Wenn man die Ohren hören kann
Archivmeldung vom 22.07.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas Ohr kann pfeifen, klingeln, piepen oder dröhnen - bei manchen Menschen, die an Tinnitus leiden, können Umstehende diese Geräusche sogar hören. Die Ursachen des Ohrenklingelns sind noch weitgehend unbekannt. Versuche an der Taufliege Drosophila könnten nun ein wenig Licht ins Ohrinnere auch des Menschen bringen. Seit einiger Zeit analysiert Privatdozent Dr. Martin Göpfert an der Universität Köln die genauen Abläufe der Reizverstärkung im Insektenohr.
Dr. Göpfert leitet eine 2003 von der VolkswagenStiftung eingerichtete
Nachwuchsgruppe. Bei der Fruchtfliege - die sich als Modellsystem besonders gut
eignet - fand das Team um Göpfert jüngst Gene, die die Verstärkung im Ohr
regulieren - und im Normalfall störende Ohrgeräusche verhindern. Die Ergebnisse
sind in der Online-Fassung der Zeitschrift Nature Neuroscience am 2. Juli
veröffentlicht worden, zu finden unter http://www.nature.com/neuro/journal/vaop/ncurrent/abs/nn1735.html.
Ohren
sind faszinierende Sinnesorgane, die nicht nur Schall empfangen und verstärken
können, sondern gelegentlich auch selber Schall produzieren. Diese spontanen
otoakustischen Emissionen sind manchmal so laut, dass sie von außen wahrgenommen
werden können - man spricht von "objektivem Tinnitus". Eine mögliche Ursache
dieser Form von Tinnitus beruht auf dem Verstärkungsmechanismus, der im
Ohrinnern die Empfindlichkeit erhöht: Die Sinneszellen im Ohr erzeugen
Bewegungen, die die durch Schall ausgelösten Schwingungen verstärken. Wird diese
Verstärkung zu groß, kommt es zu Rückkopplungsschwingungen und damit zur
Produktion von Schall.
Bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster
haben Göpfert und sein Team nun einen Ionenkanal identifiziert, der diese
Rückkopplungsschwingungen verhindert. Der Kanal wird von zwei Untereinheiten,
Nan und Iav, gebildet. Sind die betreffenden Gene, nan und iav, defekt, so wird
die Verstärkung im Ohr zu groß - das Ohr beginnt zu pfeifen. nan und iav sind
damit die ersten identifizierten Gene, die einen "Tinnitus" verhindern helfen
bzw. Ohrgeräusche auslösen, sobald sie in ihrer Funktion ausfallen. Das Pfeifen,
das bei einem Defekt des Nan-Iav-Kanals auftritt, stört die Fliegen allerdings
nicht - sie sind ohnehin taub. Der Kanal reguliert offensichtlich nicht nur die
Verstärkung im Ohr, sondern auch die Weiterleitung elektrischer Signale.
Doch was hat nun das Ohrensausen der Fruchtfliege mit den quälenden
Ohrgeräuschen beim Menschen zu tun? Interessanterweise gibt es nahe Verwandte
des Nan-Iav-Kanals auch in unserem Ohr. Und auch Verwandte eines weiteren Kanals
der Fruchtfliege wurde ebenfalls beim Menschen gefunden: Bei der Fliege ist der
Ionenkanal NompC Bestandteil der Verstärkungsmaschinerie und fungiert eventuell
als der Kanal, der Schwingungen im Ohr in elektrische Signale umwandelt. Welche
Kanäle bei uns an der Schallverstärkung und seiner Regulation im Innenohr
mitwirken, ist noch nicht bekannt. Die Befunde an den Fliegen lassen aber
vermuten, dass es in unserem Ohr vergleichbare Mechanismen der
Verstärkungskontrolle gibt. Die gute Zugänglichkeit der Hörorgane bei der
Taufliege ermöglicht es, die genetischen Zusammenhänge von Hörschädigungen
weiter zu erforschen.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.