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Risikowahrnehmung: Sozialer Austausch kann subjektive Ängste verstärken

Archivmeldung vom 21.04.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.04.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Bild: günther gumhold / pixelio.de
Bild: günther gumhold / pixelio.de

Stille-Post-Experiment untersucht, wie Menschen Gefahren einer Alltags-Chemikalie wahrnehmen und kommunizieren: Zwar lauern Risiken überall, doch stimmen unsere subjektiven Ängste oftmals nicht mit den objektiven Gefahren überein. Neue Erkenntnisse von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Universität Konstanz zeigen, dass sich subjektive Ängste vor möglichen Gefahren im sozialen Austausch verstärken können. Die Studie dazu wurde jetzt in der Fachzeitschrift “Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA“ (PNAS) veröffentlicht.

Gefahrenmeldungen wie zu Ebola oder Masern verbreiten sich in unserer Informationsgesellschaft rasend schnell – ob über klassische und soziale Medien oder den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch. Häufig sind Gefahrenmeldungen nicht rein nüchtern und sachlich formuliert, sondern durch die subjektive Wahrnehmung des Risikos eingefärbt. Was passiert mit der Gefahrenmeldung, wenn darüber gesprochen wird? Welche Informationen werden wie weitergegeben, und welchen Einfluss hat das darauf, als wie gefährlich die Situation letztendlich eingeschätzt wird?

Um diese Fragen zu beantworten, testeten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Universität Konstanz Kommunikationsketten von jeweils zehn Personen im Labor. Nach dem Prinzip des Kinderspiels „Stille Post“ wurde untersucht, wie Risiko-Informationen von Proband zu Proband weitergegeben werden und welche Bedeutung das für die Risikowahrnehmung hat. Die Ergebnisse zeigen, dass nicht nur Informationen in der Kommunikationskette verloren gehen oder verfälscht werden, sondern auch neue dazukommen. „Die Aussagen der Probanden wurden immer knapper, ungenauer und zunehmend unterschiedlicher“, sagt der Leiter der Studie, Mehdi Moussaïd, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB) arbeitet.

Im Laborexperiment erhielt der erste Proband einer Kommunikationskette vielfältige Informationen über das Gefahrenpotenzial der Chemikalie „Triclosan“, die in vielen Alltagsprodukten wie Zahnpasta oder Kosmetika enthalten ist. Die Informationen enthielten insgesamt sechs reale Artikel, die die Bandbreite an kontroversen Meinungen abbildeten – von sachlich-wissenschaftlichen Abwägungen des Gefahrenpotenzials bis hin zu sehr persönlichen Einschätzungen. Im Anschluss daran sollte der erste Proband die Information mündlich an einen zweiten weitergeben, welcher die Information wiederum an einen dritten weitergab, und so weiter. Am Ende füllten alle Probanden Fragebögen zu dem von ihnen wahrgenommenen Gefahrenpotenzial von „Triclosan“ aus.

Mit Blick auf die Einschätzung und Weitergabe des Risikos zeigte sich, dass eigene Vorurteile in die Informationsweitergabe mit einflossen und somit wiederum die Wahrnehmung der jeweiligen Adressaten beeinflussten. Auf diese Weise verbreitete sich zunehmend die subjektive Sichtweise der Kommunizierenden. „Man neigt dazu, sich das aus der Nachricht herauszugreifen, was zur bereits bestehenden Meinung passt, und gibt hauptsächlich das an die nächste Person weiter“, sagt Henry Brighton, Ko-Autor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut. Das könne dazu führen, dass sich Vorurteile hochschaukeln, während die ursprüngliche Nachricht letztlich kaum noch eine Rolle spielt und die potenzielle Gefahr alarmistisch als immer gefährlicher weitergegeben und wahrgenommen wird.

Die Ergebnisse der Studie geben Einblicke in die gesellschaftlichen Reaktionen auf Risiken und das Entstehen von oftmals unangemessenen Ängsten. Die Wissenschaftler betonen, wie wichtig es aus gesellschaftlich-politischer Sicht sei, dass mögliche Gefahren realistisch eingeschätzt werden. Um einer sozialen Verstärkung wahrgenommener Ängste entgegenzuwirken, fordern sie eine offene, transparente Kommunikation der wissenschaftlich gesicherten Fakten. „Und dies ohne Panikmache, aber auch ohne trügerische Beruhigung oder illusorische Gewissheit“, sagt Ko-Autor Wolfgang Gaissmaier, Professor für Sozialpsychologie & Entscheidungsforschung an der Universität Konstanz.

Quelle: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (idw)

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