mit der geringeren Genaktivität für Dynorphin die Stressreaktion deutlich länger anhielt als bei den Probanden mit der deutlich größeren Ausschüttung. In den Hirnscans war darüber hinaus zu beobachten, dass die Amygdala – eine Hirnstruktur im Schläfenlappen zur Verarbeitung emotionaler Inhalte – auch dann aktiv war, wenn in späteren Durchgängen ein grünes Quadrat ohne nachfolgenden Laserreiz präsentiert wurde. „Nachdem der negative Laserstimulus unterblieb, wurde diese Amygdala-Aktivität nach und nach schwächer. Das heißt die erlernte Angstreaktion auf den Stimulus wurde vergessen“, berichtet Prof. Walter. Dieser Effekt war bei der Gruppe mit der geringeren Dynorphin-Aktivität und den anhaltenden Ängsten weniger ausgeprägt. „Doch das `Vergessen´ von erlernten Angstreaktionen ist kein Verblassen, sondern ein aktiver Prozess, an dem der ventromediale präfrontale Kortex beteiligt ist“, betont Prof. Walter. Dazu passend fanden die Forscher bei der Gruppe mit der geringen Dynorphinaktivität eine verminderte Kopplung von präfrontalem Kortex und Amygdala. „Vermutlich beeinflussen Dynorphine das Angstvergessen entscheidend über diese Struktur“, sagt Prof. Walter. Die Wissenschaftler hoffen nun, aus den Ergebnissen langfristig Ansätze für neue Wege in der Behandlung von Traumapatienten entwickeln zu können.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (idw)