Depressiv im Herbst - eine ganz normale Reaktion?
Archivmeldung vom 12.09.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittInterview mit Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Sprecher des Kompetenznetzes Depression, Suizidalität
Stimmt es, dass besonders viele Menschen im Herbst und Winter an einer
Depression erkranken?
Nein, die so genannte "Saisonal Abhängige Depression"
ist eine eher seltene Unterform der Depression. Nur ca. zehn Prozent aller
Depressionen in den Herbst- und Wintermonaten entfallen darauf. Über das Jahr
gesehen gibt es nur geringfügige Schwankungen, was das Auftreten von
Depressionen betrifft.
Aber es stimmt doch, dass viele von uns sich mit
Einsetzen des Herbstes schlapper und lustloser fühlen?
Ja, sicherlich spüren
sehr viele Menschen eine vorübergehende melancholische Stimmung, wenn die ersten
Blätter fallen und das Leben sich mehr in sich selbst zurückzieht. Dies gehört
jedoch zum Leben dazu und hat nichts mit einer Depression im medizinischen Sinne
zu tun.
Unterscheidet sich die Herbst-Winter-Depression außer dem
Zeitpunkt ihres Auftretens von anderen Formen der Depression?
Im Gegensatz
zur jahreszeitlich unabhängigen Depression leiden Betroffene nicht unter
Schlafstörungen, sondern haben ein erhöhtes Schlafbedürfnis. Ein weiteres
Unterscheidungsmerkmal ist der Appetit. Depressive Patienten leiden unter
Appetitmangel und nehmen häufig ab, Menschen, die an einer Saisonal Abhängigen
Depression leiden, haben dagegen mehr Hunger, speziell auf kohlenhydratreiche
Lebensmittel wie Süßigkeiten. Von einer Saisonal Abhängigen Depression spricht
man übrigens erst, wenn Sie mindestens zwei Jahre hintereinander in der
entsprechenden Jahreszeit aufgetreten ist.
Wieso entsteht diese
psychische Erkrankung gerade in den dunklen Monaten?
Verantwortlich für die
Saisonal Abhängige Depression könnte die reduzierte Sonneneinstrahlung sein,
denn das Sonnenlicht beeinflusst über die Netzhaut im Auge bestimmte Botenstoffe
im Gehirn. Diese wirken sich ihrerseits auf Botenstoffe wie Serotonin aus, das
mit einer Depression in Verbindung gebracht wird. Licht wirkt auch auf die
Produktion des körpereigenen Hormons Melantonin, das unter anderem den Schlaf-
und Wachrhythmus des Körpers beeinflusst. Während der dunkleren Jahreshälfte
wird vermehrt Melatonin ausgeschüttet, was dazu führen könnte, dass manche
Menschen sich zunehmend schlapp und schläfrig fühlen. - Eindeutig belegt sind
diese Annahmen jedoch bisher nicht.
Wie wird eine
Herbst-Winter-Depression behandelt?
Bei dieser speziellen Form der Depression
ist häufig eine Lichttherapie hilfreich. Dafür benötigt man nicht unbedingt
spezielle Lichtlampen, ein täglicher ausgedehnter Spaziergang im Freien ist
ausreichend. Selbst an trüben Tagen entspricht der Lichteinfall draußen in etwa
dem einer Therapielampe. Zusätzlicher Vorteil ist die Bewegung an der frischen
Luft. Bei schweren Saisonal Abhängigen Depressionen reicht eine Lichttherapie
allerdings in der Regel nicht aus. Zusätzlich ist dann meist eine medikamentöse
sowie evtl. eine psychotherapeutische Behandlung notwendig.
Wie erkenne
ich, ob ich an einer Depression leide?
Menschen, die an einer
behandlungsbedürftigen Depression leiden - egal ob saisonal bedingt oder nicht -
zeigen bestimmte Symptome mindestens über einen Zeitraum von zwei Wochen. Das
sind nicht nur psychische Symptome wie Antriebslosigkeit, Freud- und
Interesselosigkeit oder eine gedrückte Stimmung, sondern können auch körperliche
Störungen sein. So können zum Beispiel Rücken- oder Magenschmerzen auf eine
depressive Erkrankung hinweisen. - Wer sich nicht sicher ist, ob er an einer
(Saisonal Abhängigen) Depression leidet, kann sich unter http://www.kompetenznetz-depression.de
näher informieren.
Können Sie Menschen, die keine Depression haben, aber
im Herbst und Winter schlechter drauf sind, Tipps gegen, wie sie der miesen
Stimmung vorbeugen können?
Gut ist, auch im Winter regelmäßig Sport zu
treiben, idealerweise an der frischen Luft. Wichtig ist auch, soziale Kontakte
zu pflegen und sich nicht zu sehr zurückzuziehen. Einfach ein bißchen auf sich
achten, angenehme Dinge machen und sich bewusst Gutes tun sowie nicht zu lange
zu schlafen, das ist sicher ein probates "Rezept", um gut gelaunt durch die
dunklere Jahreshälfte zu kommen.
Prof. Dr. Ulrich Hegerl ist als Psychiater Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Sprecher des Kompetenznetzes Depression, Suizidalität.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.