Elektronische Patientenakte auch im 2. Anlauf durchgefallen: Angst vor Datenmissbrauch und Datendiebstahl überwiegt
Archivmeldung vom 22.04.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićAn der von Dezember 2020 bis März 2021 dauernden zweiten DPNW-Umfrage beteiligten sich 642 Teilnehmer. Es zeigt sich, die elektronische Patientenakte fällt auch im zweiten Anlauf bei den Versicherten durch. 86 Prozent lehnen eine zentrale Datenspeicherung ab.
Bei der ersten Umfrage vor einem Jahr waren es 89 %. "Damit bestätigt sich der Trend der ersten Umfrage", sagt Diplom-Psychologe Dr. Uwe Kleinemas, Evaluationsforscher an der Universität Bonn und wissenschaftlicher Begleiter der Umfrage.
Die neue Umfrage, die diesmal in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn durchgeführt wurde, belegt, dass
- das Misstrauen gegenüber der Speicherung außerhalb der Praxis überwiegt
- die Befragten keinen Nutzen in der elektronischen Patientenakte sehen
- Patienten und Behandler sich entmündigt fühlen
Keine unkontrollierte Kommunikation zwischen Ärzten - keine Dateneinsicht "für alle"
83 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass sie ihren Ärzten und Psychotherapeuten bei einer elektronischen Speicherung ihrer Daten weniger anvertrauen würden als bisher. Auch der "freie" Austausch vertraulicher Daten ohne Zustimmung der Patienten zwischen Behandlern wird von 75 % der Befragten abgelehnt. Besorgt zeigte sich die Mehrzahl der Befragten bei der Frage, ob Betriebsärzte Einblick in die ePA haben sollten. 84 Prozent lehnen dies ab und sagen damit klipp und klar "Nein".
Elektronische Patientenakte ist Verschwendung von Versichertengeldern - Speichern der Daten in der Arztpraxis vollkommen ausreichend
Ebenso vernichtend fällt die Frage nach dem Sinn der bisherigen Aufwendung für das Projekt ePA aus. 75 % sagen klar: "Verschwendung". 85 % der Befragten finden die bisherige Speicherung der Krankendaten in den Arztpraxen als ausreichend.
Klares Votum gegen die Gesundheitscloud
90 % der Befragten haben Angst vor Datenmissbrauch, 86 % lehnen die zentrale Speicherung in der Gesundheitscloud ab.
Keine Forschung ohne Zustimmung der Betroffenen
84 % der Befragten lehnen die Nutzung ihrer Daten zu Forschungszwecken ab. Sie wollen vorher gefragt werden.
Gesundheitscloud gefährdet das Vertrauensverhältnis und die Arbeitsgrundlage zu allen Behandlern
"Das ist ein gravierender Schaden, der nur schwer wieder gutzumachen ist," so das Fazit des Diplom-Psychologen Dr. Uwe Kleinemas.
Der Irrglaube von der rückständigen Digitalisierung und der mangelhaften Vernetzung der Praxen
Der DPNW-Vorsitzende Dieter Adler kommentiert: "Die elektronische Patientenakte soll als Lösung des vermeintlichen Digitalisierungsrückstandes im Gesundheitswesen verkauft werden. Das ist vollkommener Unsinn: Keine Arztpraxis schreibt Daten noch auf Pappkarten oder hört mit dem Holzstethoskop die Herztöne ab, ein EKG, das mit zuckenden Nadeln die Daten auf einen Streifen schreibt, findet man nur noch im Museum der Medizingeschichte. Die elektronische Patientenakte gibt es bereits und die Ärzte sind auch hinreichend und überwiegend sicher vernetzt. 40 Prozent der Praxen nutzten das bisherige KV-Safenet. Aber hier werden die Daten nicht zentral gespeichert, sondern bleiben in den Praxen der Behandler."
Mogelpackung elektronische Patientenakte
Der Begriff "elektronische Patientenakte", die es in jeder Praxis bereits gibt, soll die eigentliche Absicht verschleiern, die Daten zentral in der Gesundheitscloud zu speichern. "Ärzte, die "Nein" dazu sagen, werden als Fortschrittsverweigerer diffamiert. Dabei nehmen sie Ihren Beruf nur ernst und machen sich Sorgen um die Schweigepflicht und das Arzt-Patient-Verhältnis. Die Vertreter der IT-Industrie werden als Helden gefeiert, obwohl fast nichts funktioniert und ständig Daten gestohlen werden oder offen im Netz stehen. Für das Desaster kommen jetzt die Versicherten auf," so Adler.
Neue Mogelpackung schon in Arbeit - TI 2.0 ist webbasierte Patientenverwaltung
Die von Jens Spahn anvisierte Telematik-Infrastruktur 2.0 (TI 2.0), die die Technologie zur Speicherung der externen elektronischen Patientenakte liefert, soll bisherige technische Schwierigkeiten lösen. Doch die TI 2.0 verschlechtert die Datensicherheit noch mehr. Der Grund: nicht nur die Daten, sondern auch die Praxissoftware steht in der Gesundheitscloud und ist über jeden Webbrowser aus dem Internet erreichbar.
"Ein roter Teppich für Hacker, ein rotes Tuch für uns." sagt Adler hierzu. Er stellt fest: "Wir haben fast jede Woche einen Datenskandal. Ganz gleich, ob es die 40.000 Akten aus psychotherapeutischen Praxen in Finnland sind, die offen im Darknet stehen, oder die 130.000 Corona-Testergebnisse, die kürzlich frei verfügbar im Netz standen, das Ganze interessiert unseren Minister nicht."
Betroffene sind wachsamer als von der Politik gedacht
Dieter Adler sieht die Ablehnung gegenüber der ePA bestätigt: "Wir können nicht einfach darüber hinwegsehen, dass die Mehrheit der Behandler und der Patienten die zentrale Speicherung ihrer Gesundheitsdaten ablehnen. Das müssen wir ernst nehmen! Wenn acht von zehn Patienten angeben, ihrem Psychotherapeuten oder Arzt weniger anzuvertrauen als vorher, dann ist das eine massive Störung des Vertrauensverhältnisses in der Behandlung. Dann sollten die Alarmglocken läuten. Diese demokratische Abstimmung "mit den Füssen" sollte endgültig "zum Absetzen" der zentralen Datenspeicherung führen."
"Wenn ein Medikament nicht wirkt oder gefährliche Nebenwirkungen hat, wird es abgesetzt. Und erst recht nicht angewendet, wenn es von Patienten abgelehnt wird. Allerdings scheint mir der Patient "ePA" bereits klinisch tot und kann nur noch beerdigt werden," so Dieter Adlers Einschätzung.
"Was mich interessieren würde, ob unsere Politiker ihre Gesundheitsdaten auch in die Cloud stellen würden. Wenn sie der Technologie vertrauen, dürfte das sicher kein Problem sein. Besonders der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, der ja selbst schon Opfer eines Datenhacks und einer Cybererpressung war," fragt sich der DPNW-Vorsitzende.
Demographie der Teilnehmer
An der Umfrage nahmen zwei Drittel Frauen (68 %), ein Drittel Männer (31 %) und 1 Prozent diversen Geschlechts teil. Der größte Teil der Stichprobe (80 %) war im Alter zwischen 31 und 65 Jahren und gab als höchsten Schulabschluss die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife an (82 %).
Quelle: Deutsches Psychotherapeuten Netzwerk (ots)