Besser schlafen ohne Soziale Medien
Archivmeldung vom 10.07.2018
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtWie reagieren Jugendliche auf die Trennung von Sozialen Medien? Haben sie Entzugserscheinungen oder vermissen sie gar nichts? Dieser Frage gingen Bildungsforscher der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) in einer sehr besonderen Umgebung nach: dem „Klassenzimmer unter Segeln“. Sechs Monate lang waren ausgewählte Schülerinnen und Schüler der 10. Jahrgangsstufe mit dem Dreimaster „Thor Heyerdahl“ unterwegs. Ganz ohne WLAN, dafür unter Beobachtung von Prof. Dr. Thomas Eberle und Dr. Zinaida Adelhardt vom Institut für Erziehungswissenschaften der FAU.
Ob YouTube, Facebook, Instagram, WhatsApp oder Twitter– soziale Medien spielen im Alltag von Jugendlichen eine enorm große Rolle. Laut aktuellen Zahlen zur Mediennutzung (Quelle: www.jugendfernsehen.de) besitzen 97% aller Jugendlichen in Deutschland ein Smartphone, und ebenso viel Prozent der Jugendlichen nutzen täglich das Internet – egal über welchen Zugang. Das wichtigste Motiv für die Nutzung ist mit 82% „Spaß“, dicht gefolgt von „nützlich für den Alltag“ mit 80%, „Denkanstöße bekommen“ und „Information“ mit jeweils 79% und „mitreden können“ mit 78%.
Klassenzimmer unter Segeln
Was passiert mit Jugendlichen, wenn sie keinen Zugang zum Internet haben und drei Wochen lang komplett auf Soziale Medien verzichten müssen? Das untersuchten Bildungsforscher bei der Jubiläums-Fahrt der „Thor Heyerdahl“ im Dienste des FAU-Projekts. Das „Klassenzimmer unter Segeln“ (KUS) ist ein eigener Forschungsbereich des Instituts für Erziehungswissenschaft und feierte in diesem Jahr seinen ersten runden Geburtstag. Seit zehn Jahren tauschen 34 Schülerinnen und Schüler für sechs Monate ihr Klassenzimmer gegen ein traditionelles Segelschiff ein und erforschen im Unterricht hautnah fremde Länder und unbekannte Kulturen. Verzichten müssen sie dafür auf so manchen Komfort, zum Beispiel auf WLAN.
Wie es ihnen damit geht, berichteten 34 KUS-Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 und 15 Jahren – und ihre Eltern – in einer Reihe von Erhebungen der empirischen Bildungsforschung. Sie füllten vor, während und nach der Reise standardisierte Fragebögen aus und nahmen an (halb)strukturierten Interviews teil. Darüber hinaus schrieben die Teenager kurze Essays über ihre offline-Erfahrungen. „Die Ergebnisse sind ungewöhnlich und hoch interessant“, freut sich Gesamtprojektleiter Prof. Dr. Thomas Eberle. „Bisherige Studien untersuchten nur sehr kurze offline-Zeiten von ein paar Stunden oder einem Tag. In unserem Projekt dagegen hatten wir Offline-Zeiten von bis zu drei Wochen.“
Sehr unterschiedliche Reaktionen
Die Jugendlichen auf der „Thor Heyerdahl“ reagierten sehr unterschiedlich auf die dreiwöchige offline-Phase. Einige Schülerinnen und Schüler berichteten, dass sie ruhiger schliefen und sich über mehr Lebensqualität freuten. „Sie sprachen sogar von einer großen Entlastung, weil sie nicht ständig online sein müssen“, sagt die Leiterin des wissenschaftlichen Projektes „Medienentzug“ Dr. Zinaida Adelhardt.
Andere Jugendliche fieberten den seltenen Landgängen entgegen, um sich an Land ins WLAN einzuloggen und über soziale Medien zu kommunizieren. Bei ihnen spielte einerseits die „fear of missing out“ (fomo) – also die Angst vor dem Verpassen – eine große Rolle. Andererseits übten auch die Erwartungen von Eltern, Geschwistern und Freunden zu Hause einen Druck auf die befragten Schülerinnen und Schüler aus. „Sie hatten das Gefühl, dass sie sich immer so bald wie möglich melden müssen“, erläutern die Wissenschaftler.
Und die dritte und letzte Gruppe war schon vor dem Törn sehr wenig im Internet aktiv und blieb erwartungsgemäß auch weiterhin skeptisch-kritisch gegenüber sozialen Medien.
Drei Wochen ändern die Einstellungen gegenüber Sozialen Medien
Auch andere Jugendliche, die vor dem Törn eine positive Einstellung zu Sozialen Medien hatten, wurden während des Törns zunehmend kritisch. „Innerhalb von nur drei Wochen nach Medienisolation nahmen die negativen Einstellungen gegenüber Sozialen Medien bei den Schülerinnen und Schülern signifikant zu“, fassen Prof. Dr. Thomas Eberle und Dr. Zinaida Adelhardt zusammen. „Die positiven Einstellungen nahmen dagegen deutlich ab.“ Wie diese Einstellungsänderungen das Verhalten der Jugendlichen und deren Nutzung der Sozialen Medien langfristig beeinflussen werden, wird sich im Laufe der nächsten Untersuchungen zeigen, die bis zu einem halben Jahr nach Ende der Reise stattfinden werden.
Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (idw)