Mediensucht und exzessive Mediennutzung im Spannungsfeld von gesundem Aufwachsen und medialer Teilhabe von Kindern
Archivmeldung vom 06.05.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićEin Großteil der Bevölkerung in Deutschland fordert umfangreiche Maßnahmen, um Mediensucht und zu viel Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen in der Freizeit entgegenzuwirken. So halten es sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene nach einer repräsentativen Umfrage für den Kinderreport 2021 des Deutschen Kinderhilfswerkes für sinnvoll, deshalb das Thema Mediensucht an Schulen zu behandeln.
Eine große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen und auch der Erwachsenen plädiert zudem dafür, dass Medien, die süchtig machen können, entsprechend gekennzeichnet werden sollten. Auch müssten Eltern stärker über das Thema Mediensucht informiert und Therapie- sowie Beratungsangebote ausgebaut werden.
Fast alle befragten Kinder und Jugendlichen sowie Erwachsenen sehen Familien und Eltern in der Verantwortung, um Mediensucht entgegenzuwirken. Eine sehr große Mehrheit sieht hier auch die Nutzerinnen und Nutzer selbst verantwortlich, ebenso die entsprechenden Medienanbieter, wie z.B. Facebook, Instagram oder Onlinespiele-Anbieter. Das sind die zentralen Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Politikforschungsinstituts Kantar Public im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes für den Kinderreport 2021, den der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, Thomas Krüger, und die Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium Juliane Seifert heute in Berlin vorstellten.
"So wie die Mediennutzungszeiten von Kindern und Jugendlichen steigen, nehmen auch die Debattenbeiträge und Warnungen vor Mediensucht bei Kindern zu. Statt Panikmache ist Kindern und Jugendlichen aber mehr durch eine kinderrechtlich ausgewogene Debatte darüber geholfen, wann eine Mediennutzung nicht mehr als gesund gelten kann und welche Hilfestellungen für junge Menschen und Familien notwendig sind. Die Ergebnisse des Kinderreports 2021 zeigen sehr deutlich, dass professionelle Beratung und Hilfe zum Thema Mediensucht dringend benötigt werden. Dafür ist ein bundesweit flächendeckendes Netz an Einrichtungen unabdingbar, die Präventionsarbeit leisten und Fälle pathologischer Mediennutzung in professionelle Therapien vermitteln können. Damit es aber gar nicht erst zum Therapiebedarf kommt, sollte in der Schule allen Kindern der Umgang mit Medien vermittelt werden. Aus kinderrechtlicher Sicht müssen dabei Chancen und Risiken der Mediennutzung gleichberechtigt thematisiert werden. Damit dies gelingt, brauchen wir Lehrkräfte, die selbst fit im Umgang mit Medien sind, und Schulen, die über funktionierende und leistungsfähige Ausstattungen verfügen und ihren Lehrkräften Weiterbildungen ermöglichen", betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.
Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium Juliane Seifert: "Es kann nicht allein Aufgabe der Eltern sein, ihre Kinder vor exzessiver Mediennutzung zu schützen. Anbietern kommt hier eine besondere Verantwortung zu. Mit dem neuen Jugendschutzgesetz sind sie erstmals zu wirksamen Vorsorgemaßnahmen verpflichtet. Konkret können das beispielsweise Altersbeschränkungen bei Angeboten mit Suchtrisiken, der Verzicht auf Lootboxen oder technische Voreinstellungen für begrenzte Nutzungszeiten sein. Die neue Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz wird dazu gemeinsam mit der Wissenschaft, Fachstellen und Unternehmen neue verbindliche Standards entwickeln und Orientierung ermöglichen. Mit den neuen Regelungen sorgen wir sowohl für Teilhabe von Kindern und Jugendlichen am digitalen Zeitalter als auch für ihr gesundes Aufwachsen mit modernen Medien."
Ausgewählte Ergebnisse der repräsentativen Umfrage für den Kinderreport 2021 im Einzelnen
Verständnis von Mediensucht
Für 88 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen besteht eine sogenannte Mediensucht, wenn die betroffene Person nicht mit der Mediennutzung aufhören kann, obwohl sie das gerne möchte, und für 86 Prozent auch dann, wenn andere Lebensbereiche, wie z.B. Arbeit oder Schule, wegen der Mediennutzung vernachlässigt werden. Als problematisch sieht es eine sehr große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen (83 Prozent) zudem an, wenn Freunde und Familie wegen der Mediennutzung vernachlässigt werden oder sich die betroffene Person von ihnen zurückzieht. Für 81 Prozent besteht eine sogenannte Mediensucht, wenn die betroffene Person sich unwohl fühlt, nervös oder unzufrieden ist, sollte die gewohnte Mediennutzung nicht möglich sein, und für 70 Prozent, wenn die betroffene Person wegen ihrer Mediennutzung wiederholt Konflikte und Stress mit Freunden, Eltern und Bekannten hat. Und nach Meinung von knapp zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen (64 Prozent) besteht eine sogenannte Mediensucht, wenn die betroffene Person ein bestimmtes Medium in ihrer Freizeit eine sehr lange Zeit bzw. mehrere Stunden am Tag nutzt.
Wenn die betroffene Person nicht mit der Mediennutzung aufhören kann, obwohl sie das gerne möchte, konstatieren 92 Prozent der Erwachsenen eine sogenannte Mediensucht, und 91 Prozent dann, wenn andere Lebensbereiche, wie z.B. Arbeit oder Schule, wegen der Mediennutzung vernachlässigt werden. Als problematisch sieht es eine sehr große Mehrheit der Erwachsenen (89 Prozent) zudem an, wenn Freunde und Familie wegen der Mediennutzung vernachlässigt werden oder sich die betroffene Person von ihnen zurückzieht. Für 76 Prozent besteht eine sogenannte Mediensucht, wenn die betroffene Person gestresst oder unzufrieden ist, wenn die gewohnte Mediennutzung nicht möglich ist, und für 72 Prozent, wenn die betroffene Person wegen ihrer Mediennutzung wiederholt Konflikte und Stress mit Freunden, Eltern und Bekannten hat. Und nach Meinung von 57 Prozent der Erwachsenen besteht eine sogenannte Mediensucht, wenn die betroffene Person ein bestimmtes Medium in ihrer Freizeit eine sehr lange Zeit bzw. mehrere Stunden am Tag nutzt.
Erfahrungen mit Mediensucht im persönlichen Umfeld
Insgesamt 12 Prozent der Kinder und Jugendlichen geben an, dass sie bei sich selbst bereits Erfahrungen mit Mediensucht gemacht haben. Die Frage, ob es im Freundes- oder Familienkreis bei Kindern unter 14 Jahren Erfahrung mit Mediensucht gibt oder gab, bejahen 15 Prozent, weitere 14 Prozent geben an, dies bei Jugendlichen ab 14 Jahren festgestellt zu haben.
Bei den erwachsenen Befragten sind es insgesamt 6 Prozent, die bei sich selbst bereits Erfahrungen mit Mediensucht festgestellt haben. Die Frage, ob es im persönlichen Umfeld bei Kindern unter 14 Jahren Erfahrung mit Mediensucht gibt oder gab, bejahen 10 Prozent, weitere 15 Prozent geben an, dies bei Jugendlichen ab 14 Jahren festgestellt zu haben.
Maßnahmen zur Eindämmung von Mediensucht und zu viel Mediennutzung in der Freizeit
90 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen halten es für sinnvoll, das Thema Mediensucht an Schulen zu behandeln, um Mediensucht und zu viel Mediennutzung in der Freizeit entgegenzuwirken. Zudem sprechen sich 84 Prozent dafür aus, dass Medien, die süchtig machen können, entsprechend gekennzeichnet werden sollten. Eine sehr große Mehrheit plädiert auch dafür, dass Eltern stärker über das Thema Mediensucht informiert werden sollten, um Mediensucht und zu viel Mediennutzung in der Freizeit entgegenzuwirken. Insgesamt 83 Prozent sehen das so. Außerdem sind die Kinder und Jugendlichen mit sehr großer Mehrheit (78 Prozent) dafür, dass es für Medien, die süchtig machen können, Altersgrenzen geben sollte. Große Zustimmung findet auch der Vorschlag, Medien, die süchtig machen können, dahingehend zu beschränken, wie lange am Stück sie genutzt werden können. 77 Prozent unterstützen eine solche Maßnahme. Für mehr kostenfreie Beratungs- und Behandlungsangebote zum Thema Mediensucht plädieren ebenfalls 77 Prozent der Kinder und Jugendlichen. Keine Mehrheiten finden zwei mögliche Maßnahmen, um Mediensucht und zu viel Mediennutzung in der Freizeit entgegenzuwirken. So lehnen die meisten die Forderung nach einem Verbot von Medien, die süchtig machen können, ab. Lediglich 38 Prozent sehen darin eine sinnvolle Maßnahme. Die zweite Maßnahme, die keine Mehrheit bei den Kindern und Jugendlichen findet, ist ein Verbot der Handynutzung für Jugendliche unter 14 Jahren. Eine solche Maßnahme befürworten nur 17 Prozent.
Auch die befragten Erwachsenen halten es für sinnvoll (insgesamt 95 Prozent), das Thema Mediensucht an Schulen zu behandeln, um Mediensucht und zu viel Mediennutzung in der Freizeit entgegenzuwirken. Eine sehr große Mehrheit plädiert auch dafür, dass Eltern stärker über das Thema Mediensucht informiert werden sollten, um Mediensucht und zu viel Mediennutzung in der Freizeit entgegenzuwirken. Insgesamt 91 Prozent sehen das so. 82 Prozent spricht sich für mehr kostenfreie Beratungs- und Behandlungsangebote zum Thema Mediensucht aus. Eine Kennzeichnungspflicht von Medien, die süchtig machen können, befürworten auch sehr viele Erwachsene. Insgesamt 74 Prozent sehen das als sinnvolle Maßnahme an. Außerdem sind die Erwachsenen mit großer Mehrheit (72 Prozent) dafür, dass es für Medien, die süchtig machen können, Altersgrenzen geben sollte. 60 Prozent unterstützenden Vorschlag, Medien, die süchtig machen können, dahingehend zu beschränken, wie lange am Stück sie genutzt werden können. Ein Verbot von Medien, die süchtig machen können, lehnen die Erwachsenen mehrheitlich ab. Nur 27 Prozent sehen darin eine sinnvolle Maßnahme. Ein Verbot der Handynutzung für Jugendliche unter 14 Jahren lehnen die Erwachsenen ebenfalls ab. Lediglich 20 Prozent befürworten eine solche Maßnahme, um Mediensucht und zu viel Mediennutzung in der Freizeit entgegenzuwirken.
Verantwortlichkeiten bei der Bekämpfung von Mediensucht
94 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen sehen Familien und Eltern bei der Frage, wer sich vor allem darum kümmern sollte, Mediensucht entgegenzuwirken, in der Verantwortung, eine sehr große Mehrheit (90 Prozent) auch die Nutzerinnen und Nutzer selbst. 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen sehen die entsprechenden Medienanbieter, wie z.B. Facebook, Instagram oder Onlinespiele-Anbieter in der Pflicht, Mediensucht entgegenzuwirken. 74 Prozent der Kinder und Jugendlichen meinen, dass auch die Schulen in der Verantwortung stehen, eine Mehrheit (62 Prozent) sieht das auch für Jugend- und Freizeiteinrichtungen so. 61 Prozent der Kinder und Jugendlichen schreiben auch der Politik Verantwortung zu, Mediensucht entgegenzuwirken. 44 Prozent sehen diese bei medizinischen Einrichtungen sowie Ärztinnen und Ärzten.
93 Prozent der befragten Erwachsenen sehen Familien und Eltern bei der Frage, wer sich vor allem darum kümmern sollte, Mediensucht entgegenzuwirken, in der Verantwortung, eine sehr große Mehrheit (90 Prozent) auch die Nutzerinnen und Nutzer selbst. 81 Prozent der Erwachsenen sehen die entsprechenden Medienanbieter, wie z.B. Facebook, Instagram oder Onlinespiele-Anbieter in der Pflicht, Mediensucht entgegenzuwirken. 79 Prozent der Erwachsenen meinen, dass auch die Schulen in der Verantwortung stehen, eine Mehrheit (73 Prozent) sieht das auch für Jugend- und Freizeiteinrichtungen. 66 Prozent der Erwachsenen sehen auch eine Verantwortung der Politik, Mediensucht entgegenzuwirken. 43 Prozent sehen diese bei medizinischen Einrichtungen sowie Ärztinnen und Ärzten.
Für den Kinderreport 2021 des Deutschen Kinderhilfswerkes führte das Politikforschungsinstitut Kantar Public zwei Umfragen, eine unter Kindern und Jugendlichen (10- bis 17-Jährige) und eine unter Erwachsenen (ab 18-Jährige), in Deutschland durch. Befragt wurden insgesamt 1.692 Personen, davon 669 Kinder und Jugendliche sowie 1.023 Erwachsene. Die Befragungen wurden online unter Nutzung eines Access-Panels (Kinder und Jugendliche) sowie mittels computergestützter Telefoninterviews (Erwachsene) durchgeführt. Die Fragen wurden Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen gleichermaßen gestellt, allerdings wurde den Kindern und Jugendlichen ein Fragebogen mit Formulierungen vorgelegt, die der Altersgruppe angepasst worden waren. Die Fehlertoleranz der Umfrage bei den Kindern und Jugendlichen liegt mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit bei unter 1,7 (bei einem Anteilswert von 5 Prozent) bzw. 4,0 Prozentpunkten (bei einem Anteilswert von 50 Prozent), die bei den Erwachsenen bei unter 1,4 (bei einem Anteilswert von 5 Prozent) bzw. 3,1 Prozentpunkten (bei einem Anteilswert von 50 Prozent).
Quelle: Deutsches Kinderhilfswerk e.V. (ots)