Hat Zähneknirschen in der Pandemie zugenommen und was kann man hier tun?
Archivmeldung vom 15.02.2022
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Freigeschaltet durch Anja SchmittStress schlägt auf die Kiefer und führt oft zu Zähneknirschen beziehungsweise Bruxismus, wie es in der Fachsprache heißt. Studien kamen zu dem Ergebnis, dass die Pandemie das Stresslevel erhöht hat. Die Folge: Menschen knirschen mehr mit den Zähnen. Aber ist das wirklich so und was lässt sich dagegen tun? SNA hat einen Experten gefragt.
Joachim Hüttmann ist Zahnmediziner und Pressebeauftragter des Fachverbands Deutscher Zahnärzte. Im Interview mit SNA erklärt er, ob die Gleichung „globaler Corona-Stress = globaler Knirscheranstieg“ ausreichend belegt ist und wie Knirscher die Gewohnheit ablegen können.
Herr Hüttmann, Medien berichten, dass immer mehr Menschen seit dem Anfang der Pandemie mit den Zähnen knirschen. Was sagen Sie zur Studienlage? Können auch deutsche Zahnärzte eine solche Zunahme bestätigen?
Das ist schwer zu beurteilen. Die Behandlung mit Aufbiss-Schienen haben generell zugenommen. Die Abrechnungszahlen bei den gesetzlichen Krankenkassen zeigen, dass im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr die Fallzahlen zurückgegangen sind, aber die Behandlung mit Aufbiss-Schienen zugenommen hat. Aber daraus zu schließen, dass das auf die Pandemie zurückzuführen ist, hielte ich trotzdem für gewagt. Es gibt ein paar Studien – es sind immer die gleichen, die zitiert werden – die aufgrund von Befragungen davon ausgehen, dass insgesamt die Stressbelastung der Bevölkerung zugenommen hat. Da ist es zu erwarten, dass es auch zu Beschwerden kommt und diese Patienten mit Beschwerden beim Zahnarzt landen und mit Schienen therapiert werden. Aber eine sichere Studienlage dazu gibt es, glaube ich, nicht.
Sie haben gesagt, dass die Hauptursache für Zähneknirschen, in der Fachsprache Bruxismus, der Stress ist. Welche Ursachen gibt es noch?
Es kann anlagebedingt sein. Es kann auch durch Alkohol oder durch Drogenkonsum ausgelöst werden. Aber die Hauptursache ist psychischer Stress. Früher ist man auch davon ausgegangen, dass auch Fehlstellungen von Zähnen zum Zähneknirschen führen. Aber das ist weitgehend widerlegt, schiefstehende Zähne sind kein Auslöser für Bruxismus.
Seit wann wird die Zunahme von solchen Knirscher- oder Aufbiss-Schienen beobachtet?
Der Trend besteht schon lange. Anhand der Abrechnungszahlen lässt sich eine – zwar nicht starke – Zunahme erkennen. Mir ist aufgefallen, dass besonders im Jahr 2020, die Fallzahlen bei der Behandlung von gesetzlich Versicherten coronabedingt um etwa sechs Prozent zurückgegangen sind, aber die Abrechnung von Aufbiss-Schienen trotzdem weiter leicht zugenommen hat.
Was heißt, dass die Fallzahlen abnehmen?
Das bezieht sich generell auf Fallzahlen, also jetzt nicht auf Bruxismus-Fälle, sondern die Anzahl zahnärztlicher Behandlungen insgesamt hat abgenommen bei der Abrechnung von Leistungen gegenüber gesetzlich Versicherten von 2019 auf 2020.
Heißt es vereinfacht gesprochen, dass jetzt weniger Leute zahnärztliche Leistungen in Anspruch genommen haben?
Genau. Im Jahr 2020 gab es einen deutlichen Knick. Zu Beginn der Pandemie gab es ja sehr viel Zurückhaltung bei Patienten. Es gab Angst, es sind auch teilweise Praxen geschlossen worden. Besonders im zweiten Quartal des letzten Jahres gab es einen deutlichen Knick in der Behandlungsstatistik.
Nun gibt es Zähneknirschen und es nimmt auch grundsätzlich zu, so stellt sich die Frage: Was kann man dagegen tun? Welche Behandlungsmethoden gibt es?
Die Wirkung einer Aufbiss-Schiene besteht hauptsächlich darin, dass sie – ich sage es immer etwas flapsig – den Menschen den Spaß am Knirschen verdirbt. Das Kau-Organ ist das Ziel-Organ zum Abbau von Stress. Nicht umsonst sagt man ja im Deutschen: Man muss sich durchbeißen. Oder wenn jemand sich besonders anstrengen soll, wird aufgefordert: Beiß die Zähne zusammen. Das ist physiologisch normal. Wer kleine Kinder hat, der weiß, dass diese manchmal erschreckend laut im Schlaf knirschen. Das ist aber durchaus physiologisch. Und wenn es kein Dauerzustand ist und nicht zu bleibenden Schäden führt, sollte man da auch nichts unternehmen.
Und wenn man ständig mit den Zähnen knirscht?
Wenn sich das verselbständigt, arbeitet man sich in die Zähne richtige Schliffspuren hinein, die dann zu einer Art Sucht führen. Man knirscht sich die Zähne platt, um es mal platt auszudrücken und diese Schliff-Flächen sind unphysiologisch. Normalerweise berühren sich die Zähne immer nur punktförmig. Und wenn man sich Flächen in die Zähne reingearbeitet hat, dann führt das zu einem Nerven-Erregungspotential, was eine richtige Sucht auslösen kann. Man sucht dann die Schliff-Flächen immer wieder auf und reibt mit großer Kraft darauf. Und das kann bleibende Schäden an den Zähnen hervorrufen durch starke Abnutzung. Noch stärker wird sie durch Energy Drinks, die junge Leute häufig zu sich nehmen.
Macht dieses ständige Knirschen auch etwas mit der Kaumuskulatur?
Es gibt auch eine Wirkung auf die Muskeln, Gelenke und Bänder, die stark überlastet werden. Es kommt zum starken Muskelanbau. Menschen, die knirschen sieht man das häufig schon an. Die haben sehr stark ausgeprägte Unterkieferwinkel. Das führt sogar dazu, dass durch den starken Zug Knochen angebaut werden am Kieferwinkel. Und das kann bei dauerhafter Überlastung auch bleibende Schäden im Kiefergelenk hervorrufen. Wenn man morgens mit zusammengepressten Zähnen aufwacht oder Schmerzen vor oder im Ohr hat, sollte man was tun. Oder wenn die Kiefer verspannt sind und man morgens kaum den Mund aufkriegt, um das Brötchen in den Mund zu schieben.
Was ist dagegen zu tun?
Dann sollte man tatsächlich zum Zahnarzt gehen und sich eine Aufbiss-Schiene machen lassen, die das zunächst unterbricht. Diese Einlage, die man auf die Zähne macht, die sogenannte Knirscher-Schiene, hebt den Biss etwas an, vermeidet oder verhindert zum großen Teil die direkte Schädigung der Zähne und unterbricht auch den Teufelskreis zwischen Pressen, Knirschen und Schliff-Facetten machen und noch mehr Pressen. Aber auf lange Sicht sollte man von der Schiene wieder wegkommen und sie nicht als Dauereinrichtung tragen.
Gibt es andere Methoden gegen Zähneknirschen, damit der Schlaf wieder ruhig wird?
Wenn man durch das Knirschen zum Beispiel verkürzte Muskeln hat, helfen gezielte Übungen, um die Muskeln wieder zu dehnen. Es gibt auch gezielte Physiotherapie für die Kaumuskulatur. Und man sollte Stress abbauen: Toller Stressabbau ist zum Beispiel Sport treiben. So werden die aufgestauten Aggressionen woanders abgelassen und man kann sich nachts wieder entspannen. Psychotraining, wenn man so will. Es gibt ja auch verschiedene Techniken, um „runterzukommen“ – sehr gut eignen sich dafür Spaziergänge. Ganz einfach gesagt: Stressabbau ist auch ein Teil der Therapie gegen den Bruxismus.
So viel erstmal zu Bruxismus. Was ist aus zahnärztlicher Sicht das größte Problem, das auf die Pandemie zurückzuführen ist?
Ängstliche Menschen vermeiden den Zahnarztbesuch. Da haben wir Zahnärzte von Anfang an versucht, dagegen zu argumentieren. Viele ängstliche Menschen, ältere Menschen, teilweise pflegebedürftige Menschen haben die Befürchtung gehabt, dass sie in der Zahnarztpraxis ein hohes Risiko hätten, sich zu infizieren. So sind sie nicht zum Zahnarzt gegangen, weil sie gedacht haben: Es ist ja eh nix, ich gehe ja nur zur Kontrolle.
Und was ist jetzt mit diesen Menschen?
Jetzt kommen immer wieder Patienten, die lange nicht da waren. Wir stellen dann fest, dass da Handlungsbedarf aufgeschoben worden ist oder dass bestimmte Dinge sich verschlimmert haben, weil man den halbjährlichen Zahnarztbesuch über längere Zeit – manchmal ein Jahr oder anderthalb Jahre – aufgeschoben hat. Das hat tatsächlich Konsequenzen. Dabei ist das Risiko, sich in einer Zahnarztpraxis zu infizieren, extrem gering.
Also wenn man Omikron gegen den Zahnarztbesuch auf die Waage legt, wofür sollte man sich entscheiden?
Auf alle Fälle für den Zahnart-Termin. Bloß nicht aus Angst vor Infektion mit dem Coronavirus oder Omikron wegbleiben, denn in der Zahnarztpraxis sind fast alle inzwischen mehrfach geimpft. Es ist ja auch das Infektionsschutzgesetz dahingehend geändert worden, dass auch in Zahnarztpraxen alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geimpft sein müssen. Zusätzlich ist es so, dass alle Mitarbeiter in den Praxen einschließlich des Inhabers sich auch regelmäßig zusätzlich selbstständig testen müssen, mindestens zweimal die Woche in jeder Praxis. Und sollten Mitarbeiter in der Praxis sein, die nicht geimpft sind oder wenn der Impfschutz noch nicht komplett ist, werden diese sogar täglich getestet. Da wird schon sehr aufgepasst, dass da nichts passiert. Und es gibt auch nachweislich so gut wie keine Infektionen in Zahnarztpraxen, das zeigt die bei der zuständigen Berufsgenossenschaft gemeldete Zahl von Fällen."
Das Interview mit Dr. Joachim Hüttmann zum Nachhören:
Quelle: SNA News (Deutschland)