Wie lange lebt man ohne Kopf?
Archivmeldung vom 15.02.2014
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie sowjetische Wissenschaft hatte immer einen guten Stand aufzuweisen, schreibt Aljona Rakitina aus der online Redaktion von Radio "Stimme Russlands". Jedoch denken dabei nur Wenige daran, dass wissenschaftliche Entdeckungen oft mit markerschütternden und unmenschlichen Experimenten einhergingen.
Aljona Rakitina weiter: "Auf diesem Gebiet tat sich besonders der sowjetische Physiologe Sergej Brjuchonenko hervor. Brjachonenko schuf die weltweit erste Herz-Lungen-Maschine, die später verschiedene schwierigste OPs ermöglichte. Doch das alles hätte es nicht gegeben, wenn der Wissenschaftler Anfang des 20. Jahrhunderts nicht eine Reihe von Experimenten durchgeführt hätte, an die man kaum ohne Schaudern denken kann.
1928 machte Brjachonenko seinen ersten legendären Versuch, bei dem er einen amputierten Hundekopf am Leben hielt. 1940 erschien in der UdSSR ein Dokumentarfilm unter dem Titel „Experimente zur Wiederbelebung des Körpers“, in dem gezeigt wurde, wie die Wissenschaftler mittels einer Herz-Lungen-Anlage nicht nur das Leben, sondern auch das Bewusstsein in einem abgeschnittenen Hundekopf mehrere Stunden lang erhielten.
So etwas kann man nur schwer über sich bringen, besonders wenn man sieht, dass das Tier bei vollem Bewusstsein ist, obwohl es nur noch seinen Kopf übrig hat. Der Hund oder das, was von ihm übrig blieb, reagiert auf dem Video auf äußere Reize wie etwa Licht mit Augenschließen, dreht beim Klopfen die Ohren um und schüttelt das im Zitronensäure betupfte Stäbchen von seiner Schnauze weg.
Hier fragt sich: Wenn der Hund alles sieht und fühlt, so wird er wohl auch den schrecklichen Schmerz nach dem Abschneiden seines ganzen Körpers empfinden? Medizin ging schon immer Seite an Seite mit Sadismus. Im Grunde sind sie untrennbar, wie Leben und Tod. Nur die Mediziner sehen es offenbar anders. Sergej Brjuchonenko schrieb über sein Experiment Folgendes:
„Aktive Bewegungen folgten dem Reizen der Nase durch eine Sonde, die in ein Nasenloch hineingeführt wurde. Dieser Reiz rief bei dem Hund eine derart energische und lange Reaktion hervor, dass sogar eine Blutung ab der Abschnittstelle entstand und die Rohre fast abgerissen wurden, die an Gefäßen klemmten. Den Kopf musste man auf dem Teller mit den Händen halten. Es entstand der Eindruck, dass er die eingeführte Sonde loszuwerden versuchte. Der Kopf öffnete mehrmals den Mund, als würde er gleich bellen oder heulen.“
In der Regel konnte der abgeschnittene Hundekopf drei bis vier Stunden leben, vielleicht auch mehr, wenn Schmerzmittel verabreicht würden. Derartige Experimente gab es sonst wenig. Brjuchonenkos Nachfolger, Experimentwissenschaftler und Begründer der Transplantationslehre Wladimir Demichow, verpflanzte Welpenköpfe an erwachsene Hundekörper. Das Ergebnis waren zweiköpfige lebende Mutanten, bei deren Anblick einem die Haare zu Berge stehen. Physiologin Anna Semenjuk erzählt:
„Brjuchonenkos Versuche mit dem amputierten Kopf waren eine Unterrichtshilfe für angehende Ärzte, die den Körperbau der Säugetiere offenlegten und bewiesen, dass das Hirn fähig ist, das Leben und selbst die Gedankenaktivität erhalten kann, auch wenn es vom Körper getrennt ist. Es war ein richtiger Durchbruch in der Medizin, denn es wurde auf dem Versuchswege bewiesen, dass eine „Wiedererstehung“ des Körpers nach dem Tod möglich ist.
Das war der Anfang der Transplantationsära, es wurden Operationen am offenen Herz und die Schaffung von künstlichen Organen möglich. Brjuchonenkos Experimente an Tieren sollten nicht als unmenschliche Foltern unserer kleineren Brüder betrachtet werden. Zwar sind sie tatsächlich ziemlich radikal, dafür konnten dank ihnen hunderttausende Menschenleben gerettet werden.“
Es scheint heute sinnlos darüber zu diskutieren, inwieweit derartige Experimente human waren. Sie waren gewiss nicht sinnlos und dienten einer guten Sache. Die Wissenschaftler handelten eben nach dem Machiavelli-Prinzip „das Ziel rechtfertigt die Mittel“ und wollten das Leben kommender Generationen besser machen. Wenn auch zu einem so hohen Preis."
Quelle: Text: Aljona Rakitina - „Stimme Russlands"