Grüne gegen Impfpflicht bei Masern
Archivmeldung vom 20.07.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Grünen sind entschieden dagegen, auf die immer noch zu niedrige Impfquote gegen Masern mit gesetzlichem Zwang zu reagieren. "Wer mit dem Ruf nach Impfpflicht in die Mottenkiste paternalistischer Medizin greift, stärkt nur die Impfgegner", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Birgitt Bender, der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (F.A.S.). Notwendig seien vielmehr Gespräche mit den Eltern, denen der Nutzen einer Masernimpfung erklärt werden müsse und die Risiken nicht verschwiegen werden dürften. Nur dann könnten sie gut informiert eine Entscheidung treffen, sagte die Grünen-Politikerin.
Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag Elke Ferner zeigte sich kritisch gegenüber einer Impfpflicht, will sie aber nicht in jedem Fall ausschließen. "Ich halte es für problematisch, gleich mit der Keule der Impfpflicht zu drohen", sagte sie der F.A.S. Mit einer breit angelegten Präventionsstrategie käme man weiter, sagte die SPD-Gesundheitspolitikerin. Sie ergänzte: "Eine Impfpflicht würde ich nur als Ultima ratio nicht ausschließen."
Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), hält es auch für besser, die erforderliche Impfquote bei den Masern über Prävention und Aufklärung zu erreichen. Doch sagte er der F.A.S.: "Grundsätzlich halte ich eine Impfpflicht als letztes Mittel für einen gangbaren Weg." Das sehe er genau wie Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Dieser hatte eine Impfpflicht in jüngster Zeit als letzte Möglichkeit ebenfalls ins Gespräch gebracht.
Bahr will Impfpflicht vermeiden
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) schließt eine Impfpflicht gegen Masern zwar nicht aus, will jedoch alles tun, um sie zu vermeiden. In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" nennt Bahr eine Reihe von Maßnahmen, die die Impfquote bei Masern verbessern sollen, ohne dass die Impfung verpflichtend wird. Neben mehr Geld für Aufklärung soll der Impfstatus von Kindern künftig früher abgefragt werden. Bahr sagte: "Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir mit den genannten Maßnahmen an einer Impfpflicht vorbeikommen."
Der Minister fügte hinzu: "Aber wenn es in den nächsten Jahren nicht gelingt, die Masern in Deutschland auszurotten, wird an der Debatte über eine Impfpflicht kein Weg vorbei führen." Er warnte jedoch vor den Folgen: "Mir ist klar, dass das schwierige rechtliche Fragen aufwirft, unter anderem die der Sanktionen: Was mache ich mit denjenigen, die sich weigern, sich oder ihre Kinder impfen zu lassen?"
Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet nach Auskunft des Ministers an einer Regelung, künftig schon bei der Aufnahme von Kindern in Kita oder Kindergarten abzufragen, wie der Impfstatus sei. Bisher geschieht das erst vor der Einschulung. "Das macht es leichter, Eltern daran zu erinnern, ihre Kinder rechtzeitig impfen zu lassen", sagte Bahr. Außerdem ist geplant, ungeimpfte Kinder vom Schulbesuch auszuschließen, falls ein Fall von Masern auftritt. Nach den Vorstellungen des Gesundheitsministers würden diese Kinder so lange von der Schulpflicht entbunden.
Bahr warnte vor den Gefahren der Masern. Die Krankheit könne einen tödlichen Verlauf nehmen. Der Minister sagte: "Ich finde es verantwortungslos, seine Kinder nicht impfen zu lassen." Dadurch könnten Menschen angesteckt werden, die eine Impfung nicht vertragen. "Deren Leben wird damit gefährdet", sagte der Gesundheitsminister der Zeitung.
Bahr will Impfpflicht vermeiden
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) und sein bayerischer Kollege Marcel Huber (CSU) wollen die zu geringe Impfquote bei Masern durch den öffentlichen Gesundheitsdienst verbessern: Bahr forderte im Nachrichtenmagazin "Focus" die Länder auf, das "aufsuchende Impfen" zu verstärken. Der öffentliche Gesundheitsdienst müsse "in die Lage kommen, Impflücken ausfindig zu machen und Impfangebote zu unterbreiten". Vereinbarungen mit den Krankenkassen hätten aber "nur rund die Hälfte der Bundesländer" abgeschlossen, rügte der Minister. Der Gesetzgeber erwarte aber "eine Zusammenarbeit von Ländern und Krankenkassen".
Bayerns Gesundheitsminister Huber sagte "Focus", der Freistaat, der zu den Ländern mit der geringsten Impfbereitschaft zählt, wolle Impfungen in den Gesundheitsämtern ermöglichen. Bayern werde in den nächsten drei Jahren 450.000 Euro "für eine Impfstoffoffensive in den öffentlichen Gesundheitsdienst investieren". Eine mögliche Zielgruppe derartiger Angebote benannte der Würzburger Forscher Benedikt Weißbrich. Er hatte in einer Studie einen auffallend hohen Anteil von Kindern aus Einwanderer-Familien unter den Opfern schwerster Masern-Komplikationen entdeckt. "Bei Migrantenkindern handelt es sich um eine Gruppe, die teilweise zu wenig Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen hat", so Weißbrich dem Magazin.
Drei Viertel der Deutschen (76 Prozent) plädieren unterdessen dafür, dass nur gegen Kinderkrankheiten wie Masern geimpfte Kinder Schulen oder Kitas besuchen dürfen. In einer Emnid-Umfrage für "Focus" lehnten 21 Prozent der Befragten eine solche Impfpflicht ab. Das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid befragte am 17. und 18. Juli 1.003 repräsentativ ausgewählte Personen.
Montgomery fordert Impfpflicht
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat sich vor dem Hintergrund der jüngsten Masernfälle in Deutschland für einen staatlichen Zwang zum Impfen ausgesprochen. "Aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht ist eine Impfpflicht das einzig Sinnvolle", sagte Montgomery der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.). Bei Masern handele es sich um eine hoch ansteckende Erkrankung mit hohem Gefahrenpotential für die nicht geimpfte Bevölkerung. Allerdings sagte Montgomery, eine Impfpflicht sei in Deutschland "gesellschaftspolitisch" schwer durchsetzbar. Der Präsident der Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Wolfram Hartmann, forderte in der F.A.S., Kinder, die staatliche Betreuungseinrichtungen besuchten, sollten grundsätzlich vollständigen Impfschutz vorweisen können.
Quelle: dts Nachrichtenagentur