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Psychiatrie: Zwang ist gesetzeswidrig

Archivmeldung vom 30.11.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.11.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Handschellen und Zwangsjacke tragen nicht zur Heilung bei. Bild: pixelio.de/Hofschläger
Handschellen und Zwangsjacke tragen nicht zur Heilung bei. Bild: pixelio.de/Hofschläger

Die Anwendung von Zwang in der Einweisung oder Behandlung psychisch Kranker dürfte es laut geltendem Gesetz gar nicht mehr geben. Das betont Ruth Fricke vom Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (BPE e.V.) im pressetext-Interview, anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Berlin.

Zwangsanwendung würde die Genesung psychisch Kranker verzögern, ebenso wie ihre starke Behaftung mit Vorurteilen, zu der die Medien und die fehlende Vergangenheitsbewältigung wesentlich beitragen würden.

"Zwangsmaßnahmen sorgen dafür, dass psychische Leiden chronisch werden", so Fricke. Menschen, die sich etwa infolge von Mobbing oder einer Scheidung in einem psychischen Ausnahmezustand wie in einer Depression oder Psychose befinden, suchen mitunter freiwillig in psychiatrischen Kliniken um Hilfe. "Man verabreicht Patienten Medikamente, die sie vielleicht nicht wollen, und behandelt sie im Falle einer Verweigerung als uneinsichtig. Infolge wird ein Richter gerufen, der Zwangsmaßnahmen wie etwa das Anbinden ans Bett anordnet." Das vertiefe die bestehende Verletzung anstatt zu heilen und mache ein Vertrauensverhältnis zu Ärzten schwer, was auch durch die Abholung von Zuhause per Polizei oder Feuerwehr der Fall sei.

Gesetz unter Psychiatern kaum bekannt

Wenngleich diese Vorgangsweise in vielen psychiatrischen Anstalten zum Alltag gehört, widerspricht sie dem aktuell gültigen Recht. "Seit März dieses Jahres ist in Deutschland die Behindertenkonvention der UNO in Kraft, die Zwangseinweisungen und -behandlungen verbietet", so Fricke. Das Erstaunen der am Kongress anwesenden Psychiater über diese Feststellung habe gezeigt, dass dieses Wissen noch nicht einmal in der Medizin angelangt ist. "Patienten wissen dies erst recht nicht, zudem haben sie kaum Kraft und Mittel, um den Klageweg zu beschreiten."

Dass es Alternativen gibt, zeige das Beispiel der Westfälischen Klinik Gütersloh. Durch die Errichtung einer Wohnküche, eines Ruhe- und Schutzraums sowie eines Bezugspersonensystems wurde mit gleichem Geld und Personeneinsatz eine Psychiatrie der offenen Tür verwirklicht. "Die Patienten fühlen sich wohl und kommen freiwillig. Das senkt Zwangseinweisungen und andere Extremzustände, wodurch das Personal mehr Zeit für die Patienten hat." Wenig sinnvoll seien übertriebene Maßnahmen der Qualitätssicherung in den Kliniken. "Zwar ist es notwendig, Zwangsmaßnahmen zu dokumentieren, so lange es sie noch gibt. Qualität kann jedoch nur gesteigert werden, wenn so viel Zeit wie möglich beim Patienten verbracht wird."

Medien schüren Vorurteile

Zusätzlich zum Zwang trägt auch die gesellschaftliche Ausgrenzung dazu bei, dass das Leiden von Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung chronisch wird. "Das Stigma ist die schlimmste Barriere, der psychisch Kranke derzeit ausgesetzt sind", so Fricke. Eine der Ursachen für dessen Fortbestehen sei die fehlende Aufarbeitung der Praktiken des NS-Regimes, das psychisch Kranke massenweise ermordete und an ihnen Tötungsformen für die späteren Konzentrationslagern erprobte. "Wäre das im Bewusstsein der Leute, würden sie vorsichtiger mit psychisch Kranken umgehen", so Fricke.

Weiter würden auch die Medien Mitschuld tragen, dass beim Begriff "Psychiatrie" in vielen Köpfen Bilder von Massenmördern und Kinderschändern spuken. "Nach einem tragischen Ereignis wie einem Amoklauf liest man meist, der Täter sei in die Psychiatrie eingewiesen worden. Richtig wäre vielmehr, dass die Einlieferung in eine forensische Klinik oder Maßregelungsanstalt erfolgte, was Knast mit Therapie bedeutet."

Frühpension mit 35 Jahren

Die Folgen der auf diese Weise verstärkten Vorurteile sind einerseits erhebliche Standortprobleme für psychiatrische Kliniken. Andererseits seien die meisten ehemaligen Psychiatrie-Patienten Mobbing und Schwierigkeiten am primären Arbeitsmarkt ausgesetzt, die bis hin zur Frührente mit 35 Jahren trotz Vollbesitz kognitiver Fähigkeiten reichen können. Oft würden Krankheiten wie Depressionen oder Psychose zudem mit geistiger Behinderung gleichgesetzt. "Es wäre wichtig, für diese Gruppe Mobbing-freie Arbeitsplätze zu finden. Das ist jedoch angesichts der Ellenbogen-Mentalität, die durch die Krise nur noch zugenommen hat, sehr schwierig", so Fricke.

Quelle: pressetext.deutschland (Johannes Pernsteiner)

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