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"Störfeuer" aus dem Gehirn lässt die Patienten zittern

Archivmeldung vom 12.07.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.07.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Typisches Symptom der Parkinson-Erkrankung ist das Zittern der Patienten. Einer Gruppe von Wissenschaftlern, darunter Professor Peter Tass vom Forschungszentrum Jülich, ist nun ein wesentlicher Schritt gelungen, den Mechanismus offenzulegen, der hinter diesem so genannten Tremor steckt: Nervenzellverbände in der Tiefe des Gehirns treiben selbst den Tremor an.

Die Entdeckung bestätigt Tass' Forschungsarbeit für eine Therapie von Parkinson. Ein neuer Hirnschrittmacher soll die Zellen nachhaltig aus dem krankhaften Gleichtakt bringen. Der heutige Beitrag in der renommierten Fachzeitschrift "Europhysics Letters" beweist, dass die Wissenschaftler aus dem Forschungszentrum Jülich, einem Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, auf dem richtigen Weg sind. Ihr neuer Hirnschrittmacher soll 2009 erstmals in großem Rahmen Parkinson-Patienten helfen. Bei Menschen, die an Parkinson leiden, ist die Kommunikation zwischen Netzwerken von Nervenzellen gestört. Diese "feuern" ihre Reize im gleichen Takt und verursachen damit das typische Zittern. Die Frequenz, die dabei gemessen wird, liegt bei 5 Hertz (Hz), also fünf Schwingungen pro Sekunde. In Deutschland gibt es offiziell etwa 150 000 Parkinson-Patienten; Schätzungen gehen aber von bis zu 450 000 Betroffenen aus.

Bisher nahmen Forscher an, dass der 5-Hz-Rhythmus in der Tiefe des Gehirns das Ergebnis von Nervensignalen ist, die von den Muskeln in den Gliedmaßen des Körpers zurück an das Gehirn gesandt werden. Die wissenschaftliche Bezeichnung für diese Rückmeldung lautet "propriozeptives Feedback". Das "Störfeuer", so die bisherige mehrheitliche Meinung, werde aber nicht vom Gehirn ausgesandt. Grund für diese Annahme war, dass die gemessene Frequenz des "propriozeptiven Feedbacks" und die in einem bestimmten Kernbereich des Gehirns im Thalamus und den Basalganglien nicht ganz synchron waren.

Mit einer Kombination mehrerer moderner Analyseverfahren gelang dem Team jetzt der Nachweis, dass nicht nur die Nervensignale von den Muskeln als Rückmeldung den krankhaften 5 Hz-Rhythmus im Gehirn antreiben. Für die Messungen pflanzten Neurochirurgen in Köln unter Leitung von Prof. Volker Sturm Patienten Elektroden ein, und Wissenschaftler im russischen Saratov berechneten zusammen mit den Jülicher Wissenschaftlern die gewonnenen Daten neu. "Auch Signale im Frequenzbereich von 5 Hz aus dem Kernbereich des Gehirns treiben den Tremor an", erläutert Peter Tass. "Der Unterschied: Die Rückmeldung von den Gliedmaßen ist eine schnelle und einfache Reizweiterleitung. Die Signale aus Thalamus und Basalganglien werden jedoch in bestimmte schleifenförmig angeordnete Nervenbahnen des Gehirns und des Rückenmarks geleitet. Damit ist die Dynamik komplizierter und der Laufweg länger."

Der Jülicher Mediziner, Mathematiker und Physiker sieht mit den neuen Erkennt¬nissen die theoretischen Grundlagen "seines" Hirnschrittmachers bestätigt. Das Gerät wirkt auf die gestörten Nervenzellen im Kerngebiet des Gehirns und löst sie nachhaltig aus dem Zwang, im gleichen Takt zu "feuern". Tass' Neuentwicklung stört das zwanghafte Bestreben nach Gleichschritt mit sehr milden, gezielten und zeitlich versetzten Reizen an verschiedenen Stellen. Dadurch gerät der Takt ins "Stolpern" und zerbricht. Im Unterschied zu den herkömmlichen Geräten dieser Art arbeitet der Jülicher Hirnschrittmacher deutlich schonender und braucht weniger Energie. Zudem wird das Nervengewebe so stimuliert, dass die Nervenzellen ihre krankhaft starken synaptischen Vernetzungen und damit ihr Bestreben, krankhafte Rhythmen auszubilden, verlernen können.

Der Schrittmacher besteht aus Elektroden, die gezielt an den fehlregulierenden Stellen im Gehirn platziert werden. Der so genannte Stimulator versorgt die Elektroden mit Energie und gibt ihnen Signale, die Nervenzellen im Hirn zu reizen. Unterhalb des Schlüsselbeins wird er unter der Haut eingepflanzt. Dünne Drähte verbinden ihn ebenfalls unter der Haut mit den Elektroden.

Peter Tass leitet die Arbeitsgruppe "Neuromodulation" am Institut für Neurowissenschaften und Biophysik - Bereich Medizin des Forschungszentrums Jülich. Zusammen mit Volker Sturm von der Universität Köln erhielt er 2005 den Schrödinger-Preis. Im folgenden Jahr waren beide für den Zukunftspreis des Bundespräsidenten nominiert.

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.


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